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Stormberger und Autobahn (+ Nachtrag) (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 16.08.2015, 18:47 (vor 3138 Tagen) @ Taurec (7985 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Sonntag, 16.08.2015, 19:17

Hallo!

Dieser Satz beim Starnberger hat es in sich:

"Danach werden neue Straßen durch wilde Berge und Täler gemacht werden, daß man es auf zwei Stunden weit sehen kann und an allen Orten große Aufgänge angeworden werden."

Die Bodenmaiser Handschrift, die hier zitiert ist, wurde vom niederbayerischen Heimatforscher Reinhard Haller 1966 unter antiquarischen Schriftstücken im Bergamt Bodenmais aufgefunden.

Zur Datierung legte er das Blatt den Experten im Bayerischen Staatsarchiv in München vor, die es nicht durch Analyse des Papiers, sondern Eigenheiten der Schriftführung (seltene Großbuchstaben, Ligaturen etc.) auf den "Zeitraum von etwa 1780 bis 1800" datierten. Sollte der Autor zum Zeitpunkt der Abfassung bereits im fortgeschrittenen Alter gewesen sein, käme spätestens die Zeit um 1820 in Frage.

Im Original lautet der obere Satz:
"Darnach werden neue strasen durch wilde Perg und Deller gemacht werden das Manns auf zwey stundt weith sehen kann und an allen orden grosse. auf geng angeworden werden [...]" (Wie es inhaltlich weitergeht, läßt sich dem Vollzitat im Vorbeitrag entnehmen.)

Um 1800 waren Straßen durch die Wildnis in der Regel höchstens zweispurige Schotter- oder (matschige) Feldwege.

Straßen, die auf zwei Stunden, also ca. aus 10 bis 12 km Entfernung sichtbar sind, dürften, wie schon von BBouvier erwähnt, Autobahnen sein.

Richtig erhärtet wird es durch den Satz "an allen Orten große Aufgänge".
"Angeworden" ist ein uraltes deutsches Wort. Bedeutung laut Grimms Wörterbuch wohl (vor allem später) nicht nur "verheiraten", sondern allgemein "teilhaftig sein", "haben", "anbringen". Zu Grimms Zeiten (erste Hälfte des 19. Jahrhunderts) war das Wort nur noch in Bayern lebendig, was für das Alter der Handschrift spricht.

Folglich steht hier: An selbige Straßen werden an allen Orten "Aufgänge" angebracht/eingerichtet werden.
Auch das wäre bei früheren Straßen völlig unverständlich. Auf die fast gleichlautend bezeichnete Autobahn-Auffahrten paßt es jedoch:

[image]

Für 1800 bis 1820 phänomenal und eine Bestätigung, daß sich auch in der Volkssage trotz undurchsichtem Ursprunge der Aussagen Richtiges verbergen kann.

Nachtrag: Der Verfasser der viel jüngeren Rabensteiner Handschrift (Ende des 19. Jahrhunderts) der Stormbergerprophezeiung, der aus älteren Handschriften abgeschrieben haben dürfte, konnte mit "angeworden" schon nichts mehr anfangen, so daß der Satz bei ihm abgefälscht wurde zu:
"Es werden auch vorher weiße Straßen in wilde Berge und Täler gemacht werden, daß man sie auf 2 Stunden sehen kann. Und an allen Orten Aufwand angewendet werden und die Leute werden froh sein, wenn eins das andere wieder sieht und wer noch von einem Bekanten hört, denn die Leute werden so wenig werden daß man es leicht zählen kann."

Anmerkungen:
1. Weil man auch damals noch nicht wissen konnte, warum die Straßen weithin sichtbar sein sollten, dachte sich jemand: "die müssen wohl leuchtend weiß sein". So kam das "Weiß" in die Prophezeiung. Das Wort steht auch schon in der um 1840 verfaßten Tittlinger Stormbergerhandschrift.

2. "Angeworden", also "angebracht", zieht er mangels Verständnis des Wortes zum nächsten Satz, bzw. macht eine völlig neue Information daraus, nämlich irgendwelche diffusen "angewendeten Auwendungen", welche die Leute machen würden.

Auf diese Art werden in der Überlieferung womöglich einstmals richtige und echte Schauungsfragmente nach dem Flüsterpostprinzip bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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