Klassiker der "Staatsphilosophie" (Schauungen & Prophezeiungen)

Gerhard, Freitag, 06.01.2012, 03:22 (vor 4496 Tagen) @ rauhnacht (9373 Aufrufe)

Mit der Nennung von Schicksalsjahren, die dann z. B. bei vielen Bewohnern eines Dorfes, welches von einem Unglück heimgesucht wird, gleich wäre, würd ich mich schon zufrieden geben. Bis dato ist mir so etwas nicht bekannt.

Niccolo Machiavelli, Discorsi, I. Buch, 56. Kapitel


Bevor in einem Lande oder in einer Stadt große Ereignisse eintreten, gibt es Zeichen und Wunder, die sie verkünden, oder es treten Menschen auf, die sie vorhersagen.

Woher es kommt, weiß ich nicht, aber man sieht aus alten und neuen Beispielen, dass sich in einer Stadt oder in einem Land niemals ein schwerwiegender Vorfall ereignete, der nicht durch Wahrsager, Prophezeiungen, Wunder oder andere überirdische Zeichen vorhergesagt worden wäre.

Zum Beweis brauche ich nicht außer Landes zu gehen. Jedermann weiß, wie oft Bruder Girolamo Savonarola den Kriegszug des Königs Karl VIII. von Frankreich nach Italien vorhergesagt hatte, und dass man außerdem in der ganzen Toscana erzählte, man hätte über Arezzo in der Luft Bewaffnete gehört und gesehen, die miteinander im Handgemenge kämpften.
Außerdem weiß jeder, dass vor dem Tod Lorenzos de Medici des Älteren die oberste Spitze des Doms von einem Blitz getroffen wurde, wodurch der Bau außerordentlichen Schaden erlitt.
Auch weiß noch jeder, wie kurz bevor Piero Soderini, der auf Lebenszeit vom florentinischen Volk zum Gonfaloniere bestellt worden war, vertrieben und seiner Würde beraubt wurde, der Palast gleichfalls vom Blitz getroffen wurde.

Man könnte noch viele Beispiele anführen; ich unterlasse es aber, um nicht langweilig zu werden. Nur ein Beispiel will ich noch erzählen, das sich nach dem Bericht des Titus Livius vor dem Einfall der Gallier in Rom zutrug. Ein gewisser Marcus Caeditius nämlich, ein Plebejer, berichtete dem Senat, er habe um Mitternacht, als er durch die neue Straße ging, eine übermenschlich laute Stimme gehört, die ihm befohlen habe, den Behörden zu melden, dass die Gallier nach Rom kämen.

Hiervon müsste, so meine ich, einmal einer, der über jene natürlichen und übernatürlichen Dinge Bescheid weiß, von denen wir selbst keine Ahnung haben, die Ursache untersuchen und klären. Es könnte nämlich sein, so meint ein gewisser Philosoph, dass die Luft mit Geistern erfüllt ist, die die Gabe haben, die Zukunft vorherzusagen, und die die Menschen aus Mitleid durch derartige Zeichen warnen, damit sich entsprechend vorbereiten können. Wie dem auch sei - fest steht jedenfalls, dass immer nach solchen Erscheinungen auch außerordentliche, unerwartete Dinge geschehen.


[Zitat der Seiten 152 und 153 von Machiavelli, Niccolò: Discorsi - Gedanken über Politik und Staatsführung; 3., verb. Aufl. / übers., eingel. u. erl. von Rudolf Zorn; mit einem Geleitw. von Herfried Münkler. Stuttgart : Kröner, 2007. - XCI, 506 Seiten]


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