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Faustische Expansion (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 04.03.2021, 17:19 (vor 1149 Tagen) @ Leseratte (2213 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Donnerstag, 04.03.2021, 17:28

Hallo!

Ägypter und die Juden unter König Salomon umfuhren die arabische Halbinsel.

Ich schrieb allerdings von Römern. Daß südlichere Völker wie Ägypter und Juden auch südlicher vordringen, sollte nicht verwundern. Angesichts dessen ist eine Umrundung der arabischen Halbinsel (immer in Küstensichtweite wie ein Nichtschwimmer im Freibad ;-)) allerdings nicht der Rede wert.

Unter Pharao Necho II. war eine ägyptisch phönizische Expedition um Afrika von Ägypten aus herum gesegelt. Das Detail, dass die Seeleute erstaunt waren bei der Umrundung der Südspitze Afrikas die Sonne an Steuerbord zu sehen, lässt den Reisebericht authentisch erscheinen, die Kugelgestalt der Erde war noch nicht bekannt.

Ja. Und auch diese Umrundung fand in Küstennähe statt. Immerhin: Es gibt angeblich auch phönizische Münzen und Artefakte in Südamerika und vereinzelte Urwaldstämme dort sehen verdächtig europäisch aus, so daß die Möglichkeit besteht, in uns historisch nicht schriftlich überlieferter Vorzeit hätten es sowohl Semiten als auch Europäer über den Ozean geschafft.

In der hellenistischen Epoche wurde der regelmäßige Windwechsel des Monsums auf dem indischen Ozean beobachtet. Also war der Weg nach Indien frei für Rahsegler. Die Römer stiegen in den Handel mit Luxusgütern ein und importierten aus Indien Seide und Gewürze, wobei sie, wie zeitgenössische Autoren anmerkten, die römische Handelsbilanz ruinierten. Es ist sicher, dass die Römer bis zur Westküste Indiens und nach Sri Lanka segelten. Es gab Kontakte nach China, römische (Handels-) Gesandtschaften waren im 2.Jhr. in China, wahrscheinlich per römischen, indischen oder chinesischen Schiff. Auf der sehr rudimentären Weltkarte des Ptolemäus ist China verzeichnet. Die Annahme, dass frühere Kulturen keine weiten Reisen gemacht hatten, ist schlichtweg falsch.

Daß frühere Kulturen keine weiten Reisen gemacht hätten, habe ich auch gar nicht behauptet. Die faustische Expansion stellt aber eine ganz andere Qualität war. Unschwer ist zu erkennen, daß der Abfolge der Kulturen eine diese überlagernde Steigerung der Intensität innewohnt. Wie Engels in seinem Aufsatze bemerkt, waren die frühen Kulturen (Nil, Euphrat, Tigris, Indus, Huang He) reine Flußkulturen. Sie hatten begrenztes Ausmaß, das allenfalls in der Phase der Zivilisation eine überregionale Ausdehnung erreichte. Die nächste Stufe (chinesische Zivilisation, der südchinesische Zyklus, Südostasien, Indien, die griechisch-römische Antike, die mittelamerikanischen Kulturen) umfaßte schon ganze Subkontinente/Kontinentteile und Binnenmeere, wobei sie sich an den Rändern durchaus berühren und Kontakt herstellen konnten. Erst mit der islamischen Expansion des Frühmittelalters und der faustischen Kultur wurden dauerhaft interkontinentale und weltumspannende Ausdehnungen erreicht.
Möglicherweise stehen die Kulturen doch irgendwie auf den Schultern ihrer Vorgänger, deren Erreichtes prägend in den kollektiven seelischen Urgrund eingeht.

Auch die Araber segelten sehr weit. Nicht nur dass sie in Ostafrika, in Tansania, Siedlungen gründeten, auch waren sie durchaus nach China gekommen. Tim Severin etwa ist mit einer nachgebauten Dhau 1982 nach Kanton gesegelt.

Zheng He unternahm 1432 mit 30000 Mann eine Expedition per Schiff nach Ostafrika. Diese Fahrten wurden danach nicht fortgesetzt, vermutlich war es eine wirtschaftliche Dummheit, eine so große Flotte, die in einen Taifun oder auf Untiefen geraten konnte, zu riskieren (die Europäer rüsteten später in der Regel immer nur wenige gebrauchte Segler aus).

Die wirtschaftlichen Gründe sind allenfalls sekundär und nachgeschobene Rationalisierungen fehlenden Willens. Das frühere Kulturen und Zivilisationen weite Reisen unternommen hätten, habe ich gar nicht abgestritten. Das waren aber Einzelfälle und Zufälle, die aus der speziellen Qualität einzelner Individuen geboren, aber nicht von der Seele dieser Kulturen und deren kollektiver Entwicklungstendenz getragen waren. Zweifellos hätten die Chinesen nach dem Verkraften des wirtschaftlichen Schadens weitere Expeditionen starten können. Aber sie wollten nicht! Hingegen konnten die Abendländer auch größere Fehlschläge nicht davon abhalten, es gegen alle Ratio und ökonomische Vernunft immer wieder zu versuchen. Das macht den Unterschied aus. Handelsbeziehungen zwischen entfernteren Kulturkreisen, wie sie in der Antike zweifellos stattfanden, waren Randerscheinungen, die auch hätten ausbleiben können, ohne daß es die Geschichte dieser Kulturen merklich verändert hätte. Die europäische Expansion, das Zeitalter der Entdeckungen, die Kolonisation der ganzen Welt sind für die faustische Kultur allerdings essentiell. Die Entdeckung Amerikas und Australiens, die Unterwerfung Afrikas, Asiens und Ozeaniens waren für das Abendland lebensverändernd und innerlich so notwendig, daß es unvermeidlich war.
Der Unterschied zwischen uns den früheren Kulturen wird ferner darin offensichtlich, daß wir sogar zu den unwirtlichsten Gegenden, den Polen, vorgedrungen sind, wofür es keinerlei rationalen Grund gab und was Griechen, Römern, Chinesen etc. völlig abwegig erschienen wäre (hätten sie überhaupt daran gedacht). Auch hier sind, allerdings in umgekehrter Weise, die wirtschaftlichen Gründe (z. B. die Rohstoffnutzung) sekundär und nachgeschobene Rationalisierungen in ihren Anfängen unvernünftiger Unternehmungen, die nur durchgeführt wurden, weil faustische Menschen wissen wollten, ob sie es können, und weil sie vor anderen faustischen Menschen zuerst dort gewesen sein wollten.

Daß ich schrieb, "zur Zeit der größten Ausbreitung der antiken Zivilisation wurden in Großbritannien Aquädukte gebaut und römische Soldaten waren am Eingang zum Roten Meer stationiert, auf einen Ozean blickend, den kein Römer je bereisen würde", war plakativ gemeint und inhaltlich womöglich nicht ganz richtig. Daß ein beliebiger Römer standardmäßig dort hätte hinreisen können, wie es für uns selbstverständlich ist, war jedenfalls nicht der Fall.
Der Satz sollte in Bezug auf Isanas "andererseits ist gerade der Perseverance-Rover auf dem Mars gelandet" zum Ausdrucke bringen, daß irgendwann das Maximum der Möglichkeiten einer Zivilisation vor dem Versagen der Kräfte und der Implosion erreicht ist. Wir mögen zum Mars reisen können, gedanklich sogar bis zu anderen Sonnensystemen. Daß es uns aber praktisch gelingen wird, ist äußerst fraglich. Entsprechend war das Potential der römischen Expansion mit dem längerfristigen Haltens Britanniens und des roten Meeres erreicht. Darüber hinaus konnten sie nur vorfühlen, was erst ihren Nachfolgern Schicksal sein sollte.

Danke für Deinen Beitrag! Allerdings hast Du mich wohl falsch gelesen oder mißverstanden und mir etwas unterstellt, das ich gar nicht aussagen wollte. :ok:

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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