Richtigstellung zu Halbronns Fälschungsverdacht der Ausgabe 1568 (Schauungen & Prophezeiungen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Freitag, 17.08.2018, 19:50 (vor 2079 Tagen) @ Taurec (4411 Aufrufe)

Hallo,

Die (unvollständige) Argumentation erscheint mir nicht stichhaltig.

mir nun auch nicht mehr, nachdem ich auf "Forgery and fallacy in Nostradamus: A reply to Jacques Halbronn" gestoßen bin, in dem Gruber die Argumentation Halbronns Punkt für Punkt zerpflückt:
http://nostredame.chez-alice.fr/nerg3.html

Halbronns Fälschungsverdacht hat keine Substanz.

Gruß
Ulrich


Falls es nicht bekannt sein sollte:
Gruber war Benders Mitarbeiter während dessen Beschäftigung mit den Feldpostbriefen, wie er in seiner Biographie "Suche im Grenzenlosen: Hans Bender - ein Leben für die Parapsychologie" berichtet:

"... In dieser Zeit stieß er [Bender] auf die Prophezeiungen eines unbekannten Franzosen aus dem Jahr 1914. In zwei Feldpostbriefen des Bayerischen Landwehrmannes Andreas Rill an seine Familie sind die Voraussagen festgehalten. Rills Kompanie hatte den Unbekannten im Elsaß gefangengenommen. Der Inhalt der Prophezeiungen erstaunte und bewegte Bender zutiefst. Offensichtlich hatte der »prophetische Franzose« in vielen Details den Verlauf des Ersten Weltkriegs, die Zwischenkriegszeit und den Zweiten Weltkrieg vorhergesagt. Zu allem Unglück hatte der Visionär auch von einem »dritten Weltgeschehen« gesprochen und dieses mit den überlieferten Endzeitbildern beschrieben.
Bender stürzte sich mit dem Eifer des Erschrockenen auf diesen Fund, bedauerte, ihn nicht schon früher entdeckt zu haben, zumal Pater Frumentius Renner die Briefe des Andreas Rill schon 1955 in der Zeitschrift Neue Wissenschaft veröffentlicht hatte.
Völlig in Besitz genommen von komparatistischen Studien zu Endzeitprophezeiungen, verlor er das Interesse an allen aktuellen Fällen. Man konnte das Gefühl nicht loswerden: Bender hatte etwas entdeckt, von dessen Zergliederung und Verstehen sein Leben abhing. Er mußte dieses bedrohlichen Materials Herr werden. Parallel zu seiner Auseinandersetzung mit den apokalyptischen Visionen entwickelte er auf Grund seiner jahrzehntelang in der Tiefe der Seele gebannten Lebensängste eine irrationale Kriegsfurcht. Das »dritte Weltgeschehen«, von dem die dunkle Prophetenstimme raunte, stand ihm als höchst bedrängende Gefahr vor Augen. Er war wieder einmal vom Beobachter zum Mitakteur im Gegenstand seines Interesses geworden. Carl Friedrich von Weizsäcker, dem er von den Visionen des Franzosen erzählte, bestätigte gleichsam seine Ängste – trotz seines Mißtrauens gegen die meisten Prophezeiungen –, weil er die damalige weltpolitische Lage selber als sehr gefährlich betrachtete.
In dieser Periode trieb Bender die Auslagerung der Bibliothek voran, dachte über einen Atombunker für das wissenschaftliche Material der »Eichhalde« nach und entwickelte Pläne, sich im Ausland ein Pied-à-Terre zu verschaffen, wo er in Sicherheit weiterforschen könne.
Ich habe Hans Bender selten mit solcher Intensität bei der Sache gesehen wie bei den Recherchen zu dem »prophetischen Franzosen«. Jede noch so kleine Spur wollte er verfolgen. Wir besuchten den letzten überlebenden Sohn des Briefschreibers, Angehörige und Bekannte, die Andreas Rill noch kannten; in historischen Archiven und Instituten wurden ausgedehnte Suchaktionen angestellt, schließlich in Klöstern und Freimaurerlogen um Colmar gefahndet, nachdem bekannt wurde, der Prophet sei ein ausgetretener Freimaurer gewesen, der seinen Lebensabend als Laienbruder in einem Kloster bei Colmar beschlossen habe. Schwankend war Bender nur hinsichtlich der