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Astrologie iudicielle (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Samstag, 18.08.2018, 17:48 (vor 2076 Tagen) @ Ulrich (4440 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Samstag, 18.08.2018, 18:57

Hallo!

Das klingt vordergründig absurd, macht aber Sinn, wenn man Berkel folgt, der sich auf nachfolgende Aussage bezieht:
"Nostradamus wrote to Cesar that he wrote his quatrains on the base of divine revelation, inspiration and judiciary astrology."
und versteht "judiciary astrology" als Variante der "Stundenastrologie", in der auf den Zeitpunkt einer Frage, in diesem Falle als "Ereignisastrologie", in der auf den Zeitpunkt einer Vision das jeweilige Horoskop erstellt wird.

Danke! Mit dem Hinweis hast Du unsere Übersetzung verbessert.
"Astrologie iudicielle" hatten wir (von einer der Wortbedeutungen, nämlich "rechtmäßig" ausgehend) als "ordentliche Astrologie" übersetzt, wobei eigentlich gemeint ist, was zu Deutsch als "Menschenastrologie" zu übersetzen ist.

"Menschenastrologie" umfaßt per Definition allerdings alles, was nicht "natürliche Astrologie" ist, welche als Teil der damaligen Naturwissenschaften sich z. B. mit medizinischen und meteorologischen Themen beschäftigte.
Unter Menschenastrologie fallen u. a. die Geburtshoroskopie, Stundenastrologie und Mundanastrologie.

An Sohn Cäsar schreibt er zunächst:
"Gleichwohl können auch in der Gegenwart Persönlichkeiten erscheinen und leben, denen Gott der Schöpfer durch bildliche Eindrücke einige Geheimnisse der Zukunft in Übereinstimmung mit der Menschenastrologie enthüllen mag – wie früher, als bestimmtes Können und bewußte Fähigkeit bei ihnen (so) auftrat, wie eine Feuerflamme erscheint, die einen befähigt, die göttlichen und menschlichen Eingebungen zu beurteilen."

Heißt: Was er sah brachte er mit astrologische Berechnungen in Übereinstimmung, wobei unklar ist, auf welcher Basis er diese Berechnungen anstellte.

Und später:
"Außerdem, mein Sohn, bitte ich Dich, niemals Deinen Verstand für solche Träumereien und Einbildungen einzusetzen, die den Körper austrocknen, die Seele ins Verderben stürzen und die schwachen Sinne verwirren; auch (nicht für) die Lügenhaftigkeit der mehr als abscheulichen Zauberei, einst zurückgewiesen durch die heiligen Schriften und den göttlichen Kanon, in dessen Hauptteil die Bewertung der Menschenastrologie ausgespart ist. Durch sie und mittels göttlicher Eingebung und Offenbarung, durch fortgesetzte Berechnungen haben wir unsere Prophezeiungen in Schrift abgefaßt."

Die "Menschenastrologie" entspricht, wie Nostradamus korrekt angibt, nicht der kirchlichen Lehre ("göttlicher Kanon"). Auch hier macht er allerdings nur die Angabe, daß er sie zu Hilfe genommen habe, nicht aber, auf welche Weise.

Allein aus der Aussage geht also nicht hervor, daß Nostradamus seine Berechnungen auf Grundlage des Visionszeitpunktes anstellte. Das ist eigentlich schon deswegen nicht (für alles vorausgesagten Ereignisse) anzunehmen, weil ein (großer) Teil der Vierzeiler wohl gar nicht auf Visionen basiert, sondern auf anderweitig erlangtem/angelesenem Wissen, die er aber, wenn er konsequent war, ebenfalls in eine chronologische Ordnung bringen mußte.

Gegenüber Heinrich II. gibt er an, die Vierzeiler seien "zusammengestellt nach den Regeln der Dichtkunst und größtenteils übereinstimmend mit der astronomischen Berechnung."

Seine Berechnungen müssen also auch solche Vierzeiler umfaßt haben, zu denen er keine Vision hatte (z. B. dem bereits angesprochenen Chyren-Islam-Zyklus angehörende). Daher vermute ich eine andere Berechnungsgrundlage.

Auf der Seite jedoch: "In the case of the Centuries, astrology only served to determine the 'when' and 'where'."

Blöd nur, daß die meisten Vierzeiler nur ein sehr vages "wo" und gar kein "wann" enthalten. Entsprechend können sie ihre These nur auf 19 Vierzeiler mit astrologischen Angaben anwenden.

Die These: "The thesis is that Nostradamus made a horoscope after a revelation in order to determine the time and place of fulfilment."
Auf Grundlage des angeblichen (von ihnen selbst berechneten) Datums der Vision berechnen sie das Datum des Eintreffens, meines Erachtens erfolglos.

