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Bewußtsein (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 07.05.2021, 09:11 (vor 1082 Tagen) @ detlef (1869 Aufrufe)

Hallo!

du hast mich erwischt. schon beim schreiben war ich mit "bewusstsein" nicht gluecklich.
aber mir fiel kein besserer ausdruck ein.
(real betrachtet haben auch tiere und selbst pflanzen ein bewusstsein
Seele (lebensfunken/lebensenergie) war einfach. ohne sie waer kein mensch, kein tier, keine pflanze mehr als ein klumpen toter materie.
aber weder bewusstsein, noch ego passt wirklich fuer die andere komponente. und auf religioese benennungen verzichte ich am liebsten. (die sind oft streittraechtig)

Schon die Etymologie des Wortes deutet darauf hin, daß "Bewußtsein" nur der Teil unseres Wesens ist, in dem aktives Denken stattfindet. Im Frühneuhochdeutschen bedeutete "bewissen" soviel wie "sich vergewissern, nach etwas erkundigen", im Mittelhochdeutschen "bestätigen", "garantieren". Das Partizip dieses Verbes "bewußt" bedeutet also "vergewissert", "erkundigt", "bestätigt". Bewußtsein ist dem entsprechend der Bereich unseres Seins, in dem sich gewonnene Erkenntnisse und Eindrücke aus unserer Außen- und Innenwelt reflektieren, sprich der rationale Verstand und das Gefühlsleben. Von dieser Grundbedeutung ausgehend konstruierte die Psychologie seit dem 19. Jahrhundert folgerichtigerweise das "Unbewußte" als Gegenbegriff, der alles bezeichnet, was sich nicht an der bewußten Oberfläche abspielt. Woran man nicht augenblicklick aktiv denkt, Verdrängtes, versunkene Erinnerungen, konditionierte Verhaltensmuster, unerkannte Glaubenssätze als Axiome unseres Denkens usw., gehört dem Unbewußten an.
Daraus folgt, daß weder Bewußtsein, noch Unbewußtes oder Unterbewußtsein als Begriffe taugen, welche die Gesamtheit unseres Wesens treffend bezeichnen können. Auch wenn man beides zusammenfaßt, befindet man sich bloß auf einer Ebene, wo Affekte (Betroffenheiten) liegen, d. h. Wallungen an der Oberfläche der Seele.

Die Art und Weise, wie in der esoterischen Szene "Bewußtsein" inflationär gebraucht und als das Nonplusultra der Entwicklung dargestellt wird, scheint mir daher auf einem simplen Selbstbetrug zu basieren. Man ist bestrebt, den modernen Rationalismus, den man als Grundübel unserer Zeit erkannt hat, zu überwinden, indem man zu mehr Bewußtsein gelangt, was letztlich nichts anderes bedeutet, als größere Teile der Welt im Fokus des Verstandes zu halten, bzw. das Bewußtsein auf zuvor unbewußte Wesensbestandteile auszudehnen. Man meint wohl, wenn die Menschheit erst mehr erkannt hätte, würde die Welt eine bessere werden, weil die negativen Begleiterscheinungen unserer Zeit und die Probleme der Menschen wesentlich auf Unerkanntheit aller Ursachen und Folgen beruhten.
Das heißt aber, den Verstand nicht zurückzudrängen und auf den ihm gebührenden Rang zu verweisen, sondern die Verstandestätigkeit noch erheblich zu steigern. Statt den Rationalismus zu überwinden, befleißigt sich die "spirituelle Szene" als sein Vollender und verstrickt ihre Anhänger noch tiefer im Treibsand. Es ist nichts weiter als die ins Esoterische gesteigerte Ideologie der Aufklärung, durch Anwendung des Verstandes einen Fortschritt zu generieren, also keine Überwindung der Moderne, sondern nur ein Nebengleis, das wie viele andere moderne Weltanschauungen als die moderne Welt stabilisierender Religionsersatz fungiert.

Von der eingangs erfolgten Begriffsbestimmung ausgehend haben Menschen zweifellos ein Bewußtsein, auch die fremdgesteuerten Zombies, die lediglich aus ihnen unbewußten Konditionierungen heraus denken und handeln. Tiere haben ebenfalls ein Bewußtsein, aber je nach Art ein geringeres als Menschen, weil die Intelligenz (nur Lateinisch für "Verständigkeit") geringer ist. Pflanzen haben tatsächlich kein Bewußtsein, sind aber nicht weniger lebendig. Um zu bezeichnen, was das Leben ausmacht, ist Bewußtsein kein taugliches Wort. Es bezeichnet nichts weiter als den Grad, in dem Lebewesen ihres Selbstes und der Umwelt gewahr sind, im Gegensatz zu reaktiv-vegetativer Anpassung an Reize (wie es Pflanzen tun). Wir können somit zumindest annehmen, daß zwischen Bewußtsein und (Handlungs-)Freiheit eine gewisse Korrelation besteht, weil das Erkennen einer Sache es dem inneren Beobachter erlaubt, sich emanzipierend danebenzustellen und in Entsprechung oder entgegen dieser Sache zu handeln.
Daß die Bewußtseinsfähigkeit erweitert werden kann, also das Ausmaß dessen, was erfaßt werden kann, wage ich doch sehr zu bezweifeln. Das hieße im Grunde, sich wie Münchhausen selbst aus dem Sumpfe zu ziehen und die Evolution in die eigenen Hände zu nehmen. Im Grunde ist es aber das, was in der Esoterikszene als Bewußtseinserweiterung propagiert wird, womit sie sich aber gänzlich auf der ideologischen Linie der modernen Welt befindet, in der sich der Mensch selbst an die Stelle Gottes gesetzt hat und vermeint, alles manipulieren und bestimmen zu können.

Für das "Ding an sich", welches das Leben vom Menschen bis zur Pflanze ausmacht, bietet unser Wortschatz lediglich "Seele", was etymologisch mit "See" verwandt zu sein scheint und somit eine Art unergründlicher Tiefe bezeichnet. Diese weiter zu bestimmen ist uns im europäischen Raum offenbar tatsächlich noch nicht gelungen, wie der Mangel an alten Wörtern zu bezeugen scheint.
Auch "Geist" trifft es nicht, weil das Wort sprachlich offenbar von inneren Regungen und Wahrnehmungen abhängt, also Bewußtsein voraussetzt und somit an der Oberfläche Liegendes äußerlich bezeichnet. "Geist" ist ein Wort entweder für (äußere) Erscheinungen oder den eigenen erlebten Innenraum, den man bei anderen Geistwesen als ebenfalls vorhanden unterstellt. Auch "spiritus" und "animus" bezeichnen Äußerlichkeiten, weil beide Wörter offenbar allein auf den Atem bzw. Lebenshauch abzielen und das Lebendigsein an einer Körperfunktion festmachen.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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