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Die Schwelle der Unsicherheit (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 10.05.2018, 09:38 (vor 2185 Tagen) @ Ranma (らんま) (3304 Aufrufe)

Hallo!

Die Entwicklung linear zu extrapolieren, wird wohl nicht funktionieren, da die Entdeckung/Bestätigung Außerirdischer eine ganz andere Qualität wäre, die bis heute nicht ansatzweise erreicht wurde.


Genau deswegen behaupte ich, daß das so manche Veränderung in unserer Gesellschaft nach sich ziehen wird! Es geht nicht darum, daß wir oder extraterrestrische Wesen interplanetar reisen oder wir mit denen kommunizieren. Vielmehr wird der Effekt ähnlich sein wie der des ersten Photos von der Erde, das vom Weltraum aus aufgenommen wurde. Von dem wird behauptet, daß es einen Bewußtseinswandel in der Art auslöste, daß der Schutz der Umwelt seitdem ein ernstzunehmendes politisches Ziel wurde. Einen ähnlichen Bewußtseinswandel sollte die Entdeckung außerirdischen Lebens nach sich ziehen. Das fremde Leben braucht dafür nichtmal besonders intelligent sein.

Ich meinte damit aber, daß die technischen Voraussetzungen für die Entdeckung Außerirdischer eine ganz andere Qualität hätten als die bislang zur Verfügung stehenden Mittel. Deswegen hat es keinen Sinn durch Extrapolation der Einschätzungen der Wissenschaftler auf den Zeitpunkt der Entdeckung/Bestätigung Außerirdischer zu schließen, wenn die für diesen Punkt nötigen Voraussetzungen nicht vorhanden sind. Der Punkt wird sich dem entsprechend wie ein Limes gegen Unendlich immer weiter in die Zukunft verlagern.

Mit dem Photographieren hunderte Lichtjahre entfernter Planeten ist der Beweis noch nicht erbracht. Man kann allenfalls Erdähnlichkeit feststellen, aber keine abschließende Aussage über dort existierende Leben geschweige denn seine Empfindungsfähigkeit machen.

Daß die Entdeckung Außerirdischer an sich womöglich eine andere Qualität des menschlichen Bewußtseins mit sich brächte, ist eine ganz andere Frage. Man kann aber nicht von diesem einem Glaubenssatze gleich ans Ende des Denkprozesses gesetzten Zustande sich alles Dazwischenliegende nach dem Motto "Es wird schon so funktionieren, weil es sein muß!" zurechtdenken.

Ja, genau. Man wollte vor den 1960ern schon an die Existenz extrasolarer Planeten nicht glauben! Deswegen konnte man auch nicht daran glauben, daß solche in habitablen Zonen liegen, Wasser führen oder Leben hervorbringen könnten, weil schließlich nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Die Drake-Formel erfüllte genau den Zweck, jene Annahmen von damals als religiös und als eine Art Äquivalent zum Gottesbeweis zu entlarven.

Das Problematische daran ist, daß man innerhalb eines "Framings", also eines Denk-/Deutungs- und Kommunukationsmusters/-rahmens nur mit dazu passenden Gedankenformen reagieren kann.
Heißt: Wer religiöse Annahmen ersetzen will, kann dies nur in Form anderer religiöser Annahmen tun. Man kann Axiomen, die qua natura nicht begründbar sind, weil sie Grundsätze darstellen, die man als geglaubte Ausgangspunkte für Denkprozesse in den Raum stellt, nur andere Axiome entgegensetzen, die aber ebenfalls "nur" behauptete und geglaubte Annahmen über die Welt sind. "Nur" in Anführungszeichen, weil es schon eine gewaltige geistige Leistung ist, kausal bis zum Ursprung zurückzudenken und Axiome überhaupt zu erkennen, geschweige denn zu formulieren. Das ändert aber nichts daran, daß man, gleich ob man einen religiösen oder wissenschaftlichen Ansatz pflegt, stets in irgendeiner Form auf unbegründeten Annahmen fußt.

Weil es uns gibt, deshalb kann kein einziger der Faktoren der Drake-Gleichung gleich null sein. Es muß eine Mindestwahrscheinlichkeit für jeden einzelnen Faktor geben, damit es uns geben kann. Aber wenn man jedem dieser Faktoren eine Mindestwahrscheinlichkeit zugesteht, dann muß es sehr viele Zivilisationen geben. Dazu kommt über die Jahre dann noch, daß es für die Existenz erdähnlicher Planeten und habitabler Zonen inzwischen nicht mehr nur ein Beispiel gibt! Damit wären alle Vorschläge geringer Wahrscheinlichkeiten für die entsprechenden Faktoren widerlegt. Man müßte die Wahrscheinlichkeiten Jahr für Jahr nach oben korrigieren.

Eine Wahrscheinlichkeit ist leider noch keine Sicherheit, mag sie auch noch so hoch sein. Das liegt in der Natur der Sache und berührt genau den Punkt, den ich mit meinem Beitrag ansprach. Die Restunsicherheit, die per se mit einem Beweis unvereinbar ist, läßt sich mit den gängigen Methoden nicht ausräumen.

Man muß den Außerirdischen schon persönlich die Hand schütteln oder zweifelsohne von außerhalb des Sonnensystems kontaktiert werden, um sie aus dem Reiche eines rational untermauerten Glaubens in die Sphäre der politischen Tatsachenwelt zu heben.

Möglicherweise ist dir nicht klar, daß Mathematik keineswegs eine Sache des Glaubens ist. Immer und überall ist zwei plus zwei gleich vier, egal was du glaubst.

Mathematik bildet die metaphysische Grundstruktur des Universums ab. In diesem Sinne ist sie ein Instrument, um entweder die Welt zu vermessen oder mit einer Wahrscheinlichkeit auf Strukturen zu schließen, für deren endgültige Bestimmung einem die nötigen Informationen fehlen. Auch diese Unsicherheit ist Teil der Welt. Eine Wahrscheinlichkeitsrechnung ist noch keine "Sicherheitsrechnung". Sie macht die immanente Unsicherheit nur abbildbar, schafft sie aber nicht aus der Welt. "Unsicherheit" und "Glaube" kann man beinahe äquivalent setzen. Natürlich hat Mathematik etwas mit Glauben zu tun, nämlich indem sie die Nahtstellen zwischen dem Wißbaren und dem Ungewissen nachzeichnet.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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