Neuerscheinung zu Nostradamus (Schauungen & Prophezeiungen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Montag, 20.08.2018, 19:02 (vor 2076 Tagen) @ Taurec (4369 Aufrufe)

Hallo,

während das Forum zwischen Mondsphäre-Genien-Kontaktversuchen und Sexualmagie durch das Sommerloch taumelt, hat am 24. Juli ein Buch mit dem Titel "Nostradamus: Ein Scharlatan" (ja, ohne Fragezeichen) das Licht der Welt erblickt: https://www.amazon.de/Nostradamus-Ein-Scharlatan-Dess-Schomerus/dp/3752825693
Ob es sich beim Namen des Autors, Dess Schomerus um ein Pseudonym handelt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, das Motto seines Google-Plus-Accounts, "Dess und ich" scheint diese Vermutung allerdings zu bestätigen. Ein weiterer Titel, "Gott zeigte auf Amerika: Wiederkehr der Antike" ist die Neuauflage seines früheren Buches "Die Spaltung der USA: Wiederkehr der Antike", in dem er Spengler beim Wort nimmt und einen Vergleich der Entwicklung des römischen Reiches mit der Entwicklung der USA aufzuzeigen versucht, mit einem zeitlichen Versatz von 2100 Jahren +/- 2 Jahren Ungenauigkeits-Spielraum.

Aus dem Vorwort seines Nostradamus-Buches:

Hier ist die Geschichte eines spektakulären Betrugs, einer Fälschung solcher Tragweite, dass die der Tagebücher Hitlers als eine belanglose Episode erscheinen muss. Schließlich hielt dieser Betrug nur wenige Monate. Der Betrug von Nostradamus hingegen hat mehr als 450 Jahre standgehalten.
Ca. 250 seiner Vierzeiler und damit mehr als ein Viertel des Gesamtwerkes werden besprochen und bei mehr als 180 davon gezeigt, auf welche Ereignisse sie sich wirklich beziehen. Es sind durchweg Ereignisse, die schon längst zuvor statt gefunden hatten. Nebenbei werden viele andere seiner Aussagen ad absurdum geführt.

Etwas reißerisch, denn eigentlich handelt es sich nur um eine Neu-Erfindung der Kuckucksuhr, nachdem bereits Stéphane Gerson 2012 in "Nostradamus: How an Obscure Renaissance Astrologer Became the Modern Prophet of Doom" als auch Peter Lemesurier 2010 in "Nostradamus, Bibliomancer: The Man, the Myth, the Truth" das Thema der diversen literarischen Quellen zahlreicher Verse behandelt haben, und diese auf der englischsprachen Wikipedia-Seite in einem eigenen Abschnitt besprochen wurden: "Origins of The Prophecies" https://en.wikipedia.org/wiki/Nostradamus#Origins_of_The_Prophecies

Um Schomerus Fazit vorwegzunehmen, eine Passage aus Kapitel "XI. Täuschung und Selbsttäuschung":

Ja, Nostradamus hat betrogen.
Er hat diesen Betrug aber nicht ohne uns, die Leser seiner Centurien
vollziehen können. Vom ersten Tag an hingen ihm viele Menschen an den
Lippen und glaubten ihm. Sie glaubten das, was er sagte, das, was er wohl ihrer Meinung nach hatte sagen wollen, und auch das, was er wo möglich weder gesagt noch je gemeint hatte.
Dieses Phänomen hat sich fortgesetzt, von Jahr zu Jahr und, was nicht
selbstverständlich ist, von Generation zu Generation. Es hat sogar die
Französische Revolution überdauert, hat Fortbestand gehabt im Zeitalter der industriellen Revolution und ist selbst heute, im Zeitalter der Bits und Bytes, ungebrochen attraktiv.


Wenn man nun das Ergebnis der Untersuchung zusammenfasst, ist auf
den ersten Blick ersichtlich, dass es sich nicht nur um kleine
Ergänzungen handelt, die sich Nostradamus da geleistet hat, sondern um
einen ganz massiven Betrug, einen Etikettenschwindel erster Ordnung.
Die Gesamtzahl der überlieferten Verse liegt nicht bei 1000, sondern bei 942, denn von der 7. Centurie sind ja nur 42 bekannt. Von diesen 942 Versen sind ZUMINDEST ca. ein Fünftel, vielleicht sogar ein Viertel, KEINE PROGNOSEN. Knapp 120 davon sind schon genannt oder besprochen worden.
Man könnte nun annehmen, dass Nostradamus am Anfang, also in den
zunächst veröffentlichten 353 Versen, ohne solche Fälschungen
ausgekommen ist und diese sich erst zum Ende hin vermehrten. Das ist aber nicht der Fall. Aufgeschlüsselt auf die einzelnen Centurien erkennt man, dass im Schnitt in allen ein Anteil von 20-25 Versen aus “Schummelversen” besteht, auch bei der 7. Centurie, wo es proportional ca. 10 von 42 Verse betrifft.
Das bedeutet, dass Nostradamus diese Täuschung schon von vornherein
beabsichtigt und auch umgesetzt hat, von der ersten Veröffentlichung im
Jahre 1555, bis hin zur letzten wohl im Jahre 1558, bei den ersten
Centurien wie auch bei den letzten.
Natürlich sind die Zahlen höchst provisorisch und damit auch die
Schlussfolgerungen, denn hier werden nur die Verse dargelegt, von denen
man bereits sicher – oder nahezu sicher - sagen kann, dass sie keine
Prognosen enthalten. Es bleibt aber der Gesamteindruck. Wenn in der ersten Centurie solche Täuschungen nicht hätten festgestellt werden können, hätte man noch die Hoffnung, dass die dort enthaltenen Verse vielleicht doch echte Vorhersagen sind. Aber so? Nun, das endgültige Urteil hierüber bleibt noch zu treffen.
Die Fälschungen jedenfalls scheinen indiskutabel. Selbst wenn man alle
Lückenfüller, die “astralen Verse” und jene, die allgemein von der Pest
sprechen, aber keinem konkreten Ereignis zugeordnet werden können,
weglässt, verbleiben mehr als 180 nachweisbare Fälle eines
“Etikettenschwindels”.


Zur Chronologie der Verse meint Schomerus:

Also scheint es sinnvoll, sich die Verse einmal unter diesem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit durch die Versnummer anzusehen. und die Ergebnisse sind verblüffend. Es findet sich eine chronologische Abfolge, teilweise noch gestützt durch die Wiederholung von Schlüsselbegriffen, die sonst in den Centurien nicht auftauchen und jeweils den Bezug zueinander belegen.
...
Zusammengefasst also ergibt sich, dass Nostradamus – aus welchen Gründen zunächst auch immer – hier zeitgenössische Ereignisse in einer
chronologischen Abfolge innerhalb der Centurien geschildert hat. Er hat also den Ereignissen der Jahre 1557-1560 nicht irgendwelche Versnummern
gegeben, wie z.B. 23, 39, 43, 76, 82 und 95, sondern 10 Ereignisse
geschildert in 10 verschiedenen Versen, deren Versnummern zwischen 29
und 39 liegen. Wenngleich sie auch aus verschiedenen Centurien stammen,
liegen sie so dicht wie möglich zusammen, womit sich die Vermutung ergibt, dass die Nummer der Centurien keine Bedeutung für ihn hatte und nur zur Verteilung der Verse diente, die Versnummer aber sehr wohl bedeutsam war.

...
Von der Versnummer 29 also ausgehend hätte man nun alle Verse mit der
Nummer 28 und dann 27 etc. untersuchen können, aber ein anderer Ansatz
lag näher, und es zeigte sich bald, dass die einfachste Methode oft die richtige ist: Vom Jahr 1557 und damit dem Vers 29 VII zurückschauend lag nahe, dass die Reihe bei den Versen 1 I und 2 I beginnt, die Nostradamus bei seinen nächtlichen Studien beschreiben und ca. den Jahren 1548-1550 zugeordnet werden können.

Wen das Buch interessiert, nach der anschaulichen Schilderung BBs über die komplexen Folgewirkungen abgeholzter Bäume (Niger, Tschad,Jemen, Sahara) https://schauungen.de/forum/index.php?id=50371 ) jedoch Bedenken hat, für den liegt leihweise mein klimaneutrales Exemplar bereit.

