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Unhinterfragte Grundannahmen (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 18.08.2019, 16:17 (vor 1684 Tagen) @ Eyspfeil (2698 Aufrufe)

Hallo!

Ich versteh nicht, warum das alles in Bausch und Bogen als Sage und Märchen abgetan
wird, und nicht als Weissagungen, was es zumindest teilweise war.

"Weissagung" und "Prophezeiung" sind etymologisch praktisch synonym und austauschbar.
Prophezeiung: "für-" ("pro-"), "-sprechen" ("-phēmí"). ⇒ Man sagt, was man von einem anderen erfahren hat ("für diesen"), in der Prophetie meistens "Gott".
Weissagung: Man sagt, was man weiß (oder zu wissen meint). Das wars auch schon.

Das tertium comparationis ist, daß man lediglich Informationen ausspricht, über deren Qualität allein durch die Mitteilung und ihre behauptete Herkunft noch keine Aussage getroffen ist.
Meines Erachtens nachweislich handelt es sich bei Prophezeiungen und Weissagungen in der Regel um religiöses Wissen und ererbte Motive, in die höchstens ausnahmsweise Fragmente echter Schauungen gemischt sind.

Wir sollten endlich davon weggkommen, solche Texte per se und unhinterfragt als wahr anerkennen zu wollen (und zu sollen), nur weil sie unter diesem Titel "Prophezeiung"/"Weissagung" daherkommen.

Es ist doch klar wie Kloßbrühe, daß die Motorisierung so wie oben wahr geworden ist, und daß der ganze große Rest ebenfalls noch so kimmen wird.

Nöö, wo ist das klar? Wenn diese "Voraussagen" stets erst nach dem Eintreten ihres Inhalts bekannt und veröffentlicht wurden, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um vaticinia ex eventibus. Die Falsifizierung dieser Annahme, die in der Regel nicht geleistet wird, wären Belege für das Gegenteil, nämlich Textversionen, die älter als die Ereignisse sind.
Daß die Aussagen vor den behaupteten Ereignissen belegt sein müssen, ist das Schlüsselkriterium schlechthin, um den Verdacht der Fälschung gar nicht erst aufkommen zu lassen, und es ist die Grundanforderung und das zentrale Definitionsmerkmal der Präkogintion überhaupt! Wie kann man sich, wenn man sich für das Thema interessiert, überhaupt mit Aussagen zufriedengeben, die dieser Prämisse, die das Thema an sich im Kern definiert, nicht gerecht werden?
Nicht zielführend ist es, z. B. die Texte schlicht umzuinterpretieren, um aus Aussagen, die schon bei ihrer Veröffentlichung eingetroffen waren, wieder zukünftige Ereignisse zu machen (ohne daß darauf etwas hinweise würde), um an den Text / die Fälschung als Schau glauben zu können.

Im Falle der Motorisierung, der Flugzeuge etc. kannst Du sicherlich keine Belege für die Existenz dieser Voraussagen vor diesen Ereignissen anführen. Es handelt sich lediglich um behauptete Lebensgeschichten halbmythischer oder erfundener Personen, denen diese Aussagen sehr lange nach ihrer angeblichen Lebenszeit von Zeitgenossen der "prophezeiten" Ereignisse/Vorzeichen zugeschrieben wurden. Daß ein Pfarrer oder Volksautor es als wahr behauptet, oder beispielsweise ein Einheimischer um 1970 meint, sein Urgroßvater (dem er nie begegnet ist) hätte den Stormberger noch gekannt, tut nichts zur Sache, wenn die zeitgenössischen Quellen fehlen.

Wenn schon die vermeintlich eingetroffenen Voraussagen den Verdacht einer nachträglichen Erfindung nicht ablegen können, ist es gewiß nicht sinnvoll, auf das Eintreten irgendeines "großen Restes" zu warten, bei dem es sich traditionell um Erfordernisse der Endzeitsparte des christlichen Glaubens handelt, also frühchristliche Postulate über das Weltende, die der damaligen Vorstellungwelt entsprachen, nicht geoffenbart wurden, sondern aus der überkommenen kulturellen Tradition abgeleitet.

Wozu denn noch eigentlich ein solches Forum, wenn alle Weissagungen ohnehin
Märchen und Sagen sind?

Du übergehst geflissentlich den grundlegenden Unterschied, nämlich daß es neben Prophezeiungen hier auch um Schauungen geht, was etwas völlig anderes ist. Schauungen sind nämlich nachweisbare Wahrnehmungen mutmaßlicher Zukunft*, deren Vorliegen als Grundlage älterer Prophezeiungen in der Regel (>99% der Fälle) nicht nachweisbar ist (Ausnahme z. B. die teils eingetroffenen Feldpostbriefe).

