Es gibt keinen Stillstand (Schauungen & Prophezeiungen)

Ranma (ランマ), Donnerstag, 07.06.2018, 04:07 (vor 2150 Tagen) @ Taurec (2846 Aufrufe)

Hallo!

Anschließend gehen die in der Regel seelisch (und oft auch genetisch) völlig ruinierten Kulturkreise wieder in das dumpfe Wabern über, das schon vor der Hochkultur war, nur auf einem technisch und organisatorisch höheren, starreren und sterileren Niveau. Da mag es durchaus Einbrüche geben, auch wieder Aufstiege, die dem Fellachen dann als Entwicklung erscheinen. Das Wesentliche ist doch, daß es sich nicht um eine organische Entwicklung aus sich selbst heraus handelt.

Meinst du mit dumpfem Wabern, daß Historiker keine umfangreichen Dokumentensammlungen für manche Zeiten mancher Kulturen haben? Das heißt noch lange nicht, daß nichts passiert wäre!

Warum sollte es nicht möglich sein, exogenen Einfluß von endogener Entwicklung zu unterscheiden?

Weil es immer irgendeine Entwicklung gibt. Außerdem auch, weil die Entwicklung gleich verläuft, egal ob sie exogen oder endogen angeschoben wird. Die Unterscheidung ist somit also sogar auch dort irrelevant, wo die Ursache einer Entwicklung ausreichend gut dokumentiert ist.

Dein Problem ist, daß Du nur bereits zivilisatorische Zeiten Chinas betrachtest.

Mein Problem an dieser Stelle ist vielmehr, daß man die gesamte Geschichte Chinas nicht betrachten kann. Es ist noch keinem Historiker gelungen, in seiner Lebenszeit mehr als einen vergleichsweise winzigen Schwerpunkt unterzubringen. Daher bleibt die Betrachtung der Gesamtzeit immer sehr oberflächlich. Du könntest also sogar Recht haben mit deiner Jahrtausende überspannenden Betrachtung. Das würde dann bedeuten, daß eine zivilisatorische Phase beliebig lange dauern kann. Dann muß auch der komplette Zyklus beliebig lange dauern. Ein Zyklus, der beliebig lange dauert, ist jedoch kein Zyklus. Du läßt ihn in der europäischen Antike Jahrhunderte dauern, in China Jahrtausende und im Wertewesten nur Jahrzehnte und das wiederum läßt mich an der logischen Stringenz der Theorie zweifeln.

Die Hochkulturphase fand zwisch 1.300 und 300 vor Christus statt und wird weitgehend von der Shang-Dynastie und der Zhou-Dynastie eingefaßt. Die Zeit der streitenden Reiche entspricht unserem Zeitalter der Weltkriege seit Napoleon.

"Die Shang-Dynastie ist die erste chinesische Dynastie, die zeitgenössische schriftliche Dokumente hinterlassen hat."

So kann man das auch sehen. Jahrhundertelang sahen Europäer das jedoch so, daß die Chinesen die Shang und die Zhou frei erfunden hätten. Nach und nach mußten europäische Gelehrte erst die Existenz der Zhou zugeben und dann auch die der Shang. Die vorangegangene Xia-Dynastie wird trotzdem noch immer angezweifelt. Dabei reicht die chinesische Geschichte sogar noch weiter zurück, wobei sie, wie allerdings auch die griechische und die japanische Geschichte, in Mythologie übergeht.

Schriftliche Dokumente (mehr als nur Runenkritzeleien usw.) sind primäres äußeres Merkmal einer Hochkultur. Die Menschen sind in die Geschichte bewußt eingetreten, sind seelisch erwacht.

Hier lehnst du dich ziemlich weit aus dem Fenster. Schreiben wurde auf unserem Planeten viermal erfunden. Von China aus und von der Levante aus wurde diese wichtige Kulturtechnik weiterverbreitet.

In Zhou ging es aber erst richtig aufwärts. China glich oberflächlich dem Heiligen Römischen Reich:

"Das Reich teilte sich in 9 Provinzen und ca. 1700 Lehen. Es gab 5 Rangklassen von Lehnsherren, eine Hofhaltung mit königlichen Inspektionsreisen und ein diplomatisches Protokoll für den Umgang zwischen dem König und seinen Lehnsherren. Drei Großherzöge und sechs Minister fungierten als Staatsverwaltung."

Beachtlich ist auch die Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, die etwa unserer Hansezeit (ab ca. 14. Jahrhundert) entspricht:

  • Herausbildung einer nichtadligen Oberschicht in den Dorfgemeinden.
  • Herausbildung einer Schicht von der Aristokratie unabhängiger Kaufleute.
  • Fortschreitende Differenzierung des Handwerks, Entstehung einer von dem für die Höfe produzierenden Handwerk unterschiedenen Schicht selbstständiger Handwerker.

Weiters traten erstmals Philosophen (Laotse, Konfuzius) auf. Für eine Urkultur ein Unding, für Hochkulturen unabdingbar.

"Besonders zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen und der Zeit der Streitenden Reiche blühte sie [die Philosophie] aufgrund der schwierigen Verhältnisse."

