tatsächliches Grundproblem der Glaubwürdigkeit (Schauungen & Prophezeiungen)

Baldur, Dienstag, 08.10.2013, 20:17 (vor 3815 Tagen) @ Ulrich (22540 Aufrufe)

Hallo Baldur,

so sehr ich die kritische Sichtweise Deiner Beiträge schätze, drängt sich doch hin und wieder der Eindruck auf, daß Du wegen Deiner - m. E. berechtigten - Vorbehalte gegen die christlichen Religion(en), an ernstzunehmende Quellen einen Anspruch stellst, der dazu führt, das Kind mit dem Bad auszuschütten:

Hallo, Ulrich,

ich gebe zu, dass dies zu einem Zielkonflikt führt, über den ich immer wieder stolpere, aber ihn auszublenden und eine völlig offene Herangehensweise zu pflegen, würde bedeuten, die nötige, kritische Auswahl in Beachtenswert und Unsinn aufzugeben, die hier ja sehr erfolgreich durch die Nutzung der übervollen Forumstonne gepflegt wird.

An irgendwelchen Kriterien muss man schlechthin festmachen, wo man die Grenze zieht zum Bereich des Unglaubwürdigen.

Ein Bekannter erzählte mir von seinen (Astral-?) Reisen im Universum, wo er auf mythologische Wesenheiten getroffen sein will. Ich glaube ihm, dass er diese Wahrnehmungen genau so hatte. Aber ich kann ohne irgendeinen Beweis, ohne Indiz doch nicht annehmen, dass dieses genau so real und objektiv stattfand, dass diese Wesenheiten ausserhalb seiner Vorstellung real existieren.
Dabei bin ich jederzeit gerne bereit, mir irgendein Stückchen Beweis geben zu lassen.

Ich hatte selbst schon visuelle Wahrnehmungen von kleinen Naturwesen, die man wohl als Wichtel bezeichnen würde. Sie hatten allerdings nichts mit den Mainzelmännchen zu tun, obwohl sie so aussahen, als hätten sie eine solche Kopfbedeckung auf.

Das ganze fand im Rahmen einer Übung statt, in der wir versuchen sollten, mit Naturwesenheiten in Kontakt zu treten. Es gab also für das Gehirn eine klare Zielvorgabe, was erwartet wurde. Bei Hypnosesitzungen über Zukunftsfragen ist bekannt, dass dabei äusserst phantasievolle Beschreibungen (unter diesem Erwartungsdruck) geliefert werden, aber bei nicht ohnehin hellsichtigen oder medialen Leuten treffen diese nicht ein bzw. erweisen sich als im wahrsten Wortsinne *Hirngespinste*.

Wenn jemand seit seiner Kindheit unter einer Indoktrination stand/steht, wie etwa Anneliese Michel, über deren Exorzismusfall wir kürzlich diskutierten, wird die Wahrnehmung doch in eine bestimmte Ecke gedrängt.
Und deswegen ist das Urmuster aller christlichen Erwartung, die drei finsteren Tage, für mich ein solcher Fall, in dem sich ein verbreiteter Glaube quasi verselbständigt, ohne auf eine wirkliche Schauung zurückzugehen.

Ich kann mittlerweile auch eine Kathi aus dem Ötztal als wertvolle Quelle anerkennen, weil ihre Darstellung *für-wider den Herrgott* eine gewaltsame Auseinandersetzung mit militanten Andersgläubigen bezeichnen kann, die wir im Zeitalter des Islamismus durchaus erwarten können, zumindest aber logisch nachvollziehen.

Wenn aber ein Prediger, der sich jahrezehntelang mit einem Thema beschäftigt, genau dieses Thema bestätigt sieht, während sich sein Geist in einer Ausnahmesituation befindet (fasten und Einsamkeit), gepaart mit extremer Erzwingungshaltung einer Wahrnehmung, dann muss ich trotz allem annehmen, da ging seine Phantasie mit ihm durch.
Er sah die Engel der Offenbarung, die alles kurz und klein schlugen. Zugegeben, er sah nicht Heuschrecken und Co., sondern zerstörte Länder, aber das totale Zerstörungsbild des buchstäblichen Weltuntergangs dürfte vergleichbar sein mit den biblischen Grundmotiven. Auch die zynische Bezeichnung als *Ernte* kann nur vor dem Hintergrund seiner christlichen Durchdringung gesehen und bewertet werden - oder eben auch nicht, weil dieser extreme Zynismus ja allen Marienerscheinungen gemeinsam zu sein scheint. Er kann durchaus der gleichen Quelle aufgesessen sein. Diese Quelle aber hat noch nie auch nur ein einziges Mal einen Beweis dafür geliefert, dass etwas wie gesagt eintraf - mit Ausnahme der Zeitangabe einer weiteren Vorstellung.

Wenn nun mal Mitteleuropa, das "christliche Abendland", durch christlich eingefärbte Weltanschauungen seit langer Zeit geprägt ist, dann bleibt bei Anwendung Deines Filters, Quellen nur Ernst zu nehmen, falls sie frei von dieser Prägung sind oder außerhalb davon stehen, wenig an Material übrig.

Das ist mir absolut klar, denn Irlmaier baute eine Marienkapelle, glaubte also intensiv an die katholischen Glaubensbausteine. An die drei finsteren Tage. Sah er die Finsternis, weil er sie gezeigt bekam, oder sah er bzw. seine Vorstellungskraft sie, weil er erwarten musste, dass sie in Kürze stattfänden, stattfinden müssten ?


Wäre Doctorian für Dich glaubwürdiger, wenn er berichtet hätte, daß Wotan ihm das Gesehene zeigte, mit einem Zweig der Weltenesche Yggdrasil den Rauch wegfächelnd ?

In gewisser Weise ja, nämlich dann, wenn er sich nie mit nordischer Mythologie beschäftigt hätte und sich nachträglich herausgestellt hätte, dass es diese Namen und Begriffe auch aus anderen Quellen gibt, die er zuvor nicht kannte.

Wenn ein Japaner, dessen Kindheit nie einstmals drei finstere Tage erwarten liess, drei finstere Tage gezeigt bekäme, wäre dies glaubwürdiger, als bei einem katholisch erzogenen Mitteleuropäer.

Die Konditionierung unseres Gehirns siehst Du bei jeder optischen Täuschung. Wir sehen, was wir erwarten.
Das Gehirn filtert sogar Wahrnehmungen aus, die nach der bisherigen Lebenserfahrung nicht in den aktuell erlebten Kontext passen.


Wenn ich den Bodensatz von Doctorians Verlautbarungen sichte, sieht der etwa so aus: Erdbeben, Erdbeben, Überschwemmungen.

Du solltest auch die erhabenen, machtvollen Engelsgestalten gleichwertig mit einbeziehen.


Dich, so habe ich den Verdacht, veranlasst der "ideologische Überbau" seiner Beschreibungen, wegen der Form deren Inhalt zu verwerfen, reflexartig.

Nicht wegen der Form, sondern wegen des signifikanten Zusammentreffens von
1) extremer Erwartungshaltung in exakt diese Richtung (Engel steuern die Apokalypse)
2) extremer psychologischer Verfassung (fasten, Zurückziehen, Erzwingen von Wahrnehmungen)
3) hauptsächlicher Lebensbeschäftigung mit genau diesem Thema (Missionar/Evangelist).

So, wie die selbsternannten Moralhüterinnen von angeblichen Kindesmissbrauchs-Selbsthilfegruppen überall Kindesmissbrauch wittern, wo keiner war und ist (siehe Skandal um *Wildwasser*).

So, wie fanatisierte Leute überreagieren und nicht mehr objektiv sein können.


Mit Deinem Beitrag habe ich folgende Schwierigkeiten:

4) Wenn wir Doctorians Schau Ernst nehmen wollen...


steht in der Reihe 1), 2), 3), ist aber doch kein weiteres, viertes Erklärungsmodell ?


Doch, dann würden wir als wahr übernehmen, dass die biblisch postulierte Erschaffung und Vernichtung der Welt real ist.
Und, völlig zugestanden, das ist für mich jenseits des Vollstellbaren, weil Vernünftigen. Die Tabuzone.

Für von Lucadou z.B. ist es unvorstellbar, dass wahrgenommene Wesenheiten überhaupt real existieren oder von dort aus Informationen oder Wirkungen könnten, er führt alles auf Vorgänge innerhalb des lebenden Menschen zurück (auch Focuspersonen von Spuk).

Das wiederum ist mir zu einengend, aber im Grundsatz mit meiner Filtersetzung vergleichbar.