*Man achte hier auf die Reihenfolge der Wörter und die grammatischen Fälle: Es handelt sich um außersinnliche Wahrnehmungen, die nachweislich stattgefunden haben und von denen wir annehmen, daß sie die Zukunft gezeigt haben könnten. Inwiefern sie die Zukunft gezeigt haben können, ist gesondert zu beurteilen, wenn das grundsätzliche Vorliegen einer Wahrnehmung belegt ist.

Der fundamentale, nicht zu unterschätzende Unterschied zwischen Schauungen und Prophezeiungen kann nicht scharf genung betont und nicht oft genug wiederholt werden. Daran hängt alles! Wer das nicht auseinanderhält, läuft immer Gefahr, Prophezeiungen, die es nicht verdient haben, pauschal für bare Münze zu nehmen, weil er nicht wahrnimmt, daß Prophezeiungen nicht aus sich selbst heraus echte Wahrnehmungen der Zukunft (= Schauungen, Visionen, Präkognition) sind.

Wenn sich diese selbstverständliche, sprachlich und phänomenologisch sinnvolle Unterscheidung (d. h. Schauungen vs. Prophezeiungen, die mythologisch-religiöse Grundstruktur letzterer, die erstere ausschließt) mal herumsprechen würde, könnten wir hier erheblich weiterkommen, statt immer nur Grundsatzdiskussionen mit Empörten zu führen, die aus ihrem eigenen circulo vitioso nicht mehr herauskommen, also aus ihren unhinterfragten Glaubenssätzen und Grundannahmen, auf die sie als selbstevidente Prämissen in ihren Denkprozessen zurückkommen nach dem Muster: "Ich denke mir einen echten Seher und sehe plötzlich überall dessen Treffer."

Das Forum sollte zum einen dazu dienen, die Prophezeiungen auseinanderzufieseln und auf ihre literarischen sowie ideengeschichtlichen Grundlagen zurückzuführen, zum anderen, möglichst viele echte Schauungen (insbesondere heute lebender Menschen) zu sammeln und zu analysieren.

Oder sollen wir gar dahingehend "missioniert" werden, daß wir alles für Mär und Spinnerei halten? Bei mir klappt das halt ganz und gar nicht, ich weiß auch nicht warum...:error:

Das klappt nicht, weil Du gar nicht missioniert werden sollst, sondern die eigentlich als vernünftig vorauszusetzende Herangehensweise nicht verinnerlicht hast und lieber pauschal an Behauptungen glaubst, statt der Frage auf den Grund zu gehen, was bei diesen eigentlich Sache sei. :-(

Mir geht es nicht darum, daß jeder meine Ansicht teilt. Wohl aber sollte jemand, der die seinige behauptet, sie argumentativ untermauern können. Nicht überzeugend sind dabei Logikkurzschlüsse wie z. B.:

Wie wollen wir denn schlußendlich beurteilen, was eine/r vor 2 oder 300 Jahren tatsächlich für Visionen hatte, die er dann anderen im Dorf mitgeteilt hatte, und später niedergeschrieben wurden, auch wenn später einiges dazugedichtet wurde

…und nicht etwa Skepsis implizierend "mitgeteilt hätte" oder "niedergeschrieben worden wären"!

Das selbe kürzer formuliert: "Wie wollen wir denn beurteilen, was einer für Visionen tatsächlich hatte, die er anderen mitgeteilt hat?" Die Grundannahme, "daß" einer Visionen gehabt hätte, wird im selben Atemzuge als wahr und unprüfbar dargelegt, indem die Frage "ob" er sie gehabt und "ob" er sie mitgeteilt habe, gar nicht miteinbezogen wird! Wie selbstverständlich wird davon ausgegangen, daß lediglich dazugedichtet, also ein unanzweifelbarer Kern, der als unabweisbare condicio sine qua non dasteht, bloß ergänzt wurde.
⇒ Ohne die Notwendigkeit eines Beleges zu empfinden, wird die Existenz einer alten Vision als Prämisse schlicht vorausgesetzt. Eine Prüfung wird tendenziell gar als Sakrileg betrachtet, denn es handele sich ja um eine alte Vision. Die Behauptung des Textes von sich selbst, daß er echte Zukunft enthalte, solle ausreichen. (So vielleicht nicht in letzter Konsequenz Deine, aber eine verbreitete Denkweise.)
Weil natürlich niemand die Hinzudichtungen vom postulierten wahren Kern eindeutig scheiden kann, scheint es umgekehrt erlaubt, jeden Satz als potentiell dem wahren Kern zugehörig zu betrachten. Im Fortgang wird dann schließlich alles geglaubt, da eine Dichtung nicht erkennbar wäre. :schief:
Die Frage wäre dann aber eher umgekehrt zu stellen, ob ein wahrer Kern überhaupt erkennbar sei.