Frage, was er von den Prophezeiungen zu halten hatte. Sie standen im Widerspruch zu den Forschungsergebnissen. Diese hatten gezeigt, daß sich persönliches Schicksal – zwar selten – in präkognitiven Bildern äußern kann. Präkognitionen unpersönlicher Art, die ein Kollektiv betreffen, waren meist allgemeiner Natur. Kaum eine Weissagung ließ sich mit einiger Sicherheit durch ein späteres Ereignis bestätigen. In Voraussagen, die eine Person betreffen, konnte Bender meist unschwer eine affektiv fundierte Motivation ausmachen. Bei Prophezeiungen wie jener des Franzosen fehlte dieser Motivationshintergrund. Gleichwohl beinhalteten sie erstaunlich viele exakte Formulierungen zu kollektiven Ereignissen wie: das »erste Weltgeschehen« gehe »ins fünfte Jahr« und sei für Deutschland verloren, danach »kommt Revolution, aber sie kommt nicht recht zum Ausbruch«, dann »wird alles Millionär«, und »soviel Geld gibts, daß mans beim Fenster rauswirft und klaubts niemand mehr auf«, schließlich käme »ein Mann aus der niederen Stufe, und der macht alles gleich in Deutschland, und die Leute haben nichts Rechtes zu reden, und zwar mit einer Strenge, daß es uns das Wasser bei allen Fugen raustreibt«; der Mann »nimmt den Leuten mehr, als es gibt, und straft die Leute entsetzlich, denn um diese Zeit verliert das Recht sein Recht«; »jeden Tag gibt es neue Gesetze, und viele werden dadurch manches erleben oder gar sterben«; »die Zeit beginnt cirka 32 und dauert neun Jahre, alles geht auf eines Mannes Diktat«; »dann kommt die Zeit 38; werden überfallen und zum Kriege gearbeitet«; »steht an der Jahreszahl vier und fünf, dann wird Deutschland von allen Seiten zusammengedrückt, und das zweite Weltgeschehen ist zu Ende«; »der Mann und das Zeichen verschwinden, und es weiß niemand wohin«; am Ende dieses Krieges würde »Deutschland zerrissen, und ein neuer Mann tritt zutage, der das neue Deutschland leitet und aufricht«.
Solcherlei Aussagen waren dazu angetan, Bender von der Einmaligkeit und Güte der Voraussagen zu überzeugen, zumal die kriminaltechnische Untersuchung der Feldpostbriefe ihre Authentizität unterstrich. Wie waren diese Aussagen zu werten und, wenn man das, was eingetroffen war, berücksichtigte, die apokalyptischen Ankündigungen eines »dritten Weltgeschehens«?
Am Beispiel des »prophetischen Franzosen« trat die Gespaltenheit Benders in bezug auf die Gegensätze von Freiheit und Notwendigkeit oder Selbstbestimmung und Schicksal mit großer Deutlichkeit hervor. Er ließ keinen Zweifel daran, daß er die Prophezeiungen für außergewöhnlich hielt – Ausblicke auf ein unwiderrufliches Schicksal, das Generationen und Völker traf. Zugleich kam er bei seinen Studien zu dem Schluß, daß die meisten Weissagungen in ihrer Güte nicht mit dieser zu vergleichen waren. Entweder verbargen sie sich so sehr im orphisch-dunklen Sprachschatz, daß jede Interpretation möglich wurde, wie etwa bei Nostradamus, oder sie bedienten sich großzügig aus dem »prophetischen Vorratskorb«, den – insbesondere was die Endzeitvisionen betrifft – die Apokalypse des Johannes gefüllt hatte.
Unter den vielen richtigen Voraussagen des Unbekannten waren freilich auch falsche, wobei eine eindeutige Stellungnahme durch den Umstand verhindert wird, daß die einzige Kunde aus der Feder eines einfachen Soldaten stammt, der dem Verhör beigewohnt und möglicherweise die Aussagen nicht wortgetreu mitgeteilt hatte. Die Bilder, mit denen der Seher das »dritte Weltgeschehen« beschrieb, sind zum großen Teil