VIII/49 soll sich am 6. 2. 1773 erfüllt haben. Der Inhalt (Originale diesmal ausgespart):
Saturn beim Ochsen spielt im Wasser, Mars im Pfeil,
Sechster Februar bringt Sterblichkeit,
Jene aus dem Tardenois nach Brügge so großer Durchbruch,
Daß zu Ponte Rosso barbarisches Oberhaupt stirbt.

Das ist derart vage, daß uns keine Zuordnung gelungen ist. Ponte Rosso ist ein Stadtteil der Kleinstadt Pietrasanta. Ein "barbarisches Oberhaupt" (bei Nostradamus höchstwahrscheinlich ein Mohammedaner) starb zu jener Zeit in der Toskana jedenfalls nicht.

IX/55 soll am 19. 11. 1844 eingetroffen sein.
Der schreckliche Krieg, der sich im Westen vorbereitet
Im Jahre folgend kommt die Pestilenz,
So sehr schrecklich, daß Jung, Alt, kein Tier,
Blut, Feuer, Merkur, Mars, Jupiter in Frankreich.

Klar wird, daß es sich gar nicht um einen Vierzeiler handeln kann, der an einem bestimmten Datum eintraf. Hier ist eine Epoche beschrieben, in der sich ein größerer Krieg anbahnt, der sich im folgenden Jahre (Pest = Unheil) auf die Menschheit entlädt. Auf 1844 trifft das (oder auch alternative Deutungen hinsichtlich einer realen Seuche) im übrigen nicht zu.

IX/73 soll am 21. 9. 2006 eingetroffen sein.
In Foix eingetreten der König dunkler Turban,
Und regiert weniger (als einen) umgelaufenen Saturn,
König weißer Turban Byzanz Herz Aufruf ,
Sonne, Mars, Merkur nahe dem Wasserkrug.

Die Verse scheinen sich auf eine Querele im Rahmen des Islamzyklus zu beziehen. Auch das paßt nicht auf 2006.

III/96 soll sich am 11. 6. 2431 erfüllen.
Haupt von Fossan hat Kehle durchschnitten,
Durch den Führer von Spürhund und Windhund.
Die Tat bevatert durch jene vom Tarpeischen Berg,
Saturn zum Löwen, dreizehnter Februar.

Das tödliche Attentat auf den Herzog von Berry am 13. 2. 1820.
Täter war der Pferdeknecht Louvel, der in seiner Position auch für die königlichen Jagdhunde zuständig war.
Hinter der Tat standen die Republikaner. Vom Tarpejischen Felsen in Rom stürzten die Römer zu republikanischer Zeit Verurteilte in den Tod.
Nostradamus nennt sogar das Datum, weswegen die Datierung Berkels um so mehr befremdet. Saturn stand damals im Opposition zum Löwen. (So weit haben Nostradamus Fertigkeiten also durchaus gereicht.)

II/48 soll sich am 30. 6. 3252 erfüllen.
Das große Heer, das die Berge überquert,
Saturn im Schützen, rückläufig in Fischen Mars.
Gifte versteckt unter Köpfen der Lachse,
Ihr Häuptling gehenkt am Strick des Polemars.

Eingetroffen ist er 1763:
Franzosen in Kanada gegen die Briten, die von Süden aus über die Berge nach dem Ontariosee und dem Sankt-Lorenz-Strom vorstießen.
Saturn zu jener Zeit im Schützen, der Mars rückläufig in den Fischen.
Die Franzosen waren wie die Lachse den Sankt-Lorenz-Strom aufwärts vorgestoßen und hatten dort eine Kette von Forts errichtet, verloren aber den Krieg.
Zeile 4: Vermutlich der Pontiac-Aufstand der mit den Franzosen verbündeten Indianer gegen die siegreichen Briten, der von den Indianern ebenfalls verloren wurde. Nostradamus verwendet hier (was er selten tut) nicht "chef", sondern "chief", um ein Oberhaupt zu bezeichnen. Im Grunde wurden damit schottische Clanführer (die ebenfalls gegen die Engländer antraten) bezeichnet, hier steht es für das nordamerikanische Gegenstück, nämlich den Anführer der Indianer. "Polemars" ist merkwürdig. Gemeint ist womöglich ein Kriegspfahl/Marterpfahl oder eine Ableitung von "polemarchos" (= Kriegsherr).

Anhand dieser Beispiele ist davon auszugehen, daß Berkels These nicht zutrifft. Folglich müssen Nostradamus' astrologische Berechnungen einen anderen Ansatz gehabt haben.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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