die hintergründige Mathematik der Geschichte (Schauungen & Prophezeiungen)

Sagitta, Mittwoch, 13.06.2018, 23:54 (vor 2136 Tagen) @ Taurec (2732 Aufrufe)

Guten Abend Taurec!

Meine Frage bezog sich nicht auf den Hochkulturzyklus sondern allein auf die Dauer der gegenwärtigen Herrschaftsstruktur der kommunistischen Partitokraten, deren von Dir indirekt gerügtes (moralisches) Verhalten aus der Perspektive meiner Fragestellung völlig irrelevant ist. Auch nehme ich keine Stellung zu Deinen (aus meiner Sicht und Kenntnis wenig qualifizierten) Bemerkungen zum chinesischen Kulturzyklus sowie zu Deinen eigenen Ideen hinsichtlich der Differenzierung zwischen Hochkultur und Zivilisation. Ich habe mit meiner Frage vielmehr darauf aufmerksam machen wollen, dass es neben dem hier ständig zitierten, aber nur wenig verstandenen Hochkulturzyklus noch weitere wichtige Geschichtszyklen gibt.

Es fällt beim Studium des von mir verlinkten Diagramms beispielsweise auf, dass die wirklich schwergewichtigen (nicht nur lokalen und wenige Jahrzehnte dauernden) Dynastien immer eine Lebensdauer von etwa 260 bis 320 Jahren haben.

Tang 618-907 => 289
Song 960 - 1279 => 319
Ming 1368 - 1644 => 276
Qing 1911 - 1644 => 267

Genaugenommen liegen die Machtkonglomerate im geschichtlichen Ablauf und in der geopraphischen Erstreckung dachziegelartig übereinander. Hierzu ein Beispiel: der eigentlich Gründer der Qing-Dynastie war Nurhaci, ein Fürst im Norden, der 1616 seine Unterordnung unter die Ming aufgab, ab 1619 massiv kriegerisch ins Reich einbrach und seinen Herrschaftsbereich dort schnell ausdehnte. Die Jahreszählung der Dynastie beginnt aber erst 1644 mit dem Tode des letzten Ming-Kaisers Chongzhen. Die eigentliche Herrschaft der Manschu (im 'Reiche') erstreckte sich damit von 1616 bis 1911, also 295 Jahre. Und genau genommen könnte man noch jene Zeit dazu nehmen, die Nurhaci benötigt hat, um den Angriff auf China durch eine eigene Herrschaftsbasis in der Steppe nördlich der Großen Mauer vorzubereiten. Dann kommt man auf eine Gesamtdauer von etwas mehr als 300 Jahren Herrschaft der Mandschu.

Gleichermaßen haben die Ming-Herrscher zwar 1644 die Hauptstadt räumen müssen, aber einige Prinzen konnten im Süden regional weiter regieren und Aufstände im Reich gegen die Mandschu organisieren. Der letzte Prinz von Gui starb 1662, und so haben auch die Ming etwas mehr als 300 Jahre regiert, wenn man den Beginn ihrer Herrschaft ab der Eroberung der alten Hauptstadt Nanjing im Jahr 1356 datiert. ***)

Man kann also bereits an diesem einzigen Beispiel (nämlich der chinesischen Geschichte) eine Hypothese formulieren: dass nämlich politische Machtzyklen maximal rund 300 Jahre dauern. Auf Basis dieser Hypothese kann man nun ferner eine Prognose machen: dass die Herrschaft der neuen Dynastie, nämlich der kommunistischen Parteisekretäre, ebenfalls rund 300 Jahre dauern wird. Die Frage ist allein, ob man ab den 1920er Jahren rechnet (Gründung der KPCh) oder erst ab 1949, als die Kommunisten Tschiang Kai Check verdrängt hatten und in Peking die Volksrepublik ausriefen. Wenn obige Detailanalyse jedoch akzeptiert wird, dann würde die Machstruktur, die die Kommunisten ab den 1920ern zunächst regional aufgebaut haben und in unseren Tagen ihre internationale Relevanz bekommt, im Jahre 2222 enden. Da es sich um einen Wachstums- und Zerfallsprozess handelt, wird der Niedergang schon im 22. Jahrhundert (also beginnend im Jahr 2100) einsetzen und gute hundert Jahre später vollendet sein.

