Odilien-Weissagung & Feldpostbriefe (Schauungen & Prophezeiungen)

randomizer, Mittwoch, 26.08.2015, 20:51 (vor 3128 Tagen) @ Ulrich (8548 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Freitag, 30.06.2017, 18:34

Hallo Ulrich!

ich schrieb:

Das einhellige Urteil derer ignorierend, die sich seit 1916 mit Stofflers Fälschung auseinandergesetzt haben, gaukelt Renner damit seinen Lesern vor, der Text der Feldpostbriefe als Ganzes stehe in einer tradierten Überlieferung. ... Unter Vorgaukelung des Bezugs auf eine tradierte Überlieferung - tatsächlich aber eine ausgewiesene Fälschung - gelingt Renner der Kunstgriff ...


Damit unterstellte ich Frumentius Renner, er hätte vorsätzlich seine Leser getäuscht.
Jemand, der Renner persönlich als "absolut integrer, hochgebildeter und zurückhaltender, eher stiller "Weiser"" kannte, hat mich erfreulicherweise darauf hingewiesen, daß es sich bei meinem Vor-Urteil um ein Fehl-Urteil handelt. Da ich es nicht "zurücknehmen" kann, möchte ich es zumindest richtigstellen: Offensichtlich ist Renner dieser St.-Ottilia-Fälschung selbst aufgesessen.

Ja, oben hast Du Frumentius Renner wirklich Unrecht getan, danke BBouvier für den direkten Hinweis und Ulrich für die schnelle Korrektur!

"In Deutschland war die Verbreitung dieser (Pseudo-)Odilien-Weissagung bereits im ersten Weltkrieg verboten, während des zweiten Weltkrieges wurden sogar mehrere Personen wegen der 'Verbreitung/Weitergabe der Weissagungen der hl. Ottilie' verurteilt und enthauptet [Vorwurf: Wehrkraftzersetzung]." (Quelle: Christian Dörschner; http://www.zvab.com/catalogSearch.do?numCat=11&id=937&anyWords=01347 )
Es mag sein, daß dieser Umstand Renners Recherche erschwerte.

Vermutlich hat Renner an dieser Stelle gar nicht weiter recherchiert, sondern ist hier nur Gewährsmann für die weite mündliche Verbreitung der Odilien-Prophezeiung seinerzeit. Falls Renner den genauen schriftlichen Odilien-Wortlaut überhaupt kannte, dann wohl am ehesten aus Ellerhorsts Anthologie "Prophezeiungen über das Schicksal Europas." (Ende 1950).

Wie gesagt, schon im ersten Weltkrieg war der Druck der Weissagung im Deutschen Reich unerwünscht, später während des zweiten Weltkrieges war die Verbreitung sogar streng verboten, mehrere Menschen wurden (noch 1944/45) namentlich deswegen exekutiert. Aus der Zeit vor 1950 gibt es nur eine Handvoll Druckschriften (allesamt sehr selten) die den deutschen Wortlaut der Odilien-Weissagung erhalten haben. Die früheste wurde in Straßburg (1938 durch Louis Emrich) gedruckt, zwei oder drei weitere deutschsprachige Kleinschriften erschienen später (während des Krieges) in der Schweiz, wo sie ja von der Konfiszierung durch das NS-Regime nicht betroffen waren.

Renner hatte 1953 also kaum keine Chance, hier weiter nachzuforschen. Selbst auf französisch hätte er Mühe gehabt: Stofflers Original (1916) war damals ganz sicher nicht antiquarisch 'im Umlauf' und daß er Alfarics ausführlichen und kritischen Aufsatz noch nicht kannte, darf man Renner unmöglich vorwerfen. Im übrigen hat Renner die (eigentlich sensationelle) Geschichte von den Feldpostbriefen immer sehr vorsichtig/zurückhaltend, bescheiden und unaufgeregt behandelt. Seine beiden entsprechenden Artikel erschienen ja nur in kleinauflagigen Zeitschriften, endzeitliche Sensationsheischerei oder andere unlautere Motive/Methoden waren bei Renner ganz gewiss nie im Spiel.

Renner irrt mit seinem Vergleich auch gar nicht wirklich, meiner Meinung nach beweist er (im Rahmen seiner Möglichkeiten) sogar eine recht gute Intuition. Die Feldpostbriefe und die (Pseudo-)Odilien-Weissagungen eint nämlich dreierlei:

a) beide stammen aus dem (Ober)Elsaß
b) beide stammen ziemlich genau aus der gleichen Zeit (1914/1916)
c) beide sagen erstaunlich genau die Ereignisse des zweiten (!) Weltkrieges (bzw. der 1930/40er-Jahre) voraus
(d) die Odilien-Prophetie ist ja in lupenreinem Latein verfasst, was gut zu dem (sprach-)gebildeten prophetischen Elsässer passen würde

Nebenbei ist es übrigens ein bemerkenswerter Zufall (!), daß zwei Prophezeiungen, die sich auffällig ähneln bzw. gut ergänzen auch noch namentlich dermaßen verwandt sind. In Frankreich als "Prophétie de Sainte Odile" bekannte, taucht sie in Form der "Feldpostbriefe" (dank Rill/Renner) ausgerechnet im Mutterkloster St. Ottilien auf und wird dort viele Jahrzehnte lang aufbewahrt. Ich will übrigens auf gar nichts hinaus (Fälschung, Lancierung oder so), manchmal gibt es ja einfach erstaunliche Zufälle bzw. es war gar Schicksal/Vorsehung, immerhin sind die Feldpostbriefe ja eine Art Riss in der Matrix.

Eine ganz belanglose Parallele fällt mir nebenher gerade noch ein: Rills Heimat und das nahe Kloster St. Ottilien liegen ja im Kreis Landsberg (am Lech). Sigolsheim (mutmaßlich die Heimat des prophetischen Elsässers) gehörte einst auch zu einer Herrschaft 'Landsberg'. Dies nur als unbedeutende Koinzidenz (ein weiterer kleiner Zufall) am Rande.

Viele Grüße
randomizer

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PS: Leider kann ich den interessanten Thread gerade nicht an allen Stellen kommentieren, den Resumées von Taurec und Ulrich stimme ja ohnehin zu:
Taurec:

Vom klassischen Szenario dürfte bei konsequenter kritischer Betrachtung nahezu nichts übrigbleiben.

Ulrich:

Kurzum, ich meine, die Quellen aus kirchlichem Milieu sollten dringend hinsichtlich bewusster Fälschung zum Zwecke kirchenpolitischer Propaganda untersucht werden.


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