Die Vorstellung, dass unser Schöpfer lustvoll seine Schöpfung quält und vernichtet, er seinen Sohn kreuzigen lässt, um unsere Sünden zu sühnen, derweil noch ein Dritter im Bunde für die Umsetzung sorgt, der heilige Geist, und dass wir nur unser Seelenheil fänden, wenn wir regelmässig Christus' leibhaftiges Blut tränken und sein Fleisch ässen, führt bei mir ins unbedingte Abseits. Ich kann tatsächlich nicht anders.

Jetzt können wir uns aussuchen, womit wir in Resonanz kommen.
Unabhängig von meinen persönlichen, grundsätzlichen Vorbehalten gegen christliche Perspektiven tendiere ich daher zu Variante 1.


Also wie? In Resonanz kommen oder ohne persönliche Vorbehalte? Beides zusammen schließt sich nach meinem Verständnis aus.

Stimmt. Da habe ich wohl echt Unsinn geschrieben. Danke für die nötige Klarstellung.

Du schreibst, tendiere ich "daher", als ob sich diese Deine Schlußfolgerung aus der Argumentation automatisch ergäbe, aber Du nennst keine Gründe für das "daher", oder habe ich da etwas überlesen?

Siehe oben, mea culpa.


Weil ich dem Gott der Arithmetik ebensowenig huldige wie dem der Katholiken, mische ich Deine Kategorien 1), 2) und 3) zusammen, rühre kräftig um, und nehme mal an, Doctorian hat da tatsächlich Zukünftiges gesehen / gezeigt bekommen, wegen seiner religiösen Prägung hat er das seinem Filter entsprechend mit allerlei Engeln verbrämt und / oder, um bei "so Jemandem" ordentlich ernstgenommen zu werden, hielt es Irgendwer für zweckmäßig, das Gesehene / Gezeigte mit dem christlich-religiös geprägten Überbau zu verbrämen.

Das hat etwas für sich, denn nur durch diese darstische Figürlichkeit kann D. dies als etwas Besonderes erkennen.
Nur, eben, er sieht genau das, was er erwartet. Wieso sollte sich dies nur auf die Figuren beschränken, und nicht die ganze Szene umfassen?

Doctorian postuliert, bzw. der Veröffentlicher, dass er die erbetene Gnade erwiesen bekommen hätte, Informationen gezeigt zu bekommen.

Solche Informationen, die ein Evangelist Zeit Lebens ohnehin immer vermittelt hat.

Was sollte uns also dazu veranlassen, anzunehmen, dass dies eine valide Schauung war? Es gibt keinerlei Indiz, dass etwas vorhergesagtes nachweisbar (!) eingetroffen wäre. Die Sache mit den Türmen wird behauptet.

Nix für ungut, lass Dich nicht beirren.

Ich habe ja schon ein paar Mal über eigene Erfahrungen berichtet. Oberstes Prinzip jeglicher Abwägung ist immer die Glaubwürdigkeit.
Würde eine Kommunikation mit überirdischen Quellen besagen, ich würde morgen als junge, hübsche Frau aufwachen, während ich mittlerweile ein alter Sack geworden bin, dann muss ich das als Unsinn verwerfen.

Würde mir eine Stimme flüstern, ich bekäme durch sie die Lottozahlen vorhergesagt, aber sie werden nie gezogen, muss ich das verwerfen.

Bekomme ich aber im Casino mit einer ausgewerteten, weit überproportionalen Häufigkeit eine Wahrnehmung von der nächsten geworfenen Zahl, ergibt sich ein Ansatz für eine weitere Forschung.

Behaupten kann jeder - aber das darf uns nicht reichen. Es muss schon Substanz dabei sein. Dass dann einmalige Schauungen von Kindern, die zuvor noch nie nachweisbare Treffer hatten, in meiner Wahrnehmung unter den Tisch fallen, liegt leider in der Natur der Sache. Haben diese Kinder hingegen regelmässige Vorahnungen und Treffer, bin ich der erste, den dies interessiert und der dies absolut ernst nimmt.

Eine gute Bekannte hatte diese Fähigkeiten schon als Kind, wusste, welche Frau im Dorf schwanger war, bevor sie selbst es wusste, wusste, welches Haus einen Bombentreffer bekäme und abbrannte. Sie sah es bzw. hatte Hellwissen. Das gibt es zweifellos. Allerdings wurde sie dann von den Mitmenschen als Hexe gemieden.....

Trotzdem: lieber Hexe mit zutreffenden, prüfbaren Aussagen, als Frömmler mit Phrasen, die bis dato nie eintrafen.

Beste Grüsse vom Baldur


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