als Muster der Endzeitvisionen bekannt, mithin gehen sie vielleicht nicht auf eine genuine präkognitive Eingebung zurück, sondern auf Überlieferung. Nach langem Ringen kam Bender deshalb zu einem Schluß, der die Mitte zwischen den Gegensatzpaaren, wie auch in seinem persönlichen Leben, zu halten bestrebt war: »Die vergleichende Untersuchung der Prophezeiungen über ein ›drittes Weltgeschehen‹ ergab gewisse Übereinstimmungen in bezug auf drohende destruktive Ereignisse. Das Vorkommen ähnlicher Inhalte in den verschiedenen Voraussagen vermag aber deren Gewicht nicht zu erhöhen, da durch bewußte oder unbewußte Übernahme und auch durch vermutlich kollektive Erwartungsmuster, die sich auf die Jahrtausendwende beziehen, diese nicht als unabhängig voneinander angesehen werden können.« Die Gefahr durch das endzeitliche Geschehen, das in seiner Seele als Bedrohung der eigenen Existenz
erschien, war er bereit zu akzeptieren als das, was sie war, nämlich als potentielle Gefährdung. Zugleich nahm er ihr den Schrecken durch den Verweis auf die Unmöglichkeit, selbst bei außergewöhnlichen Propheten alle Aussagen als Vorwegnahmen zukünftiger Ereignisse akzeptieren zu können. Die Endzeitprophetie könne sich auf Potentielles beziehen, was sich nicht notwendig verwirklicht, aber einer
kollektiven ängstlichen Befürchtung entspricht. Parapsychologie in ihrem psychohygienischen Aspekt trete dem naiven Glauben an Prophezeiungen und dem »Geschäft mit der Angst«, das durch einschlägige Publikationen etwa von unverantwortlichen Nostradamus-Interpretationen betrieben wird, entgegen, ohne zu leugnen, daß es die präkognitive Fähigkeit gibt.
Ungeachtet aller theoretischen Durchdringung endzeitlicher Visionen, nahm Hans Bender eine Einladung nach Sri Lanka zum Anlaß, sich dort nach der »krisensicheren Außenstelle« umzusehen. Man hatte ihm erzählt, Sri Lanka sei gleichsam ein »Paradies des Paranormalen«. Ein Freiburger Bekannter, Robert Koch, in dessen Haus Bender bereits mit dem indischen Swami Sri Ram Chandra über Meditation diskutiert hatte, war seit einiger Zeit nach Sri Lanka ausgewandert und schrieb begeisterte Briefe über die Wunder der Insel: Reinkarnationsfälle, die psychokinetischen Fähigkeiten eines gewissen Swami Premananda in Matale, die Wunder von Kataragama, wo eine regionale Gottheit verehrt wurde, die Glaubensheilungen und Exorzismen am Marien-Schrein von Kudagama u.v.m.
Bender kannte Asien von früheren Reisen. Er liebte die Zugänglichkeit und Offenheit der Menschen, diese erfrischende Naivität, die Bereitschaft der Jugend, sich für eine Sache zu begeistern. Freilich war er auch dem an koloniale Zeiten gemahnenden Luxus, den westliche Besucher mit wenig Geld genießen konnten, nicht abgeneigt. Es lag ihm fern, den kommandierenden Kolonialherren zu spielen, aber von freundlichen flinken Helfern umgeben zu sein, war ein Jungbrunnen für ihn, eine Quelle der Inspiration und der Freude. Es gehörten kaum Überredungskünste dazu, den Freiburger Professor zu veranlassen, auf dem Maryland Estate in Nawalapitiya, wo sich Robert Koch niedergelassen hatte, selbst ein Haus errichten zu lassen. Die Kosten waren fast
lächerlich gering. Bender wollte die Niederlassung als Dépendence des Instituts verstanden wissen – eine Außenstelle, weit entfernt vom Gefahrenort eines »dritten Weltgeschehens«, im Herzen des parapsychologischen Eldorado, so wie die Astronomen ihre Teleskope auf Bergen plazieren und die Meeresbiologen Unterwasserstationen unterhalten. Es ist eine Ironie des Schicksals, daß der erhoffte
sichere Hafen für sein Forschungsmaterial, den er ansteuerte, als seine Befürchtungen über eine mögliche sowjetische Invasion in Deutschland auf dem Höhepunkt waren, in kürzester Zeit selbst zu einem Schauplatz namenlosen Terrors werden sollte. ..."


Gesamter Strang: