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Renaissance und Religion (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 05.03.2021, 08:04 (vor 1140 Tagen) @ Gustav Waschbär (2234 Aufrufe)

Hallo!

Ist das nicht eine der grundsätzlichen, wenn nicht sogar die grundsätzliche Eigenschaft der Renaissance (= "Wiedergeburt"), dass die Ideale der griechischen Philosophie und Logik wieder in den Mittelpunkt gerückt wurden, was zwingend zu einer Abkehr von Religionen führen muss?

Nöö.
Nostradamus war beispielsweise gleichermaßen religiös, wie er Renaissancemensch war.
Zum Triumph des rationalen, mit Logik argumentierenden Nihilismus über die Religion kam es erst ab ca. 1800, also 300 bis 400 Jahre nach Beginn der Renaissance. Gleichwohl gab es mit der Renaissance eine Hinwendung auf den Menschen, das Individuum und seine Fähigkeiten, was aber erst ins Negative kippte, als (zusätzlich) die Verbindung zur Religion verloren ging. In der Renaissance war man bestrebt, die Antike und das Christentum unter einen Hut zu bringen, das christliche Weltbild des Mittelalters also zu erweitern.

"In früheren Etappen der wissenschaftlichen Untersuchung der Renaissancekultur wurde oft behauptet, ein Merkmal der Humanisten sei ihr distanziertes Verhältnis zum Christentum und zur Kirche gewesen oder es habe sich sogar um eine antichristliche Bewegung gehandelt. So betrachtete Jacob Burckhardt den Humanismus als atheistisches Heidentum, während Paul Oskar Kristeller nur eine Zurückdrängung des religiösen Interesses konstatierte. Eine andere Deutungsrichtung unterschied zwischen christlichen und nichtchristlichen Humanisten. Die neuere Forschung zeichnet ein differenziertes Bild. Die Humanisten gingen von dem allgemeinen Grundsatz der universalen Vorbildlichkeit der Antike aus und bezogen dabei auch die „heidnische“ Religion ein. Daher hatten sie zum antiken „Heidentum“ in der Regel ein unbefangenes, meist positives Verhältnis. Es war bei ihnen üblich, auch christliche Inhalte in klassisch-antikem Gewand zu präsentieren samt einschlägigen Begriffen aus der altgriechischen und altrömischen Religion und Mythologie. Die meisten von ihnen konnten dies mit ihrem Christentum gut vereinbaren. Manche waren wohl nur noch dem Namen nach Christen, andere nach kirchlichen Maßstäben fromm. Ihre weltanschaulichen Positionen waren sehr unterschiedlich und in manchen Fällen – auch aus Gründen der Opportunität – vage, unklar oder schwankend. Häufig suchten sie nach einem Ausgleich zwischen gegensätzlichen philosophischen und religiösen Auffassungen und neigten zum Synkretismus. Es gab unter ihnen Platoniker, Aristoteliker, Stoiker, Epikureer und Anhänger des Skeptizismus, Geistliche und Antiklerikale.
Ein wirkmächtiges Konzept war die Lehre von den „alten Theologen“ (prisci theologi). Sie besagte, dass große vorchristliche Persönlichkeiten – Denker wie Platon und Weisheitslehrer wie Hermes Trismegistos und Zarathustra – dank ihren Erkenntnisbemühungen und göttlicher Gnade einen kostbaren Wissensschatz über Gott und die Schöpfung erlangt hätten. Diese „alte Theologie“ habe einen wesentlichen Teil des Weltbilds und der Ethik des Christentums vorweggenommen. Daher komme den Lehren solcher Meister auch unter theologischem Gesichtspunkt der Rang von Erkenntnisquellen zu."
(Quelle)

Weltbild, das so "klein" ist (flache Erde, mit Käseglocke oben drauf)

Das ist ein modernes Vorurteil, mit dem sich der bereits deutlich zurückentwickelte zivilisierte Mensch seit dem 19. Jahrhundert das Mittelalter schlechtredet, um sich selbst überlegen zu fühlen (seine faktische Unterlegenheit durch Projektion in gefühlte Überlegenheit umzuwandeln).
Siehe auch hier.
Wie degeneriert und intellektuell heruntergekommen heute einige bereits sind, zeigt sich darin, daß es zunehmend Leute gibt, die an die flache Erde glauben (und noch sehr viel anderen, nicht weniger groben Unsinn) und für bare Münze nehmen, was früher eher ein mythologisches Sinnbild war. ;-)

Ich würde behaupten, dass es sogar explizit faustisch ist, genau dieses Korsett der Religion irgendwann abzulegen, eben weil es dem faustischen Naturell so widerspricht, ohne Weiterentwicklung, ohne Beantwortung dringender Fragen, einfach so an ein einziges Buch zu glauben, in dem vom Tage seines Erscheinens an, bis in alle Ewigkeit, alle Fragen der menschlichen Existenz bereits beantwortet sind.

Auch in der Zeit vor der Renaissance fußte man auf der Antike, insbesondere auf Aristoteles, schlicht weil man z. B. Platons Werke noch nicht wiederentdeckt hatte. Mit aristotelischer Logik als Ausgangspunkt waren die Scholastiker u. a. bestrebt, biblische Aussagen zu "entschärfen" und für den faustischen Geist sinnvoller zu machen, indem man z. B. die Gültigkeit relativierte und verschiedene Bedeutungsebenen unterstellte. Man kann das wohl als Vorbereitung des Ablegens eines "Mühlsteines" deuten, den sich die Europäer mit der Bibel selbst um den Hals gehängt hatten. Der Ausbruch war dann ab Luther gelungen, den Spengler als "letzten großen Scholastiker aus der Schule Occams" bezeichnete.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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