Liebgewonnene Überzeugungen (Freie Themen)

Bernhard_Berlin, Mittwoch, 21.09.2022, 15:58 (vor 583 Tagen) @ Pat (2834 Aufrufe)

Guten Tag Pat, guten Tag allerseits,

wir alle haben liebgewonnene Grundüberzeugungen, die auch durch solche Nebensächlichkeiten wie offensichtliche Fakten oder logische Überlegungen nur schwer zu erschüttern sind, einfach weil es schmerzhaft wäre, sie zu überdenken. Da nehme ich mich nicht aus.

Das mag das Festhalten an irlmaierschen Narrenpossen sein, oder auch der Glaube, mutig allein die Wahrheit gegen eine erdrückende Mehrheit angeblich Minderbemittelter zu verteidigen, die alle einem ekelerrengenden oder irregewordenen Zeitgeist anhängen, den man schon aus Prinzip ablehnt. Das ist psychologisch doch auch nur zu verständlich, denn die Vorstellung, sich vor allen anderen durch besonderen Durchblick auszuzeichnen, ist für das Ego doch sehr schmeichelhaft. Selbst wenn in den meisten Fällen, wenn man sich von hunderten Geisterfahrern bedroht sieht, die Wahrheit doch eher darin liegt, dass man selber auf die falsche Spur geraten ist. Je intelligenter der Vertreter einer solchen Haltung, desto schwerer ist es für ihn, sie zu hinterfragen -- denn sind nicht wirklich die meisten Menschen offensichtlich weniger intelligent und bestätigen mit ihren Narrenpossen die eigenen Vorurteile jeden Tag aufs Neue? Wer weniger Hirnschmalz zur Verteidigung seiner Irrtümer aufzubringen hat, kann sich damit trösten, abseitige Schwadronaden vermeintlich Erleuchteter in muffigen Ecken des Internets zu der Wahrheit zu erklären, die die finsteren Mächte uns nicht wissen lassen wollen und deren Kenntnis sie über den dummen Mob erhebt.

So mag es durchaus sein, dass man an besonders kreativen Geschichtsinterpretationen festhält, weil man grundsätzlich und aus Prinzip keinen neuen Gedanken mehr für satisfaktionsfähig hält, der in diesem Land nach 1945 gedacht und niedergeschrieben wurde. Oder seit der Veröffentlichung von Oswald Spenglers Hauptwerk 1920. Der Segen einer solchen Mentalität liegt darin, dass sie in Einzelfällen die blinden Flecken des heutigen Zeitgeists zu erleuchten Vermag. Öfter jedoch dürfte sie den Blick auf Offensichtliches verstellen.

Zum Beispiel allein schon die Erkenntnis, dass es nicht allzu plausibel ist, dass ein popeliger Agrarstaat mit knapp 30 Millionen Einwohnern seine berittenen Einheiten mobilisiert, um einen mehr als drei Mal so großen modernen Industriestaat mit einer der schlagkräftigsten Armeen seiner Zeit brutal zu überfallen und seine vereinten Panzerarmeen niederzutrampeln. Was einem selbst dann auffallen dürfte, wenn man nicht Geschichte studiert hat.

Dass Menschen, die seit Jahrzehnten damit beschäftigt sind, sich mit bloßen Händen Löcher zum verstecken zu graben, weil sie Angst vor ihrem eigenen Schatten haben (oder dem Schatten von Irlmaier, Feldpostbriefen und Konsorten), und damit einen nicht unerheblichen Teil ihrer Lebenszeit schlicht verschwendet haben, nicht gerade zu den letzten gehören werden, die aus psychologischen Gründen umso stärker das Bedürfnis haben, dieser Verschwendung einen Sinn zu geben -- geschenkt. Spieler hören auch allein deswegen nicht auf, wenn sie verlieren, weil sie schon so viel investiert haben, dass es sich am Ende gelohnt haben soll.

Und wahrscheinlich ist es auch nicht verwunderlich, dass sie so dünnhäutig sind, dass sie wegen ein paar, im globalen und historischen Vergleich doch lächerlichen Einschränkungen, wie etwa Preissteigerungen oder Lieferengpässen, ein Gekreische anstimmen, als sei wortwörtlich der Untergang des Abendlandes gekommen, obwohl sie nach wie vor in einem der wohlhabensten und sichersten Länder dieser Welt leben, was sie aber nicht davon abhält, dieses Land nach Kräften zu verleumden und zu hassen. Unsere Großeltern waren nicht solche Weicheier, dass sie in Tränen ausbrachen, sobald man sich mal etwas wärmer anziehen musste. Die waren aus anderem Holz geschnitzt.

Das alles sind aber nur flüchtige Gedanken. Gut möglich, dass ich am Ende feststellen muss, dass ich der Geisterfahrer war.

Mfg
Bernhard


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