Bevor man daran geht, angebliche alte Visionen beurteilen zu wollen oder aus der Beurteilung nach dem Motto "nix g'wiß woaß ma net" ein Tabu zu machen, sollte es um den Nachweis gehen, ob es sich tatsächlich um echte Personen und authentische Berichte handelt. Viele unterstellen diese Realexistenz, welche einem spätere Autoren (Landstorfer, Adlmaier, Bekh, Berndt usw.) als Axiom glauben machen wollten, pauschal als Tatsache.
:trost:

Im Falle des Mühlhiasl wurde von Reinhard Haller eindeutig nachgewiesen, daß es diese Person in der von der Prophezeiungsliteratur nachgewiesenen Form niemals gegeben hat. Ähnliches tat er beim mit Mühlhiasl immer wieder unzulässig vermischten Stormberger.
Die beiden stehen aber pars pro toto für andere Volkssagen, die in leichten Abwandlungen sehr ähnliche oder die selben Sätze enthalten. Diesen Quellen ohne weiteres eine Echtheit zu unterstellen, gibt es keine Veranlassung. Aber selbst in Berndts jüngeren Büchern (mein letztes von ihm datiert auf 2011) steht das Mühlhiaslmärchen immer noch in der längst widerlegten Fassung im Register. Völlig erkenntnisresistent!

Nur weil auf Deibel raus nix passiert, was wie eine Weltenwende ausschaut.

Rate mal, warum nichts passiert, das dem prophezeiten Krach entspricht, obwohl die ganze Zeit (seit Jahrhunderten!) immer nur Vorzeichen am Eintreffen sind?
Dagegen befindet sich das Abendland seit dem 18. Jahrhundert in einer Dauerrevolution, in einer gigantischen Katastrophe, die seit der Zeit unserer Ururururgroßeltern läuft und inzwischen den ganzen Planeten erfaßt hat, die aber von den versierten Prophezeiungsgläubigen gar nicht gebührend wahrgenommen wird, weil sie wie das Kaninchen auf die Schlange auf ihre Zukunftsmärchen mit dem Endzeitkaschperl, dem Endzeitkrokodil und dem Räuber Hotzenplotz fixiert sind. Wir sind doch bereits seit seit mehr als 200 Jahren in der "Weltenwende"!

Aber es geht doch um den KERN der Weissagung, also daß es mal krachen wird,
und hinterher die Welt wieder leerer sein wird.

Für einen so dürftigen Kern bedarf es keiner Weissagung. Diese "Erkenntnis" reißt allenfalls jene vom Hocker, die an ein stetes Aufwärts ohne Ende in einem System, das funktioniert, glauben.

Eigentlich geht es nicht um den Kern der Weissagung und dessen Verheißung, sondern zunächst um die Frage, ob ein (sich davon unterscheidender) Kern in Form einer echten Zukunftsschau vorhanden ist.
Die Kernaussage eines religiösen Erwartungsgebäudes ist unerheblich, wenn dieses ein in sich geschlossenes Glaubenssytem bildet, in dem die zentralen Erwartungen als ursprüngliche Glaubenswahrheiten irgendwann (sehr früh in der Geschichte) normativ in die Welt gesetzt wurden. Seitdem gruppieren sich alle Aussagen ("Vorzeichen" in der Volkssage) um diesen Kernbestand aus Glaubenssätzen (z. B. "Glaubensverfall", "Antichristherrschaft", "Strafgericht", "Goldendes Zeitalter"). Wenn man erst mal erkannt hat, daß es sich beim ganzen Szenario nur um einen sich selbst (per Plagiat und Aufgreifen vorhandener Ideen) reproduzierenden Mythos handelt, kann man sich überlegen welche Elemente der Überlieferung echten präkognitiven Ursprungs sein könnten (etwa die Flut in Norddeutschland), die lediglich wegen der gemeinsamen Grundausrichtung "Zukunft" mit dem religiösen Prophezeiungskanon verschmolzen sind.

Auch wenn diesen Ragnarökk viele von uns nicht mehr erleben werden, heißt das
doch nicht, daß er deshalb gar nicht existent ist oder gar nicht kommen DARF.

Wie kommst Du darauf, daß dies meine Einstellung wäre? :stutz:
Wie ich oben schrieb und und in sehr vielen (!!!) Beiträgen über die Jahre ausgebreitet habe, gehe ich sehr wohl von einer Cäsur aus, die ja bereits läuft und rapide ihrer Talsohle der größten Dunkelheit entgegenrumpelt.

Allein die Tatsache, daß die Weltvevölkerung Jahr pro Jahr um 80 Millionen
zunimmt, ruft in uns die Erinnerung wach, daß solch eine exponentielle Kurve
bald ihr jähes Ende finden MUSS.

Ja, eben! :ok2:

Nichts für ungut, lieber Eyspfeil! Obige Ausführungen, insbesondere zu Logikkurzschlüssen, klingen in ihrer Reduktion auf das sachlich Wesentliche rhetorisch wahrscheinlich wieder härter, als sie gemütsmäßig gemeint sind. :schüchtern:
Es ging mir vor allem darum, auszubreiten, wie man sich mit irrigen Grundannahmen und darauf aufbauenden Argumentationen selbst an der Nase herumführt.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


Gesamter Strang: