das ende vom lied (Freie Themen)

detlef, Freitag, 26.02.2021, 13:10 (vor 1154 Tagen) @ Isana Yashiro (2394 Aufrufe)

moin,

Das betrachte ich als einen Rat und zwar einen brauchbaren.

öh, hmmm... was? das schild lang genug halten, oder Taurec dreimal lesen?

egal, welche bekannte kultur wir betrachten, sie alle widerstanden aeusseren bedrohungen solange sie innerlich "schwung" hatten. solange es grundlegende ideen und ueberzeugungen gab, die von "allen" mitgetragen wurden. also "kulturelle werte".

china: einer der aeltesten (bekannten) kulturkreise. gross geworden durch denker wie Sun Tzu, untergegangen (zum ersten mal) durch mongolische horden, trotz zivilisatorischer meisterleistungen wie die mauer. und zum zweiten und definitiven mal durch christliche barbaren, gegen deren eifer die alternde zivilisation nichts setzen konnte.
komplettisierung des felachentums durch maos kulturrevolution.


... Du willst sagen, daß Kulturen durch Bedrohungen von außen untergehen?

nein. ich bin ueberzeugt, dass aeussere einfluesse erst dann zerstoererisch sein koennen, wenn der "schwung" weg ist. also, wenn der kulturelle kern weitgehend fehlt. erst dann sind kulturkreise angreifbar, wenn nur noch ihre entkernte zivilisatorische huelle uebrig ist.

indien: in meinen augen ein sonderfall. es litt/leidet zwar durch schleichende islamisierung und zeitweise unterjochung durch christliche barbaren, ist aber nie ganz dekulturiert worden.


Indien ist ein Sonderfall dadurch, daß der Europäer dazu neigt Indien als Einheit zu betrachten, weil sich der Subkontinent so schön geographisch abgrenzen läßt. Ethnisch und geschichtlich ist Indien jedoch ein großes Durcheinander. Man müßte schon mindestens die drawitische oder tamilische Kultur im Süden und die brahmanische Kultur in der Ganges-Ebene unterscheiden. Damit hätte man Indien noch längst nicht erfaßt.

jein. - es sind zwar verschiedene kulturen, aber sie haben gemeinsam, dass ihre religioesen kerne noch leben.

...China wird gleichfalls viel zu sehr als einheitlich aufgefaßt, obwohl sich auch China aus unterschiedlichen Ethnien mit eigenen kulturellen und geschichtlichen Eigenheiten zusammensetzt.

die aber allesamt durch den Maoismus ihrer kulturellen werte beraubt wurden.

...
Rom: durch ueberdehnung implodiert, nach zivilisierung durch religioese toleranz. (ich halte die eher unbedeutenden barbarenhorden, die den coup de grâce ausfuehrten, fuer ueberbewertet.)


Die halte ich sehr wohl auch für überbewertet. Was hätten die auch ausrichten können gegen die mächtigste Militärmacht der Welt?

nichts. genau das ist ja meine argumentation.

...
die praecolumbianischen kulturen der americas: sofern sie nicht schon vorher untergegangen waren, befanden sie sich im zustand der zivilisation, wo grosse teile der bevoelkerung durch administrative und militaerische massnahmen bei der stange gehalten wurden, nicht durch ideologie. also leichte beute fuer die barbarischen spanier.

Die präkolumbianischen Kulturen zeigen so schöne Parallelen zu Europa, daß ich wegen denen die Theorie vom Zyklus der Kulturen anerkenne. Die Maya hatten ihren Kulturzyklus abgeschlossen, ihre Städte sind verwaist und danach fielen die Azteken über die Reste her und versuchten noch irgendwie die Zivilisation der Maya fortzuführen. Hier sind wir uns wohl einig.

die inca haben scheinbar ebenso auf den resten einer vorherigen kultur aufgebaut.

und jetzt sind halt "wir" dran. die faustischen europaeer. (samt unserem stiefkind USA, die gleich im zivilisatorischen stil begannen)

seit wann?

seit menschen begannen "rational" zu denken.
wer Il Principe von Machiavelli gelesen hat, ein werk, wo sich das rationale weder hinter ethik, sittlichkeit noch moral versteckt, der muss den anfang des zivilisatorischen denkens auf mindestens AD 1500 ansetzen.


Demnach bist Du mit Taurec uneins. Taurec setzt diesen Anfang ins achtzehnte Jahrhundert, also wohl auf Immanuel Kant, der eine Definition für die Aufklärung lieferte, aber darin nicht die Wiederholung des schon Dagewesenen, sondern selbständiges Denken forderte.

im zweifelsfall wird Taurec recht haben, weil der wesentlich gruendlicher recherchiert, bevor er sich aeussert.

ich troeste mich aber damit, dass so etwas eher ein prozess, als ein bruch ist.
(ausserdem ist Taurec deutlich mehr auf deutschland fixiert, als z.b. ich.)
ich frag mich, ob nicht die italienischen kaufmannsdynastien bereits vorlaeufer der zivilisation waren. wie eben auch Machiavelli.

Luther? irrelevant in diesem zusammenhang. der hat lediglich die zugangsberechtigungen zu den religioesen futtertroegen verschoben. Gutenberg, mit seiner erfindung war wichtiger. der hat die verbreitung von wissen (zivilisatorisch) auf kosten des glaubens (kulturell) gefoerdert.


