Nur teilweise einig (Freie Themen)

Isana Yashiro, Freitag, 26.02.2021, 07:06 (vor 1149 Tagen) @ detlef (2374 Aufrufe)

Hallo!

"Das Ende ist nah!"
wer so was auf ein schild malt, hat immer recht. er muss das schild nur lang genug halten.

Taurecs antwort ist wie immer. reine kultur.
seine texte muss ich immer dreimal lesen, um sie halb zu verstehen.

Das betrachte ich als einen Rat und zwar einen brauchbaren.

egal, welche bekannte kultur wir betrachten, sie alle widerstanden aeusseren bedrohungen solange sie innerlich "schwung" hatten. solange es grundlegende ideen und ueberzeugungen gab, die von "allen" mitgetragen wurden. also "kulturelle werte".

china: einer der aeltesten (bekannten) kulturkreise. gross geworden durch denker wie Sun Tzu, untergegangen (zum ersten mal) durch mongolische horden, trotz zivilisatorischer meisterleistungen wie die mauer. und zum zweiten und definitiven mal durch christliche barbaren, gegen deren eifer die alternde zivilisation nichts setzen konnte.
komplettisierung des felachentums durch maos kulturrevolution.

Ausgerechnet Sun Tzu und dann auch noch als Denker. Aber der ist erstmal egal. Du willst sagen, daß Kulturen durch Bedrohungen von außen untergehen? Dann hätte ich das völlig falsch verstanden. Die Kultur sollte ihren Impuls durch vierzig Generationen hinweg aufrechterhalten und erst die Zivilisation danach kann durch äußere Einflüsse zerstört werden. So verstehe ich zumindest Taurecs Antwort.

indien: in meinen augen ein sonderfall. es litt/leidet zwar durch schleichende islamisierung und zeitweise unterjochung durch christliche barbaren, ist aber nie ganz dekulturiert worden.

Indien ist ein Sonderfall dadurch, daß der Europäer dazu neigt Indien als Einheit zu betrachten, weil sich der Subkontinent so schön geographisch abgrenzen läßt. Ethnisch und geschichtlich ist Indien jedoch ein großes Durcheinander. Man müßte schon mindestens die drawitische oder tamilische Kultur im Süden und die brahmanische Kultur in der Ganges-Ebene unterscheiden. Damit hätte man Indien noch längst nicht erfaßt. China wird gleichfalls viel zu sehr als einheitlich aufgefaßt, obwohl sich auch China aus unterschiedlichen Ethnien mit eigenen kulturellen und geschichtlichen Eigenheiten zusammensetzt.

alt-aegypten: nach jahrhunderten, in denen die kulturelle leistung sich vorwiegend auf den austausch von inschriften und die umwidmung von denkmaelern beschraenkte, zerstoerung erst durch barbarische roemer, dann durch islamisierte abkoemmlinge der mongolischen horden.
so komplett felachisiert, wie nur moeglich.

Griechenland: nach einfuehrung der (antiken minderheits)demokratie sturmreif fuer die roemischen barbaren geworden.
als randerscheinung der faustischen kultur vor dem kompletten felachentum bewahrt.

Rom: durch ueberdehnung implodiert, nach zivilisierung durch religioese toleranz. (ich halte die eher unbedeutenden barbarenhorden, die den coup de grâce ausfuehrten, fuer ueberbewertet.)

Die halte ich sehr wohl auch für überbewertet. Was hätten die auch ausrichten können gegen die mächtigste Militärmacht der Welt?

(meistens uebersehen) die Wikinger: erst ausdehnung ueber die ganze bekannte welt (und weiter). russland, sizilien, england, normandie,island, groenland, vinland ... sie waren die zeitgleiche, groesste konkurrenz fuer das faustisch/christliche aufstrebende abendland und wurden dann durch christianisierung weitgehend akulturiert. der schwung war weg. danach traten sie nur noch als auslieger der faustischen kultur auf.

die praecolumbianischen kulturen der americas: sofern sie nicht schon vorher untergegangen waren, befanden sie sich im zustand der zivilisation, wo grosse teile der bevoelkerung durch administrative und militaerische massnahmen bei der stange gehalten wurden, nicht durch ideologie. also leichte beute fuer die barbarischen spanier.

Die präkolumbianischen Kulturen zeigen so schöne Parallelen zu Europa, daß ich wegen denen die Theorie vom Zyklus der Kulturen anerkenne. Die Maya hatten ihren Kulturzyklus abgeschlossen, ihre Städte sind verwaist und danach fielen die Azteken über die Reste her und versuchten noch irgendwie die Zivilisation der Maya fortzuführen. Hier sind wir uns wohl einig.

und jetzt sind halt "wir" dran. die faustischen europaeer. (samt unserem stiefkind USA, die gleich im zivilisatorischen stil begannen)

seit wann?

seit menschen begannen "rational" zu denken.
wer Il Principe von Machiavelli gelesen hat, ein werk, wo sich das rationale weder hinter ethik, sittlichkeit noch moral versteckt, der muss den anfang des zivilisatorischen denkens auf mindestens AD 1500 ansetzen.