Auch der Autor des Wikipediaartikels hatte natürlich keine Ahnung.

Warum zitierst du ihn dann? Leider ist die Wikipedia zur Zeit das beste Werk, das es über die Geschichte Chinas gibt. Das liegt jedoch nur an der mangelnden Konkurrenz, aufgrund der Notwendigkeit der Spezialisierung auf kleine Gebiete, wenn man die Geschichte Chinas erforscht.

Die Philosophie blühte nicht aufgrund "schwieriger Verhältnisse" (die Verhältnisse sind immer schwierig), sondern weil die Kultur zunehmend in die Spätzeit überging, in der die Städte wuchsen und allmählich die Oberhand über das geistlose Land gewannen. Im selben Maße wächst die Intellektualität, bis schließlich an der Schwelle zur Zivilisation die großen Ideologien auftauchen, für die sich für wenige Generationen Millionen abschlachten lassen, ehe die fellachoiden Nachfahren in Ideen keinen großen Sinn mehr erkennen können.

Nur wenige Generationen? Das wäre wirklich schön, wenn es so wäre. Das ist allerdings nicht das, was ich in der Geschichte erkennen kann.

Qin ist schließlich reine imperiale Machtentfaltung, in der die chinesischen Reiche in einem Imperium vereint sich im Osten Chinas geographisch auf die heutige Ausdehnung ausweiten.

Das war eine der absolutistischen Phasen, die ich meine, wenn ich behaupte, daß die Chinesen mindestens drei davon schon hatten. Es kann natürlich sein, daß das nur ein Auf und Ab innerhalb der Zivilisation ist. Bisher hatte ich BBouvier und dich jedoch so verstanden, daß Absolutismus ein Zeichen für die Zeit der Imperatoren ist. Was ihr wohl auch so meintet, nur nicht, daß dann daraus der Umkehrschluß zu ziehen wäre, daß Zeiten mit machtlosen Monarchen außerhalb der Phase der Zivilisation liegen müssen?

Der Typus des chinesischen Fellachen ist der massenhaft auftretende Han-Chinese, der in der Hochkulturphase noch gar nicht vorhanden war.

Wie schön, daß dir das nicht entgangen ist. Ich hatte schon befürchtet, daß ich das erklären müßte und mich niemand verstehen würde. Chinese ist nicht gleichbedeutend mit Hàn und die ethnische Zusammensetzung der Chinesen hat sich im Lauf der Geschichte gewandelt. Auch deshalb meinte ich, man müßte den Hàn einen eigenen Kulturzyklus zugestehen und andere chinesische Ethnien hätten einen anderen Kulturzyklus. Deine Idee, Lehen der Zhou mit modernen Nationen gleichzusetzen, ist eine, heftige Projektion. Sie können eine ähnliche Funktion gehabt haben, aber sie konnten nicht etwas sein, das erst im achtzehnten nachchristlichem Jahrhundert erfunden wurde. Also woran macht man dann fest, wer zu einer Kultur gehört, wenn nicht an der Ethnie? Du erzählst mir, daß auch die Ethnie dafür ausscheidet, aber wer gehört dann zu den Chinesen und wer nicht?

Damit ging natürlich einher, daß wir heute übermäßig viel über die chinesische Zivilisationsphase wissen, recht wenig indes über die Epoche der hochkulturellen Entwicklung, und manche vermeinen, die Zeit nach Qin wäre die chinesische Kultur.

Das ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil europäische Gelehrte während des größten Teils der Zeit, in der man sich überhaupt für die Geschichte Chinas interessiert, alles vor der Qin als bloße Erfindung abgetan haben!

Bedeutend ist, daß die Völker- und Sprachenvielfalt, die den Han unterstellt wird, sich auf die Südküste Chinas konzentriert:

An der Stelle verstehe ich nicht, was du meinst. Du zeigst eine Karte, die betitelt ist als Karte der sinitischen Sprachen. Ins Deutsche übersetzt ist das der chinesische Zweig der sinotibetischen Sprachen. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um die Sprachen ethnisch echter Chinesen! In China sind jedoch (mit Ausnahme der konstruierten Huí, bei denen es sich um islamisierte Hàn handelt) nur solche Ethnien als ethnische Minderheiten und damit als eigenständige Ethnien anerkannt, die nichtchinesische Sprachen sprechen. Nach der besagten Karte redest du dann jedoch nur noch von den ethnischen Minderheiten. Deren Sprachen sind auf der Karte nicht eingezeichnet! Die Offenbarung völliger Unkenntnis und daher sehr fraglich, was daran bedeutend sein soll. Im Deutschen wird übrigens rein aus politischer Korrektheit (schließlich wollen wir uns der chinesischen Regierung anbiedern) nur Hàn als die chinesische Sprache bezeichnet. Die übrigen chinesischen Sprachen werden politisch korrekt Dialektgruppen genannt, was nichts weiter als eine sprachwissenschaftliche Definition einer Sprache und daher als Umschreibung praktikabel ist. Die nichtchinesischen Sprachen ethnischer Minderheiten in China darf man als Sprachen bezeichnen.

Gruß

Ranma


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