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Übergang der chinesischen Kultur zur Zivilisation (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Mittwoch, 06.06.2018, 09:20 (vor 2157 Tagen) @ Ranma (らんま) (2961 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Mittwoch, 06.06.2018, 13:32

Hallo!

Die einzige Alternative dazu wäre gewesen die Jahrhunderte in völligem Stillstand zu verbringen. Wo hätte es das je gegeben?

In den meisten Erdregionen über die längste Zeit der Geschichte. Kulturelle Entwicklung ist die absolute Ausnahme, verläuft innerhalb weniger Jahrhunderte und endet ausschließlich tragisch. Anschließend gehen die in der Regel seelisch (und oft auch genetisch) völlig ruinierten Kulturkreise wieder in das dumpfe Wabern über, das schon vor der Hochkultur war, nur auf einem technisch und organisatorisch höheren, starreren und sterileren Niveau. Da mag es durchaus Einbrüche geben, auch wieder Aufstiege, die dem Fellachen dann als Entwicklung erscheinen. Das Wesentliche ist doch, daß es sich nicht um eine organische Entwicklung aus sich selbst heraus handelt.

Die Problematik hier ist vielmehr, daß man den Einfluß einer fremden Kultur nicht von natürlicher Weiterentwicklung unterscheiden kann. Das ist völlig logisch für eine in Zyklen verlaufenden Geschichte.

Warum sollte es nicht möglich sein, exogenen Einfluß von endogener Entwicklung zu unterscheiden?

Selbstverständlich wurden auch viele der Eigenschaften der Míng von den Mongolen eingeführt. Hätten die alle Macht bei den Beamten belassen, dann hätten weiterhin Chinesen regiert. Also hatte der Khan das letzte Wort. Die Míng-Kaiser hatten schließlich kein Interesse daran, ihre Macht wieder abzugeben. Es hatte zuvor schon Jahrhunderte gedauert bis die Macht in die Hände der Beamten gefallen war und die Míng-Zeit war die mindestens schon dritte absolutistische Phase in der Geschichte Chinas.

Dein Problem ist, daß Du nur bereits zivilisatorische Zeiten Chinas betrachtest. Die Hochkulturphase fand zwisch 1.300 und 300 vor Christus statt und wird weitgehend von der Shang-Dynastie und der Zhou-Dynastie eingefaßt. Die Zeit der streitenden Reiche entspricht unserem Zeitalter der Weltkriege seit Napoleon.

"Die Shang-Dynastie ist die erste chinesische Dynastie, die zeitgenössische schriftliche Dokumente hinterlassen hat."

Schriftliche Dokumente (mehr als nur Runenkritzeleien usw.) sind primäres äußeres Merkmal einer Hochkultur. Die Menschen sind in die Geschichte bewußt eingetreten, sind seelisch erwacht.

In Zhou ging es aber erst richtig aufwärts. China glich oberflächlich dem Heiligen Römischen Reich:

"Das Reich teilte sich in 9 Provinzen und ca. 1700 Lehen. Es gab 5 Rangklassen von Lehnsherren, eine Hofhaltung mit königlichen Inspektionsreisen und ein diplomatisches Protokoll für den Umgang zwischen dem König und seinen Lehnsherren. Drei Großherzöge und sechs Minister fungierten als Staatsverwaltung."

Beachtlich ist auch die Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, die etwa unserer Hansezeit (ab ca. 14. Jahrhundert) entspricht:

  • Herausbildung einer nichtadligen Oberschicht in den Dorfgemeinden.
  • Herausbildung einer Schicht von der Aristokratie unabhängiger Kaufleute.
  • Fortschreitende Differenzierung des Handwerks, Entstehung einer von dem für die Höfe produzierenden Handwerk unterschiedenen Schicht selbstständiger Handwerker.

Weiters traten erstmals Philosophen (Laotse, Konfuzius) auf. Für eine Urkultur ein Unding, für Hochkulturen unabdingbar.

"Besonders zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen und der Zeit der Streitenden Reiche blühte sie [die Philosophie] aufgrund der schwierigen Verhältnisse."

Auch der Autor des Wikipediaartikels hatte natürlich keine Ahnung. Die Philosophie blühte nicht aufgrund "schwieriger Verhältnisse" (die Verhältnisse sind immer schwierig), sondern weil die Kultur zunehmend in die Spätzeit überging, in der die Städte wuchsen und allmählich die Oberhand über das geistlose Land gewannen. Im selben Maße wächst die Intellektualität, bis schließlich an der Schwelle zur Zivilisation die großen Ideologien auftauchen, für die sich für wenige Generationen Millionen abschlachten lassen, ehe die fellachoiden Nachfahren in Ideen keinen großen Sinn mehr erkennen können.

"Die straffere Organisation der Herzogtümer führte im 4. und 3. Jhd. v. Chr. auch zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und technischen Neuerungen. Die Landwirtschaft wurde intensiviert, man verwendete Dünger, gegossene Eisenwerkzeuge (Eisenguss 513 v. Chr. nachgewiesen) und das Brustgurtgeschirr, was den Zugtieren nicht mehr die Luftröhre abdrückte. Ferner unterschied man mehrere Bodenarten, be- und entwässerte in großen Anlagen, deren Konstrukteure auch namentlich überliefert sind."

Nein, nicht die straffere Organisation, sondern der Übergang zur Zivilisation ging mit technischen Neuerungen und strafferer Organisation (beides bedingt einander) einher. Anzunehmen ist, daß nun nicht mehr der chinesische Bauer auf seiner Scholle sich selbst ernährte, sondern daß Großteile des Volkes entwurzelt in den Städten darbten und an der Zitze des Systems saugten, für das sie Frondienste (heute sagt man "Dienstleistung") verrichteten.

"Infolgedessen nahm die Bevölkerungszahl im Gegensatz zur frühen Zhou-Zeit zu. Auch die Art der Kriegsführung wandelte sich vom ritualisierten Privileg des Adels zum gewissenlosen Einsatz großer Bauernheere, die mehr als 100.000 Mann umfassen konnten. In diesem geänderten Umfeld formten sich die Machtgrundlagen der künftigen Qin-Dynastie."

Damit ist die chinesische Hochkultur in die Zeit der Massenbevölkerungen und Massenheere eingetreten, die unserem 19. Jahrhundert entspricht. Typischerweise werden sie noch von klassischen Monarchen oder Präkursoren der Imperatur wie Napoleon ins Feld geführt. Qin ist schließlich reine imperiale Machtentfaltung, in der die chinesischen Reiche in einem Imperium vereint sich im Osten Chinas geographisch auf die heutige Ausdehnung ausweiten.

Die Vielfalt der chinesischen Nationen, die zur Zeit der streitenden Reiche noch existierte und unserer Vielfalt (Deutsche, Franzosen, Briten, Italiener, Spanier) mit den unterschiedlichen Volkscharakteren und Sprachen durchaus vergleichbar ist, verschwindet in der Zivilisation vollständig. Der Typus des chinesischen Fellachen ist der massenhaft auftretende Han-Chinese, der in der Hochkulturphase noch gar nicht vorhanden war. "Unter dem Han-Kaiserreich (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) bildete sich die Volksgruppe der Han heraus." Offenbar hat sich die chinesische Zivlisation dort ihre Variante des "neuen Menschen" geschaffen, der die alte organisch gewachsene Vielfalt ersetzte. Kennzeichnend für Qin und alle folgenden "Dynastien" ist die Ersetzung der altens Reichsstruktur durch von kaiserlichen Beamten geleitete "Kommandanturen", die Umsiedlung aller Adligen in die Hauptstadt (kaltgestellt und damit abgeschafft), die Vereinheitlichung der Schrift (und damit der Sprache) und der Gesetzgebung, vor allem aber großangelegte Büchervernichtungen mit dem Ziel, die Geschichte umzuschreiben und Gedanken auszumerzen, welche "die Gegenwart mit Hilfe der Vergangenheit kritisierten". Das erinnert an heutige "Geschichtspolitik" und das Bestreben des modernen europäischen Menschen, seine Vorfahren als möglichst dumm und zurückgeblieben zu betrachten, um selbst als die Endlösung aller historischen Probleme zu erscheinen.
Damit ging natürlich einher, daß wir heute übermäßig viel über die chinesische Zivilisationsphase wissen, recht wenig indes über die Epoche der hochkulturellen Entwicklung, und manche vermeinen, die Zeit nach Qin wäre die chinesische Kultur.

Bedeutend ist, daß die Völker- und Sprachenvielfalt, die den Han unterstellt wird, sich auf die Südküste Chinas konzentriert:

[image]

Historisch ist das aber nicht der Mutterboden der chinesischen Hochkultur. Bis zum Südchinesischen Meer hat sich die chinesische Zivilisation erst nach 200 v. Chr. ausgebreitet. Zuvor herrschten dort die "Hundert Yue-Stämme", "Sammelbegriff für nicht-chinesische Volksgruppen („Barbaren“) im heutigen Südchina". Die heutige Struktur ist offenbar die Folge mehrerer Kolonisationswellen, während sich auf dem chinesischen Mutterboden der neue chinesische Mensch herausbildete.
Entsprechend hat sich z. B. die antike Zivilisation unter den Römern immer wieder angrenzende Barbarenstämme unterworfen. Solche Expansion in fremde Gebiete ist typisch für Zivilisationen, deren Imperatoren zur Herstellung innerer Stabilität immer wieder Kriege im Äußeren führen.
Indes wurde die Vielfalt der italischen Sprachen und Dialekte, schließlich auch in den unterworfenen Gebieten von der römischen Zentralsprache, dem Lateinischen, völlig überprägt. Solche Vorgänge sind typisch für Zivilisationen.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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