Es gibt ein mehrbändiges Werk von Bertold Spuler, teils englisch, teils deutsch, in dem sämtliche bekannten "Regenten und Regierungen der Welt" tabellarisch aufgelistet werden (ab ca. 1000 n.Chr. sogar mit Tagesdaten!), dabei eingeschlossen natürlich auch die Dauerhaftigkeit ihrer Herrschaftsketten (mittels Herrschaft durchgesetzte Sukzessionen), die ich hier am Beispiel der chinesischen Dynastien dargestellt habe. Wer also die obig vorgestellte Hypothese (der dreihundertjährigen Machtzyklen) falsifiziern oder verifizieren möchte, der kann das mit dem Datenmaterial im genannten Buch gerne tun, vorzugsweise mit einem statistisch wohlüberlegten Zugang (denn es ist das einzige Material, das für derartige Untersuchungen zur Verfügung steht).

Bei noch weiter vertiefter Untersuchung ergibt sich, dass der 300-Jahres-Zyklus die Halbzeit eines ca. 600jährigen Hintergrundzyklus ist,
der nur durch seine Resonanz mit einem anderen, ebenfalls sehr langen Zyklus (astrologisch ein 'synodischer Zyklus') als ein Machtzyklus erscheint.

Nebenbei bemerkt: diese Zyklen sind universal und wirken in der chinesischen Geschichte genauso wie in anderen Weltregionen. Es mag
historisch gebildeten LeserINNEn aufgefallen sein, dass der oben beschriebene Machtaufbau der Mandschu in China in die gleiche Zeitspanne fällt, wie der Dreißigjährige Krieg in Mitteleuropa oder der Aufstieg der Romanows in Russland. Von daher ist es absolut kein Zufall sondern Wirkung eines kristallklaren zyklischen Mechanismus, dass sowohl der Zar wie die deutsch-österreichischen Könige und Kaiser sowie und auch die letzte Kaiserin von China innerhalb nur eines Jahrzehnts 'gleichzeitig' abdanken mussten. Hier wirkt das "Gesetz der dreihundert Jahre", das so fest und exakt ist wie das Gravitationsgesetz. Von daher sind auch Deine Bemerkungen etwa zur wunderbaren organischen Weltsicht eines Goethe im (angeblichen) Gegensatz zu meinen mechanistischen Ansichten völlig daneben gegriffen, denn was uns lebendig 'organisch' erscheint (etwa das Aufblühen einer Blume) ist nur möglich bzw. existiert nur, weil Milliarden von Teilprozessen in einem solchen 'Organismus' auf millionstel Sekunden genau abgestimmt ineinander greifen.

Dies also die korrekte Antwort auf die Quizfrage, gegeben - mit besten Grüßen - von der weltfremden und realitätsfernen Dampfschwadensagitta.

***) Eine derartige Herrschaftsstruktur kann man wie ein Lebewesen ansehen, das geboren wird, irgendwann wieder stirbt und über die dazwischen liegende Zeitspanne hinweg eine quasi organische Entfaltung aufweist (Jugend - volle Manneskraft - Vergreisung). Die einzelnen Zellen dieses Lebewesen sind dann Menschen, die zusammengehalten werden durch eben durch diese Herrschaft. Als Individuen leben diese Menschen nur einen Bruchteil der gesamten Dauer der Herrschaft, im Durchschnitt ein Zehntel (30 Jahre - 300 Jahre), aber durch ihr Leben (inkl. Steuerzahlung, Frondienste etc.) tragen sie zur Existenz des 300jährigen (transzendenten) Musters essentiell bei. Genauso leben die einzelnen Gewebezellen in unserem Körper nur wenige Wochen oder Monate, wir selbst aber mehrere Jahrzehnte - und fühlen uns über die gesamte Zeit als ein und dasselbe 'Individuum' (im Wortsinn: "ungeteiltes").


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