Die erwähnte Verschiebung geht zwar auch auf Luther zurück, aber das ist nicht das, was ich meinte als ich den Beginn der faustischen Denkweise in seine Zeit verlegen wollte. Gutenberg hat eine ganz nette Erfindung gemacht. Die meisten Erfindungen machen nichts weiter als den Erfinder arm. Um diesem Schicksal zu entgehen mußte Gutenberg die Finanzierung seiner Erfindung wieder hereinholen. Dafür brauchte er Kunden. Dabei sah er sich mit dem Problem konfrontiert, daß die meisten Leute seiner Zeit nicht lesen konnten! Wofür braucht man dann eine Druckerpresse? Gutenbergs Erfindung wurde erfolgreich, weil er genau einen Hauptkunden hatte: Die katholische Kirche. Was vor allem aus Gutenbergs Druckerpresse kam, war die Vulgata, also die Bibel auf Kirchenlatein. Die Analphabeten konnten erst recht kein Latein. Die katholische Kirche war der einzige Abnehmer. Gutenberg arbeitete im Auftrag der Kirche und ganz im Sinne der Kirche. Erst Luther machte den Bestseller dem Volk zugänglich. Das Ziel war keine Verschiebung des Zugangs zu den Futtertrögen. Eigentlich wollte Luther, daß die katholische Kirche aus Einsicht zu früheren Tugenden zurückkehrt. Erreicht hat er, neben der Verschiebung des Zugangs zu den Futtertrögen, daß sich viele Gläubige zutiefst verletzt fühlten, weil sie von ihren Priestern hinters Licht geführt worden waren. Der nächste historische Schritt waren dann die Bauernaufstände. Aber das ist Geschichte. Luthers Einfluß auf die Kultur sehe ich darin, daß Nikolaus Kopernikus, der von 1473 bis 1543 lebte und daher ein Zeitgenosse Luthers war, sich sicher war, daß er nicht riskieren konnte sein Hauptwerk De revolutionibus orbium coelestium zu seinen Lebzeiten zu veröffentlichen, weswegen er dafür sorgte, daß das erst nach seinem Tod geschehen würde. Das Werk wurde in seinem Todesjahr veröffentlicht. Also Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. Galileo Galilei (geb.: 1564) und Johannes Kepler (geb.:1571) lebten um 1600 herum und behaupteten beide öffentllich und zuversichtlich, daß das kopernikanische Weltbild das Richtige sei. Da könne die Kirche noch so sehr widersprechen, dann habe sie einfach nicht Recht.

du hast es selbst indirekt gesagt: Luther war nicht angetreten um die kirche zu zerstoeren, sondern um sie zu verbessern.
er wollte also das rueckgrat der kultur erhalten.
ja, ich stimme dir zu, Kopernikus, Galilei und Kepler waren eindeutig zivilisatorische faktoren.

bis wann noch?

in einem tag, wenn sehr schnell - in fuenf bis zehn jahren, wenn langsam.

was haben all die beispiele oben gemeinsam? - alle kultur/zivilisationskreise waren bereits ausgehoelt, als sie durch leichte tritte von aussen implodierten.
wo steht die westliche welt jetzt?
leere kirchen. also kein religioeser leim mehr, der alles zusammen haelt.


Bedenklicher fände ich volle Kirchen. Das in Europa heute noch praktizierte Gottesdienstkonzept wurde für Analphabeten entworfen. In eine Kirche zu gehen ist wirklich nichts weiter als die Wiederholung eines völlig toten Rituals.

und doch gibt es auch heute volle kirchen. allerdings ohne baenke, beichtstuehle und ohne schuhe. dafuer mit teppich. das finde ich auch bedenklich.

analfabeten? glaub ich nicht so richtig.
die ganzen flugblaetter der bauernkriege hatten nicht nur bilder, sondern auch text. also ist anzunehmen, dass die angesprochenen auch lesen konnten. (allerdings nicht latein)

ps: wer oder was wird der naechste kulturkreis?
ich tippe auf die chinesen. die sind ethisch, moralisch und sittlich rundum "gesaeubert", haben eine grosse masse, sind das volk mit der hoechsten durchschnitts intelligenz und haben eine brauchbare materielle basis.


Ich tippe da ganz und garnicht auf die Chinesen, sondern denke wie Taurec, daß die Chinesen uns nur nachäffen.

ueber das nachaeffen sind die, wie japaner und koreaner bereits weit hinaus. heute entwickeln und produzieren die produkte, die der westen zwar braucht, aber selbst nicht mehr gebacken kriegt.

Möglicherweise sind die Chinesen dank ihrer Masse noch da, wenn alles andere vergessen ist. Dann können sie vielleicht einen neuen Kulturzyklus beginnen. Aber zunächstmal sind sie dabei, sich uns anzupassen und wieweit das einer neuen Kultur zuträglich oder abträglich ist, das ist mir noch nicht klar.

ich wuerde das eher uns nach unseren eigenen spielregeln besiegen nennen.

aber, sag, wer sonst koennte den schwung aufbringen, nach zusammenbruch des weltumspannenden "westlichen" kultur/zivilisationskreises eine neue kultur aufzubauen?

haben "wir" eigentlich schon mal geklaert, was der unterschied zwischen kultur und zivilisation ist?

in meinen augen entstand die abendlaendische kultur im "dunklen zeitalter" mit dem sieg (im westen) der strebenden religion ueber die magischen religionen orientalischen typs.
und die abendlaendische zivilisation, mit dem aufbegehren der ratio gegen den glauben.
und die dekadenz begann mit der verneinung der ratio durch die egalité.
und die sturmreife kam mit der xenophilie und selbstverleugnung.
also:"koenig Arthur" - Darwin - Marx - Merkel

gruss,d


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