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Entsprechungen in der Volkssage (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 15.08.2019, 11:09 (vor 1716 Tagen) @ Pennywise (2846 Aufrufe)

Hallo!

Ich finde es nur interessant, daß diese Aussagen auch in der entlegenen ungarischen Tiefebene schon lange vor Irlmaier (nebst Tonne und co.) bekannt waren.

Es handelt sich um typische Aussagen der Volkssage und eigentlich nicht um Irlmaier (und auch nicht um "Schauungen vom 'Bottichkratzer'", sondern um Prophezeiungen).

Wohlstand ohne Ende, die Enkel werden durch die Welt reisen und die Alten nicht mehr respektieren

Das erinnert an Sepp Wudy, bei dem (nachweisbar erst 1974) moderne technische Möglichkeiten bescrieben sind: "Wenn du es erleben tätest, könntest deinen Vetter in Wien von deiner Stube aus sehen, und wenn du ihn schnell brauchtest, könnte er in einer Stunde da sein."
Daneben sind übermäßiger Luxus (Wohlstand) und Sittenverderbnis (kein Respekt vor den Alten) es ein typisches christliches Endzeitmotiv. Reinhard Haller dokumentierte z. B. um 1976 Stormbergeraussagen aus dem Volksmund: "Jung und Alt vertragt sich nimmer."
Für den Wohlstand exemplarisch Aussagen aus dem Volksmund bei Mühlhiasl nach Landstorfer 1923: "Wenn d’Bauern mit gewichsten Stiefeln in die Miststatt hineinstehen", "Wenn d’Leut nichts mehr tun als fressen und saufen, schlemmen und dämmen", "Wenn d’Bauernleut lauter Kuchen fressen".

"Zügellose" (pferdelose) Kutschen

Entsprechende Stelle in der Volkssage:
Der alte Plagge (angeblich 1894, nachweisbar 1998): "Ich sehe es doch! Lauter schöne Häuser und eine Kutsche, die von selbst läuft."
Katharina Leistnerin (Geißenkäther) (angeblich vor 1831, nachweisbar 1932): "Dereinst, so sagte sie, werde ein eiserner Weg den Schwarzwald hinaufführen, auf dem feurige Wagen ohne Roß hin und herfahren." (Damals auf die Eisenbahn gemünzt.)
Mühlhiasl (angeblich um 1800, nachweisbar 1923): "Wenn d’Wägen ohne Roß und Deichsel fahrn".

"Eiserne Vögel" am Himmel

Man denkt hier zunächst an Irlmaiers Tauben. Tatsächlich sind hier nur Flugzeuge "vorausgesagt". Es handelt sich um eine zeitgenössische Technikbeschreibung, die als vaticinium ex eventu in graue Vorzeit rückdatiert wurde.
Schon bei Sepp Wudy (angeblich 1914, nachweisbar erst 1974) steht:
"Rennt nicht davon, wenn die grauen Vögel fliegen, woanders wird es noch schlechter sein."
Oder bei Mühlhiasl 1923: "Wenn d’Leut in der Luft fliegen können".

Sittenverfall, die Pärchen küssen sich am Zaun

Ein normales Element der christlichen Endzeitprophetie, die als Teil ihrer Dramaturgie desgleichen erfordert.

Die Bauern haben mehrere Schornsteine und die Zäune sind aus Stein

Das zählt zu den in der Volkssage beliebten "Bauvorzeichen". Schon bei Mühlhiasl finden sich exemplarisch vordatierte "Voraussagen" der in der Moderne technisch erheblich verbesserten Bauweisen, die ältere Landhäuser qualitativ in den Schatten stellen und dem Gemeinen wie Schlösser wirken mußten:
"In der Stadt werden 5- und 6-stöckige Häsuer baut, überall werden Häuser baut, Häuser werden baut, wie d’Schlösser und d’Pfarrhöf. Schulhäuser werden baut wie Paläst (mit eigener Betonung fügte er dann hinzu) für d’Soldat‘n."

3 Tage Finsternis

Gängiges Motiv. Hat vorlagen überall in der älteren Prophezeiungsliteratur.

nur geweihte Kerzen brennen

Geht nicht auf Irlmaier zurück, sondern auf Anna Maria Taigi (gestorben 1837, Text nachweisbar in Deutsch vermutlich 1936 (Johannes Johannis: "Loderndes Feuer ringsum")): "Nur geweihte Kerzen werden sich anzünden lassen und Licht spenden."

das Weltende kommt durch Feuer

Gängiges Motiv, u. a. Sepp Wudy: "Es steht gegen Norden ein Schein, wie ihn noch niemand gesehen hat, und dann wird ringsum das Feuer aufgehen."

Ein "Stern" ist dafür verantwortlich

Interessant. Das ist kein gängiges Motiv der Volkssage, findet sich aber an einzelnen Stellen der älteren Prophetie, z. B. Hilarius von Jasna Gora (Fälschung um 1831):
"Später wird im Norden ein großer Komet aufsteigen, eben der, welcher sich schon im Jahre 1680 gezeigt hat, und dieser Komet wird großes Unglück mit sich bringen."
Und Alpenschäfer Velten (Fälschung um 1867):
"Endlich rötet sich der graue Himmel an einer Stelle, ein feuriger Kern wird sichtbar dunkelrot glühend und wächst, bis er wie eine feurige Rute sich von einem Ende bis zu dem andern zieht. Die Ängstlichen beginnen nachdenklich zu werden und ein unheimliches Grauen ergreift sie – der Leichtsinn spottet der drohenden Erscheinung – die frommen Gelehrten schlagen in ihren Büchern und alten Chroniken nach und wissen nicht, wie sie es anders zu deuten haben, als auf einen Vorboten von besonderen unglücklichen Ereignissen, welche die nächste Zukunft bringen werde nach dem Vorgange früherer Jahrhunderte. Die sich aber weise und klug dünken, sprechen: was geht dieser Komet unsere Erde an, der gehört nicht zu unserer Welt und kann uns keinen Schaden bringen."

Die Idee findet sich schon bei Nostradamus, der an einigen Stellen ein Himmelsgeschehen anführt.

danach kann jeder Bauer so viel Land bearbeiten, wie er möchte

Auch nicht neu. Aussagen, daß der Menschen nachher weniger seien, finden sich durch die Bank in der Volkssage.
Der alte Pramstahler (angeblich 1892, nachgewiesen 1976): "Alle Städte seien in Schutt und Asche und die noch wenigen Menschen seien selbst vom Feuer angefressen und voll von Narben und Wunden."
Blinder Jüngling (Erbsteinfälschung von 1956 auf Basis älterer Volkssagen): "Und diese Wenigen werden einander fragen: 'Wo hast Du gesteckt und wo Du?'"
Mühlhiasl: "Die Leute sind wenig", "Auf d’Nacht zündet einer ein Licht, schaut, wo noch jemand eins hat", "Wer eine Kronwittstaude (Wacholder) sieht, geht darauf los, ob(s) nicht ein Mensch ist".
Prokop (gestorben 1965, nachgewiesen 1988): "Und einmal ist alles finster, und unten auf der Waldhausstraße geht einer mit einem brennenden Ast und schreit: 'Bin ich wirklich noch der letzte? Bin ich wirklich noch der einzige?'
Dem entsprechend gibt es auch Aussagen, jeder könne Land nach eigenem Gutdünken haben:
Mühlhiasl: "Danach gibt es im Waldland soviel Grund, daß sich jeder ein Haus wählen kann und Land soviel er will." (nach Friedrich Holl 1982: "Waldpropheten. Versuch einer historisierenden Verknüpfung der Weissagungen des Blinden Jünglings, des Stormbergers und des Mühlhiasls, Matthias Lang.")

Diese Vorkommnisse in der Volkssage stellen den Stand zum Zeitpunkt der schriftlichen Fixierung dar, dürften aber durchwegs älter sein. Sie entstanden, wo es sich um Vorzeichen handelt, als entsprechende Erscheinungen (z. B. Kutschen ohne Pferde) zum ersten Mal Wirklichkeit wurden. Das Übrige sind Sagenfassungen der christlichen Endzeitprophetie, die regelmäßig von Prophezeiungsliteraten neu befruchtet wurden.
Wo Adl-/Irlmaier Vergleichbares sagt, betätigt er sich tatsächlich nur als weiterer Überlieferer der Volkssage.
Anfangs habe ich mich gefragt, wie in den Sechziger und Siebziger Jahren Kenntnisse der Irlmaiertexte durch den Eisernen Vorhang auf eine Art gelangt sein sollen, daß sie sich als vermeintlich alte Prophezeiung im ungarischen Volksmund festgesetzt haben könnten. Tatsächlich haben diese Aussagen nichts mit Irlmaier zu tun, sondern sind durchwegs älter. Der Ursprung ist unklar und versinkt im zeitlichen Nebel. Aber offenbar sind diese Wandersagen aus Bayern durch den österreichischen Raum und über die österrechisch-ungarische Sprachgrenze mittels lokaler Kontakte auch nach Ungarn gewandert, vermutlich schon vor langer Zeit. Dort haben sie sich dann an sagenhafte Figuren wie diesen "Teknökaparós" geheftet. Vergleichbares fand ja auch im deutschen Sprachraum statt: Mühlhiasl, Stormberger, Gilge, Wudy, Velten usw. sind alle nichts weiter als halbmythische Gestalten, mit denen die Groß- und Urgroßväter angeblich noch bekannt waren und denen lokale Varianten der "großen Weissagung" mit einem verwandten Motivschatz zugeschrieben wurden.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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