Andere Ideen (Freie Themen)

Bernhard_Berlin, Mittwoch, 21.09.2022, 14:15 (vor 582 Tagen) @ Giraffus (2930 Aufrufe)

Guten Tag Giraffus, guten Tag allerseits,

Du fragst nach anderen Ideen: Natürlich habe ich keine Glaskugel, weder im wörtlichen, noch im übertragenen Sinne, zumal BBouvier (sowie Taurec und andere) mit ihrer unermüdlichen, rational-wissenschaftlichen Sezierung der angeblichen Schauungsquellen aufgedeckt haben, dass man sich auf diese wohl kaum verlassen kann. Welche wenigen Quellen, wenn überhaupt welche, valide Zukunftsschauen bieten, ist mehr als unsicher. Man muss keine bigotte französische Hausfrau des 19. Jahrhunderts sein, um sich angesichts dessen an das Neue Testament zu erinnern: "Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater."

Zur Zeit bin ich geneigt zu glauben, dass diejenigen Konservativen und Rechten, die eine ausgeprägte pessimistische Skepsis gegen das westliche Gesellschafts- und Regierungsmodell hegen und fest davon überzeugt sind, dass der Westen sich im Niedergang befinde, möglicherweise Opfer ihrer eigenen Vorurteile werden und infolgedessen Russland spektakulär überschätzen.

Man mag über den Westen denken, was man will; was mir offensichtlich scheint, ist das Russland eine durch und durch, bis in Stumpf und Stiel verrottete, korrupte Gesellschaft ist, mit einer Regierung, die aus einer kleptokratischen Elite aus Geheimdienst- und Militärcliquen im Verbund mit einigen Oligarchen, die sich auf Kosten der Bevölkerung alle Gesetze ignorierend gesundgestoßen haben, zusammensetzt, die mit einer Kombination aus billiger Lügenpropaganda, Unterdrückung, Terror und Manipulation regiert.

Wie man ein solches Gesellschafts- und Regierungsmodell ernsthaft mit einiger Hoffnung als potentiellen Retter der abendländischen deutschen Kultur vor westlich-kapitalistischem Gesellschaftsverfall sehen kann, ist für mich völlig unbegreiflich.

Meine Familie hat so einige Erfahrungen mit Stalins Arbeiter- und Bauernparadies sammeln können; kurzgesagt: Ich glaube, der Hauptgrund, aus dem die DDR so beschissen war, war nicht, dass die Besatzer Sozialisten waren, sondern dass sie Russen waren. Korruption, Misstrauen und Unzuverlässigkeit prägen die russische Kultur von der höchsten Ebene bis hin zum Alltag der einfachen Menschen.

Was den Westen und die USA angeht: Nun, als Grieche konnte man auch dann ein sehr gutes, zufriedenes und würdiges Leben führen, als Griechenland Teil des Römischen Reiches geworden war. Trotz aller Einwände kann ich nicht sagen, dass ich die amerikanische Vorherrschaft als besonders ungünstig für mein Land ansehe. Insbesondere wenn die Alternative darin bestünde, von einer moralisch völlig verrotteten russischen Elite als Satellit ausgebeutet und durch billige Lügen ruhiggestellt zu werden. Letzteres herbeizusehnen, erscheint mir doch eher wie ein ziemlich klarer Fall von Vaterlandsverrat.


Lange Rede usw: Ich bin alles andere als davon überzeugt, dass der Westen so kurz vor dem Zusammenbruch steht (oder meinetwegen auch langfristig, im Zeitraum von 15 bis 20 Jahren), wie so mancher hier munkelt. Dennoch sehe ich vor allem zwei Möglichkeiten, wie es trotz allem ziemlich eng für uns werden könnte:

1. Die USA werden aufgrund innenpolitischer Entwicklungen handlungsunfähig. Die Bewegung des Trumpismus, eine russische Fünfte Kolonne im Herzen des Westens, von der die Sowjets nur träumen konnten (Faschismus ist im Westen eben anschlussfähiger als Sozialismus), könnte durchaus noch eine Situation herbeiführen, in der die USA ihre europäischen Verbündeten nicht länger schützen können oder wollen. In diesem Fall ist hier über kurz oder lang, eher kurz, Schicht im Schacht und wir können Russisch lernen.

2. Der militarische Konflikt in der Ukraine eskaliert militärisch. Etwa durch russischen Einsatz von chemischen oder atomaren Waffen könnte die US-Regierung es für nötig halten, selbst direkt mit eigenem Militär zu reagieren, etwa durch Angriffe auf russische Ziele in der Ukraine. Wenn dann Putin noch einen draufsetzt, kann das schnell in einer Eskalationsspirale münden, die nicht mehr kalkulierbar wäre. Dann wäre alles offen.

Was das Geraune angeht, es sei "etwas im Busch", so denke ich nicht, dass das in dem Sinne der Fall wäre, dass die US-Regierung einem Drehbuch folgt und Ereignisse, wie etwa die Ausrufung eines Notstandes o.Ä. von Vornherein feststünden -- aber selbstverständlich haben die Verantwortlichen dort Pläne für alle Eventualitäten in der Schublade, die hervorgezogen würden, wenn die Sachlage es erfordert. Selbst wenn also die Hoffnung besteht, dass Putin auf andere Weise reagieren wird und man solche Schritte also wird vermeiden können, so ist man dennoch auf den Fall vorbereitet, dass Putin doch am Rad dreht. Zumindest wenn die Verantwortlichen ihre Arbeit richtig machen.

Soweit meine Ideen.

Mit besten Grüßen,
Bernhard


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