Faustisch = Rivalität? (Freie Themen)

Bea, Samstag, 27.02.2021, 19:05 (vor 1153 Tagen) @ Taurec (2230 Aufrufe)
bearbeitet von Bea, Samstag, 27.02.2021, 19:11

Hallo!

Nach wie vor sehe ich keinen Grund, unsere Kultur als faustisch zu bezeichnen, denn wäre sie das, wären faustische Menschen in ihr grundsätzlich willkommen.


Nochmal: Es geht nicht um einzelne Menschen, sondern den emergenten Charakter des Gesamten. Dieser ist faustisch.
Natürlich können innerhalb der Kultur faustische Menschen nur von anderen faustischen Menschen unterdrückt und ausgegrenzt werden, weil nur ein faustischer Mensch einem faustischen Menschen gefährlich werden kann. Wenn beide Seiten nicht gleichartige Gedanken hegten und auf dem selben Felde spielten, gäbe es keine Freund-Feind-Erkennung, sondern ein unbelecktes Aneinandervorbeileben.

Ist denn ein faustischer Mensch automatisch Feind und Rivale eines anderen?
Das kommt mir nun wirklich sonderbar vor.
Wer sucht und forscht und hinterfragt, freut sich doch über jeden, der ihm Denkanstöße gibt und hat 's nicht nötig, zu beweisen, dass er besser ist.
Eine Gefahr ist ein faustischer Mensch doch nur für diejenigen, die Angst vor neuen Erkenntnissen haben, weil sie dann ihre gewohnten Denkbahnen verlassen müssen.

Die Geschichte zeigt aber, dass die meisten Denker und Erfinder seit jeher zunächst auf größten Widerstand stießen und noch stoßen.


Der Rang eines Mannes ergibt sich allerdings nicht daraus, gemocht zu werden. Und zu ihrem eigentlichen Sein gelangen sie überhaupt nur, indem sie auf Widerstand stoßen. Widerstände sind Grundvoraussetzung für Wachstum, ohne die Denker und Erfinder erst gar nicht zu solchen geworden wären. Denken und Erfinden bedeutet grundsätzlich, früher Gedachtes zu widerlegen und Neues zu entdecken. Diese Vorgänge sind (als ein Aspekt des Lebens!) im Kern mit Widerstand der Trägheit des Bestehenden und die Überwindung dessen verbunden.

Nun, ein faustisches Wesen sehe ich als völlig unabhängig von Geschlecht oder Rang.
Das sind einfach Menschen mit einem starken inneren Drang nach Erkenntnis.
Darüber kann man natürlich ewig streiten und es bringt nichts.
Also akzeptiere ich deine Sicht, bleibe aber bei meiner.
Was zu überwindenden Widerstand betrifft, ok, der trägt zur Entwicklung bei.
Wenn er zu groß ist, allerdings eher zur Vernichtung.
Auch hier kommt es auf die Dosis an.

Das fängt - und fing auch früher - schon in der Schule an - den noch unverbildeten und neugierigen Kindern wird nach Möglichkeit das Fragen ausgetrieben.


Was wir heute als Schule kennen, ist die "sozialistische" Spätform der Massen- und Allgemeinschule, die durch den absoluten Staat (der Spätform des Staates) in die Welt gesetzt wurde. Durch die Schulen und Hauslehrer des Mittelalters und der Kulturepoche wurde einer elitären Minderheit, die seelisch und geistig dafür geschaffen und geeignet war, das Denken gelehrt. Zwangsläufig war, daß die Schüler ihre Lehrer schließlich in Frage stellen und hinwegfegen würden, um sie zu ersetzen.

Das scheint mir auch kein sonderlich gutes Konzept zu sein.
Man kann doch einen Lehrer achten und über ihn hinauswachsen, ohne ihn hinwegzufegen.
Schließlich lernt man sowieso nie aus und ein guter Lehrer lernt auch von seinen Schülern.

Weil die moderne Schule gegen die Kultur gerichtet ist, versucht sie das Denken außerhalb bestehender Begriffe zu unterbinden und die in der Kulturepoche entwickelten Strukturen folgerichtigen Denkens aufzulösen, um sie durch Gefühlswertungen zu ersetzen. Wer aber noch etwas wird, der begreift die Schule und die moderne Welt insgesamt als Widerstand, an dem er zu wachsen hat, um ihn schließlich zu überwinden. Wer sich das Fragen austreiben läßt, der hatte es nie in sich. So jemand gehört zur Kategorie "Massenmensch" und "Mitläufer". Das ist meines Erachtens angeboren.