Demnach bist Du mit Taurec uneins. Taurec setzt diesen Anfang ins achtzehnte Jahrhundert, also wohl auf Immanuel Kant, der eine Definition für die Aufklärung lieferte, aber darin nicht die Wiederholung des schon Dagewesenen, sondern selbständiges Denken forderte.

Luther? irrelevant in diesem zusammenhang. der hat lediglich die zugangsberechtigungen zu den religioesen futtertroegen verschoben. Gutenberg, mit seiner erfindung war wichtiger. der hat die verbreitung von wissen (zivilisatorisch) auf kosten des glaubens (kulturell) gefoerdert.

Die erwähnte Verschiebung geht zwar auch auf Luther zurück, aber das ist nicht das, was ich meinte als ich den Beginn der faustischen Denkweise in seine Zeit verlegen wollte. Gutenberg hat eine ganz nette Erfindung gemacht. Die meisten Erfindungen machen nichts weiter als den Erfinder arm. Um diesem Schicksal zu entgehen mußte Gutenberg die Finanzierung seiner Erfindung wieder hereinholen. Dafür brauchte er Kunden. Dabei sah er sich mit dem Problem konfrontiert, daß die meisten Leute seiner Zeit nicht lesen konnten! Wofür braucht man dann eine Druckerpresse? Gutenbergs Erfindung wurde erfolgreich, weil er genau einen Hauptkunden hatte: Die katholische Kirche. Was vor allem aus Gutenbergs Druckerpresse kam, war die Vulgata, also die Bibel auf Kirchenlatein. Die Analphabeten konnten erst recht kein Latein. Die katholische Kirche war der einzige Abnehmer. Gutenberg arbeitete im Auftrag der Kirche und ganz im Sinne der Kirche. Erst Luther machte den Bestseller dem Volk zugänglich. Das Ziel war keine Verschiebung des Zugangs zu den Futtertrögen. Eigentlich wollte Luther, daß die katholische Kirche aus Einsicht zu früheren Tugenden zurückkehrt. Erreicht hat er, neben der Verschiebung des Zugangs zu den Futtertrögen, daß sich viele Gläubige zutiefst verletzt fühlten, weil sie von ihren Priestern hinters Licht geführt worden waren. Der nächste historische Schritt waren dann die Bauernaufstände. Aber das ist Geschichte. Luthers Einfluß auf die Kultur sehe ich darin, daß Nikolaus Kopernikus, der von 1473 bis 1543 lebte und daher ein Zeitgenosse Luthers war, sich sicher war, daß er nicht riskieren konnte sein Hauptwerk De revolutionibus orbium coelestium zu seinen Lebzeiten zu veröffentlichen, weswegen er dafür sorgte, daß das erst nach seinem Tod geschehen würde. Das Werk wurde in seinem Todesjahr veröffentlicht. Also Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. Galileo Galilei (geb.: 1564) und Johannes Kepler (geb.:1571) lebten um 1600 herum und behaupteten beide öffentllich und zuversichtlich, daß das kopernikanische Weltbild das Richtige sei. Da könne die Kirche noch so sehr widersprechen, dann habe sie einfach nicht Recht.

bis wann noch?

in einem tag, wenn sehr schnell - in fuenf bis zehn jahren, wenn langsam.

was haben all die beispiele oben gemeinsam? - alle kultur/zivilisationskreise waren bereits ausgehoelt, als sie durch leichte tritte von aussen implodierten.
wo steht die westliche welt jetzt?
leere kirchen. also kein religioeser leim mehr, der alles zusammen haelt.

Bedenklicher fände ich volle Kirchen. Das in Europa heute noch praktizierte Gottesdienstkonzept wurde für Analphabeten entworfen. In eine Kirche zu gehen ist wirklich nichts weiter als die Wiederholung eines völlig toten Rituals.

neid. einige ultrareiche, fuer die keine regeln gelten, und eine verarmende menge, deren rechte staendig beschnitten werden.
unterjochung. ohne maulkorb darfst du nicht mehr nach draussen. (ich spar mir an dieser stelle ein halbes hundert weiterer argumente)

Gegen die ich nichts einzuwenden habe.

fehlen also nur noch die tritte von aussen.
die teppichanbeter in europa machen heute schon ein zehntel bis ein fuenftel aus.
in einigen staedten bilden sie heute schon die mehrheit.
in der relevanten gruppe (maenner unter 40) duerften sie europaweit schon dicht an der haelfte sein.
da fehlt nur noch der funke.

das ist keine schau. sondern nur ganz simpel und machiavellisch analysiert.

gruss,d

ps: wer oder was wird der naechste kulturkreis?
ich tippe auf die chinesen. die sind ethisch, moralisch und sittlich rundum "gesaeubert", haben eine grosse masse, sind das volk mit der hoechsten durchschnitts intelligenz und haben eine brauchbare materielle basis.

Ich tippe da ganz und garnicht auf die Chinesen, sondern denke wie Taurec, daß die Chinesen uns nur nachäffen. Möglicherweise sind die Chinesen dank ihrer Masse noch da, wenn alles andere vergessen ist. Dann können sie vielleicht einen neuen Kulturzyklus beginnen. Aber zunächstmal sind sie dabei, sich uns anzupassen und wieweit das einer neuen Kultur zuträglich oder abträglich ist, das ist mir noch nicht klar.

Gruß,
Shiro


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