Gruß
Ulrich


einige weitere Text-Schnipsel:

Und zum ersten Mal kann man Nostradamus ganz klar der Fälschung
bezichtigen, denn in “Vorhersagen”, die 1555 veröffentlicht worden sind, haben Ereignisse der Jahre zuvor nichts zu suchen.
Detaillierter betrachtet kann man noch unterscheiden, welche Verse in
welchen Centurien stehen, da diese zu unterschiedlichen Zeitpunkten
veröffentlicht worden sind.
Danach ergibt sich dann Folgendes:
Die ersten 3 Centurien mit 53 Versen der 4. Centurie kamen in der Ausgabe des Verlegers Macé Bonhomme aus Lyon am 4. 5. 1555 auf den Markt (das Vorwort an den Sohn stammt vom 1.3.1555)

...
Dementsprechend wäre ca. die erste Hälfte dieser Verse sicher NICHT
prophetischer Natur. Bei der 2. Hälfte ist dies möglich. Wenn man
allerdings nicht meint, dass der Turniertod im Vers 35 I beschrieben sei, fällt auch 34 II weg und 34 IV ist zweifelhaft. Diana war auch schon vorher die Geliebte des Königs (28 II) und der Vers 36 II ist ohnehin sehr auslegungsbedürftig. Es bliebe dann nur der Vers 32 I, in dem meines Erachtens ganz unzweifelhaft der Bau des Escorials beschrieben wurde, obwohl der Entschluss dazu erst mehr als 2 Jahre später fiel.

...

15 der untersuchten 24 Verse sind nachgewiesener Maßen KEINE
Vorhersagen gewesen und bei weiteren 9 Versen ist es zweifelhaft. Wirklich erstaunlich scheint nur ein Vers von den insgesamt 24 Versen – sofern er damals richtig interpretiert worden ist.

...

Man könnte auf Anhieb noch ein Dutzend Verse nennen, die sehr verdächtig danach klingen, Geschehen des 11. bis 15. Jahrhunderts zu beschreiben, so insbesondere den Hundertjährigen Krieg und die Zeit, als England große Teile Frankreichs inne hatte, die Albigenser Kriege in Südfrankreich, die Kämpfe italienischer Städte untereinander oder auch angesiedelt die so genannten italienischen Kriege ab 1494, in die Frankreich verstrickt war.

...

Entscheidend ist alleine, dass mittlerweile absehbar ist, dass Nostradamus MASSIV geschummelt hat: Zuerst wurde die Annahme widerlegt, die Verse seien frei erfundener Unsinn. Dann allerdings konnte bewiesen werden, dass sie auch nicht bis zum Jahre 3797 n. Chr. reichen. Es ist gelungen, eine Reihe von Versen aufzudecken, die in einer Weise chronologisch geordnet schienen, die schon schwer vorstellbar erschienen ließ, dass die Vorhersagen auch nur ins 20. Jahrhundert reichten, geschweige denn bis ins 4. Jahrtausend, und nun kommt die Entdeckung hinzu, dass man wohl zudem eine noch unbekannt große Anzahl von Versen ausschließen muss, die gar keine Vorhersagen beinhalten, sondern nur als so verkleidete Ereignisse ferner Vergangenheit.

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Die Verse strotzen nicht gerade vor Präzision und Klarheit. Gleichwohl kann man in ihnen noch solche ausmachen, die über jede –normale– Unklarheit hinaus von vornherein nicht einmal den Anschein erwecken, ein konkretes Ereignis als Vorbild gehabt zu haben. Sie scheinen lediglich zu dem Zweck erschaffen worden zu sein, Lücken zu füllen und die Verszahl zu erhöhen.
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Unter der Überschrift “Vorhersagen” aber haben solche Verse nichts zu suchen. Das ist zumindest ein Etikettenschwindel, denn man erwartet Vorhersagen und findet Allgemeinplätze oder in mystische Hüllen gekleidete Luftnummern. Dazu gehören neben den Einleitungsversen 1 I und 2 I z. B. auch die Verse: 2 III, 13 II, 20 IV, 21 I, 21 III, 27 I und 27 II, 37 VI etc., um nur einige zu nennen.
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Wieder andere Verse sind einfach so sehr allgemein gehalten, dass beim
besten Willen kein Anknüpfpunkt zur Interpretation gefunden werden kann
und sie dadurch natürlich auch nicht verifizierbar sind.

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Vervielfachung des Themas
Dann haben wir da noch die Fälle, in denen ein Thema, ob erfunden,
vergangen oder echt, auf mehrere Verse verteilt wird. Auch dies brachte den Autor seinem Ziel näher, 1000 Verse abzuliefern. Beim dem Vers über die Templer und den französischen König wurde dies bereits angerissen.
Der Standard dieses Tricks ist der “Zweier” oder der “Dreier”, also die
Verdoppelung oder Verdreifachung der Aussage. Ein Beispiel sind drei Verse zu einem eigentlich antiken Thema, dem “Gold von Tolosa”.

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Gesamter Strang: