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Neanderthaler intelligenter? (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 05.03.2021, 09:23 (vor 1146 Tagen) @ Gustav Waschbär (2271 Aufrufe)

Hallo!

Mit der Bitte um Nachsicht: Ich halte das für einen deftigen Fehlschluss. Natürlich hast du Recht mit der grundsätzlichen Idee, dass größere Gehirne, assoziiert mit höherer Intelligenz, auch eine bessere Einschätzung und somit Umgehung von Gefahren ermöglichen. Da aber in Zeiten knapperer Nahrungsmittel der Überlebenstrieb gerade bei intelligenteren Spezies effektivere Anpassungsstrategien ermöglicht, halte ich die Vorstellung für irrsinnig, dass die intelligenten Neanderthaler verhungernd auf das Meer und/oder die Flüsse, Seen und Auen blickten, und vor lauter Angst tatenlos verhungerten.

Ich frage mich, ob ein größeres Gehirn zwingend mit höherer Intelligenz zu tun hat, insbesondere, wenn das Gehirn im Schnitt nur 10 % größer ist. Beim Neanderthaler scheint dies mit einem entsprechend kräftigeren Körperbau einhergegangen zu sein. Großer Körper ⇒ großer Kopf. War aber auch der Bau des Gehirns ähnlich komplex wie beim modernen Menschen? Waren die Nervenzellen ähnlich dicht oder dichter "gepackt", so daß man eine höhere Leistung unterstellen kann?
Das weibliche Gehirn weist beim Homo Sapiens eine größere Dichte Neuronen auf, weswegen Frauen trotz im Schnitt kleineren Gehirns nicht massiv dümmer sind als Männer. ;-)
Umgekehrt wird man bei großen Menschen (ca. 2 Meter) ein im Schnitt größeres Gehirnvolumen feststellen als bei kleineren (ca. 1,6 Meter), ohne daß zugleich eine Korrelation mit der Intelligenz bestünde.

Die Gleichsetzung des Gehirnvolumens mit der Intelligenzfähigkeit ist wohl ebenfalls dem 19. Jahrhundert mit seinen oberflächlichen materialistischen Vorurteilen geschuldet. Weil sich der moderne Mensch, vor allem der Europäer des 19. Jahrhunderts als die Krone der Schöpfung empfinden wollte und man zugleich flach materialistisch die Ursache des Geistes im Gehirn verortete, setzte man ein großes Gehirn pauschal mit großen Geisteskräften gleich. Als dann im ausgehenden 19. und im Verlaufe des 20. Jahrhunderts immer mehr Neanderthalerskelette gefunden wurden und sich dessen größeres Gehirnvolumen erhärtete, vermeinte man schließlich, der Neanderthaler sei intelligenter gewesen, und mußte andere Gründe für dessen Aussterben finden, nachdem Intelligenz nach wie vor als die überlebenswichtige Fähigkeit Nr. 1 gilt. ;-)

Ein gewisses Spiegelbild der seelischen Verfaßtheit im Sinne des von mir Geschriebenen ("Seele und Geist sind primär und körperunabhängig. Sie bilden sich den Körper nach dem eigenen Bilde.") könnte die "Gewichtung" der Areale im Aufbau des Gehirns finden. Der Neanderthaler hatte einen länglicheren Schädel und eine flachere Stirn als der heutige Mensch. Aus Fällen des Frontalhirnsyndroms wissen wir, daß die Stirnbereiche für problemlösendes Denken, Vorausplanen oder zielgerichtetes Handeln prägend sind. Dort Geschädigte sind "nicht mehr dazu in der Lage, Handlungen des Menschen flexibel auf neue Situationen einzustellen (kognitive Flexibilität). Das problemlösende Denken und eine vorausschauende Handlungsplanung sind z. T. massiv gestört."
Ein weiterer Hinweis: "Je größer das Gehirn und speziell bestimmte Teile des Frontallappens, desto besser funktioniert das Leben in größeren Gruppen. Der Grund dafür: Um mit anderen erfolgreich zusammenzuleben, muss man sich in sie hineinversetzen können und dafür braucht es einiges an Hirnschmalz. Daher bestimmt die Anzahl der Artgenossen, deren Gedanken und Pläne ein einzelnes Individuum maximal im Blick behalten kann, die größtmögliche Gruppengröße. Heute schätzen Forscher diese maximale Größe auf etwa 150 Individuen, vor 27.000 bis 75.000 Jahren waren es bei unseren Vorfahren etwa 139. Der Neandertaler konnte dagegen wohl nur Gruppen bis höchstens 115 Personen managen."
War dem entsprechend die Fähigkeit des Neanderthalers, langfristige Projekte in größeren Gruppen zu planen und durchzuführen (ein direktes Korrelat der Kulturfähigkeit!), nicht im selben Maße ausgeprägt wie bei uns, weil er im seelisch-geistigen Evolutionsprozeß der Menschheit noch eine jüngere, "kindlichere" Variante darstellte?

Der Neanderthaler könnte "ausgestorben" sein, weniger weil er schlecht an die Umwelt angepaßt gewesen wäre, sondern weil sich die Menschheit insgesamt auf die nächste Stufe entwickelte. Ist auszuschließen, daß sich der Neanderthaler selbst zum modernen Menschen entwickelte oder von neuen, als "Kulturamöben" auftretenden Homo-Sapiens-Gruppen schlicht "aufgesogen" wurde?

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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