Nun, es könnte sein, dass man echten Suchern das Fragen nicht austreiben kann.
Aber wirklich wissen tun wir das nicht.
Ich weiß jedenfalls von einigen Menschen, die irgendwann aufhörten zu fragen - bzw, sie tun es nur noch da, wo sie sich sicher fühlen.

Und außerdem finde ich es recht billig, wenn sich die Angehörigen einer Bevölkerungsschicht als alleinige Kulturträger sehen und zudem noch meist grade die, die die größten Ausbeuter sind und sich die Zeit zum Kulturschaffen auf Kosten der "Ungebildeten" nehmen.


Auch hier eine Spur modernen sozialistischen Klassendenkens. Mein Geschriebenes bezieht sich auf fundamentale Lebensunterschiede. Die kann man gut oder schlecht finden, sie bleiben wirklich und sind nicht aus der Welt zu schaffen. Je höher die Kultur steigt, desto enger wird es an der Spitze. Die natürlichen Unterschiede der Menschen differenzieren sich bis zur äußersten Schärfe.

Nun, ich denke nicht in Klassen.
Für mich sind das alles Seelen verschiedenen Alters, die sich unter verschiedenen Umständen inkarnieren und auch Fehler machen.
Einer dieser Fehler ist die Einbildung, man wäre etwas Besseres, weil man gebildeter ist.
Mir ist natürlich klar, dass dieser Fehler weiterhin gemacht werden wird und ich habe ihn in jungen Jahren auch selbst gemacht.
Vermutlich gehört auch das einfach zur Entwicklung.

Daß sich die Kulturträger als solche sähen bzw. gesehen hätten, schrieb ich nicht und ist auch zu bezweifeln, weil die kulturelle Entwicklung im wesentlichen ein unbewußter Vorgang ist, der von seinen Trägern gar nicht als absonderlich wahrgenommen wird. Sobald er zu Bewußtsein gelangt, ist er eigentlich schon beendet und Kultur nicht mehr vorhanden.
Darüber hinaus gibt es innerhalb der Kulturhierarchie ein "Pathos der Distanz", das von Gelehrten gegenüber dem Adel ebenso gepflegt wurde, wie vom Adel gegenüber Bürgern und Bauern, aber auch von den breiteren Schichten gegenüber der Oberschicht. Jeder wußte (in der Regel) seinen und des Anderen Platz, erkannte ihn an, wollte selbst nichts anderes sein und den Andern nicht als etwas anderes haben.

Ok, darüber, dass das ein unbewusster Vorgang sein muss, muss ich noch nachdenken.
Was den angestammten Platz betrifft - unsere Zeit ist anders als die alte.
Ein starkes Symbol dafür sind die äußeren Planeten nach Saturn, die ja erst in der neueren Geschichte entdeckt wurden.
Heute geht es nicht mehr darum, seinen Platz bereits vorzufinden, sondern darum, ihn selbst zu suchen und zu gestalten.
Das Rad lässt sich nunmal nicht zurückdrehen, besser, man findet sich damit ab und schaut, was statt dessen im "Angebot" ist.

Zur Kultur gehört mE jeder einzelne Mensch, alleine dadurch, dass er existiert, wirkt er im Ganzen mit und darauf ein.


Zu unterscheiden ist zwischen "Kultur" (Spenglers "C") und "Hochkultur" (Spenglers "D"). Kultur hatten auch die Germanen vor der Christianisierung. Sie setzte sich ohne großen Bruch auch nach der Christianisierung in der Volkskultur bis in unsere Zeit fort. Sie endete erst, als der Bauernstand abgeschafft und die Menschen zu entwurzelten Weltstadtnomaden wurden. Darüber thronte als "Elitenprojekt" die Hochkultur. Zwar war diese nur auf den Schultern der niederen Stände möglich, jedoch litten diese während der gesamten Geschichte weit weniger unter "denen da oben" (profitierten vielmehr in vielfältiger Hinsicht) als die modernen Weltstadtnomaden unter ihren "gewählten Vertretern". Die Ausbeutung der Bauern ist bloß ein modernes, sozialistisches Vorurteil, das die eigentlichen und einzig wahren Ausgebeuteten der Gegenwart sich besser fühlen lassen soll.

Und was ist mit den ganzen Bauernaufständen, als es erst sehr wenige Weltstädte gab?
Fanden die ganz ohne Grund statt?

Allerdings sehe ich nicht ein, dass man deren Werke ungeprüft im Ganzen schlucken sollte.


Hat auch niemand verlangt. Aber den Rang eines vorzüglichen Werkes, auch wenn man ihm inhaltlich nicht zustimmt, sollte man schon erkennen und differenzieren können.

Kann man machen, wenn man auf Rang Wert legt.


Grüße, Bea


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