Bewusstsein (Freie Themen)

Leseratte, Freitag, 07.05.2021, 12:19 (vor 1085 Tagen) @ Taurec (1804 Aufrufe)

Hallo,

Die Art und Weise, wie in der esoterischen Szene "Bewußtsein" inflationär gebraucht und als das Nonplusultra der Entwicklung dargestellt wird, scheint mir daher auf einem simplen Selbstbetrug zu basieren. Man ist bestrebt, den modernen Rationalismus, den man als Grundübel unserer Zeit erkannt hat, zu überwinden, indem man zu mehr Bewußtsein gelangt, was letztlich nichts anderes bedeutet, als größere Teile der Welt im Fokus des Verstandes zu halten, bzw. das Bewußtsein auf zuvor unbewußte Wesensbestandteile auszudehnen.

Diese Bewegung ist schon in der klassischen Psychologie oder auch der Tiefenpsychologie von C.G.Jung vorhanden. Bei beiden gilt es ja sich der unbewußten Handlungsbewegungen, seien es Ich, Es, Unbewußtes oder der Prozess der Individuation, bewußt zu werden um mit ihnen adäquat auf die Herausforderungen des Lebens zu reagieren. Die Tiefenpsychologie hat Berührungszonen zu der sogenannten Esoterik, die Freudsche Psychoanalyse nicht. Im gesamten Abendland gab es immer überlieferte Traditionen, die Kabbala, Astrologie, Gnosis, Rosenkreuzer, Alchimisten etc., die neben und vor der Moderne existiert hatten. Sie sind, wie die Moderne, ein Teil unserer Tradition, wobei zumindest bei den Alchimisten es nicht um die Ausweitung, sondern um die Verwandlung des Denkens und des Bewusstseins geht, weil die Verwandlung der äußeren Substanz auch eine innere ist.

Letztere ist übrigens ein klassischer religiöser Topos, der hier nur wenig Platz hat, Thomas von Aquin etwa sagte am Ende seines Lebens sinngemäß nach seiner Schau des Kosmos käme sein bisheriges Schreiben (er galt ja als einer der wichtigsten Denker seiner Zeit) ihm vor wie Spreu, angesichts dessen, was er gesehen habe. Hoffman und Wasson deuten übrigens Platons Höhlengleichnis in The Road to Eleusis als das Ergebnis einer Erfahrung von LSD (im Mutterkorn), die Platon so erschüttert habe, dass er seine bisherige Wahrnehmung als Schatten an der Höhle gesehen habe.

Ob nun in der esoterischen Szene der Weg einer Ausweitung bisherigen Denkens oder der Weg einer Verwandlung des Denkens und des Bewusstseins gegangen wird, wird von der Lehre abhängen, die jeweils unterschiedlich ist, hier, da gebe ich dir recht, muß die Unterscheidung der Geister ansetzten. Weil aber Präkognition, Schau und Voraussage genau an den Grenzen unseres Denkens rütteln, sollte man die Tür hier nicht vorschnell zumachen. Es ist hier nicht immer der Mensch, der sich an die Stelle Gottes setzt, sondern auch der Mensch, der frei werden will, das Wunder zu schauen, was ist. Vielleicht werden wir dann auch verstehen, was Leben ist.

Grüße Leseratte


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