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Angeblich gefälschte Centurien (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 17.08.2018, 15:02 (vor 2079 Tagen) @ Ulrich (4403 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Freitag, 17.08.2018, 20:57

Hallo!

Jacques Halbronn versuchte in mehreren Veröffentlichungen nachzuweisen, daß bereits die Ausgabe von 1568 eine Fälschung darstellt.
Eine kurze (und unvollständige) Zusammenfassung dessen Argumentation durch Elmar R. Gruber findet man auf der Seite http://ergruber.com/index.php/artikel/55-artikel/431-ein-unbekannter-nostradamus-almanach unter "1. Zur Publikationsgeschichte der Prophéties"

Eine Fälschung sind sie wohl nicht. Die VIII., IX. und X. Centurie unterscheiden sich im Stil nicht von den älteren Ausgaben. Vielmehr scheint sich Nostradamus darin an Finesse noch gesteigert zu haben, was Geübtheit vermuten läßt. Ein Bruch ist nicht erkennbar.

Dahingegen sind gefälschte Nostradamusverse, z. B. die Sechszeiler, auf den ersten Blick erkennbar. Sie verhalten sich gegen authentischen Nostradamus in etwa so, wie dieser stümperhafte Restaurierungsversuch rechts gegen das Originalgemälde links. :lol2:

[image]

Dem geübten Auge fällt das gleich auf. :-D

Bei unserem Buch hielt ich mich an Klinckstroems Artikel "Die ältesten Ausgaben der 'Prophéties' des Nostradamus", der u. a. schreibt:
"Möglichcrweise handelt es sich [bei einer nicht nachgewiesenen vollständigen Ausgabe von 1558] überhaupt nur um einen bis auf unsere
Tage verschleppten alten Druckfehler, so daß hiermit die Ausgabe von Benoist Rigaud, die 1568, zwei Jahre nach dem Tode des Nostradamus, erschien, gemeint ist. Benoist Rigarud, der Nostradamus im Jahre 1557 in Lyon kennen lernte, als dieser in seiner Eigenschaft als Arzt gelegentlich einer Keuchhustenepidemie dort anwesend war, druckte seine Ausgabe im Auftrage von Crespin Nostradamus, des Sohnes des Astrologen. Auch Quérardd (VI, 452) hält diese Ausgabe für die erste vollständige."

Zweifel an der Echtheit meldet er nicht an.

Halbronn behauptet nun, Antoine Crespin "Nostradamus" sei nur ein Nachahmer gewesen, der in seinen eigenen Veröffentlichungen nur aus der 1. bis 4. sowie der 8. bis 10. Centurie des Nostradamus plagiiert hätte. "Halbronn schließt daraus, dass zu dieser Zeit noch keine Verszeile von der zweiten Hälfte der vierten Zenturie, sowie der Zenturien 5 bis 7 existierte, die allesamt bei Crespin nicht in Erscheinung treten."
Die Ausgaben von 1557 müßten dem entsprechend Fälschungen sein, die Halbronn deswegen als solche betrachtet, weil darin "Propaganda aus der Zeit der heiligen Liga zwischen 1588 und 1593" enthalten sei.

Zum einen handelt es sich nur um wenige Vierzeiler, die politische Propaganda sein sollen. Der Rest wäre also zum reinen Zeitvertreib hinzugefälscht worden?
Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum die Centurien 8 bis 10 im Jahre 1572 schon existiert haben sollen, die 5. bis 7. allerdings noch nicht. Dabei sind in der Ausgabe 1568 die 8. bis 10. Centurie erstmals sowie die 5. bis 7. Centurie ebenfalls enthalten. Entweder ist alles eine Fälschung oder gar nichts. Die (unvollständige) Argumentation erscheint mir nicht stichhaltig.

So nebenbei:
Im Gegensatz zu den "Prophéties" waren Nostradamus Voraussagen in dessen jährlichen Almanachen datiert, wenn auch "unscharf". Es ist zwar bekannt, daß zahlreiche Fälschungen im Umlauf waren, allerdings gilt die Zusammenstellung der Prophezeiungen in "Présages de Nostradamus. Présages en vers 1555-1567, présages en prose 1550-1559" (1999) durch Bernard Chevignard als authentisch.

"Diese [Zusammenstellung durch Bernard Chevignard] enthielten nicht weniger als 6338 datierte Voraussagen des Sehers... Und leider ist die Analyse nicht ermutigend: zumindest für diese Art von Nostradamus Prophezeiungen.
Die identifizierbare Erfolgsrate scheint außerordentlich niedrig zu sein - in der Größenordnung von 5,73%!"

Quelle: Peter Lemesurier: "Nostradamus, the next 50 Years." 2006

Wie war das mit dem Anspruch an eine "Trefferquote"? Das sind ja Lorber'sche Verhältnisse...

Wenigstens mit seinen Datierungskünsten und Voraussagen im zeitlichen Nahbereich scheint es bei Nostradamus nicht allzu weit her gewesen zu sein. Wer sich in 13 Jahren in 6338 Voraussagen versucht, also mehr als eine pro Tag, der kann ja gar nicht anders, als weitestgehend falsch zu liegen.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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