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Zivilisation (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 07.06.2018, 09:56 (vor 2148 Tagen) @ Ranma (ランマ) (2958 Aufrufe)

Hallo!

Meinst du mit dumpfem Wabern, daß Historiker keine umfangreichen Dokumentensammlungen für manche Zeiten mancher Kulturen haben? Das heißt noch lange nicht, daß nichts passiert wäre!

Nein. Ich meine damit, daß sich das Leben der Germanen um 300 n. Chr. vom Leben ihrer Vorfahren 1000 v. Chr. nicht prinzipiell unterschieden hat. An diese Stelle kannst Du jedwede Region der Welt setzen und Du wirst über lange Zeit keine Veränderung finden.
Das Leben ist über lange Zeitperioden gleichförmig, bis wie ein kurzer Blitz in der Welgeschichte eine Hochkultur aufflammt, anderen Stelle es noch zwei- bis dreitausend Jahre nachlodern mag.
Die Chinesische Zivilisation etwa zeichnet sich nach der Zeit der Streitenden Reiche durch ein wildes, zufälliges Konglomerat folgender Bestandteile aus, deren Auftreten keinem Sinn folgt, kein inneres Schicksal darstellt, sondern von äußeren Zufälligkeit abhängt:

  • Einfall von Fremdvölkern und Barbaren von außen
  • Einsickern fremder Weltanschauungen (z. B. Buddhismus, Kommunismus oder faustische Wissenschaft) von außen
  • Bestrebungen zur Renaissance des chinesischen Kaiserreichs und der Kultur in der Anfangsfassung. In der Regel tritt dabei eine eklektische, synkretistische Auswahl älterer Elemte auf: Legalismus, Konfuzianismus und was es da sonst noch geben mag. Einzelne Elemente werden herausgegriffen, uminterpretiert und der jeweiligen Situation angepaßt.

Das ist Zivilisation: Eine fertige, überkochte Suppe, in der von außen ständig aufs Neue mit dem Löffel umgerührt wird. Sobald sich oben eine Haut bildet und die Fettaugen schwimmen, wird die abgestandene Plörre wieder in Bewegung versetzt. Wer zufällig vorbeikommt wirft seine eigenen Zutaten hinein, wobei eher aus Versehen etwas Genießbares entsteht.
So läuft es in Indien seit 500 v. Chr. So lief es in Ägypten seit 1500 v. Chr. So läuft es in der arabischen Welt seit 1000 n. Chr. So würde es in der antiken Zivilisation noch bis zum heutigen Tage laufen, wenn sie nicht durch äußere Einflüsse zusammengebrochen wäre.
Das ist reiner Stilltand in der ewigen Wiederkehr des Immergleichen.

Warum sollte es nicht möglich sein, exogenen Einfluß von endogener Entwicklung zu unterscheiden?


Weil es immer irgendeine Entwicklung gibt. Außerdem auch, weil die Entwicklung gleich verläuft, egal ob sie exogen oder endogen angeschoben wird. Die Unterscheidung ist somit also sogar auch dort irrelevant, wo die Ursache einer Entwicklung ausreichend gut dokumentiert ist.

Du schreibst "Entwicklung", aber meinst "Veränderung". Dabei unterstellst Du, daß es sich per se um etwas Gutes handeln würde. Allerdings sollte man es bei der bloßen Feststellung lassen, daß es stets Veränderungen gibt, die einen Zustand von einem vorherigen Unterscheiden. Die Frage ist, ob sich tatsächlich etwas entwickelt oder nur abwechselt.

Du könntest also sogar Recht haben mit deiner Jahrtausende überspannenden Betrachtung. Das würde dann bedeuten, daß eine zivilisatorische Phase beliebig lange dauern kann. Dann muß auch der komplette Zyklus beliebig lange dauern.

Die Zivilisation, die zyklenlos ist, kann beliebig lange dauern. Die Hochkultur indes, die am Anfang steht dauert mit einer geringern Unschärfe ca. 1000 Jahre. Das ist fest.

Du läßt ihn in der europäischen Antike Jahrhunderte dauern, in China Jahrtausende und im Wertewesten nur Jahrzehnte und das wiederum läßt mich an der logischen Stringenz der Theorie zweifeln.

Mein Problem ist, daß ich ständig mit Leuten diskutiere, die Spengler entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben, wobei sie nicht verstanden haben, daß sie ihn nicht verstanden haben, was sie aber der Philosophie anlasten statt sich selbst.
(Persönlich bin ich durchaus schon weiter als Spengler und habe ihn für mich abgewandelt. Allerdings muß man hierfür erst mal die Grundlagen verstanden haben.)

  • Antike:
    • Hochkultur: 1300 v. Chr. bis 300 v. Chr.
    • Zivilisation: 300 v. Chr. bis ca. 500 n. Chr.
  • China:
    • Hochkultur: 1300 v. Chr. bis 300 v. Chr.
    • Zivilisation: 300 v. Chr. bis mindestens heute
  • Japan:
    • Hochkultur: ca. 800 n. Chr. bis 1800 n. Chr.
    • Zivilisation: 1800 n. Chr. bis mindestens heute
  • Abendland:
    • Hochkultur: 800 n. Chr. bis 1800 n. Chr.
    • Zivilisation: 1800 n. Chr. bis mindestens heute
  • Ägypten:
    • Hochkultur: 2600 v. Chr. bis 1600 v. Chr.
    • Zivilisation: 1600 v. Chr. bis zur Zeitenwende
  • Jüdisch-arabische Kultur:
    • Hochkultur: Zeitenwende bis 1000 n. Chr.
    • Zivilisation: 1000 n. Chr. bis mindestens heute
  • Indische Kultur:
    • Hochkultur: 1500 v. Chr. bis 500 v. Chr.
    • Zivilisation: 500 v. Chr. bis mindestens heute
  • Mittelamerikanische Kultur:
    • Hochkultur (vermutlich): ca. 100 v. Chr. bis 900 n. Chr. (Kollaps der Maya-Zentren im zentralen Tiefland)
    • Zivilisation: 900 n. Chr. bis zur Ankunft der Spanier

Der Dauer der Zivilisation scheint keiner festen Regel zu folgen, wenngleich intern wild durcheinander Dynastien wechseln.

Schriftliche Dokumente (mehr als nur Runenkritzeleien usw.) sind primäres äußeres Merkmal einer Hochkultur. Die Menschen sind in die Geschichte bewußt eingetreten, sind seelisch erwacht.


Hier lehnst du dich ziemlich weit aus dem Fenster. Schreiben wurde auf unserem Planeten viermal erfunden. Von China aus und von der Levante aus wurde diese wichtige Kulturtechnik weiterverbreitet.

Es wurde sogar von jeder Kultur für sich entdeckt, also mindestens acht mal. Dabei wurden durchaus vorhandene Schriftsystem übernommen und abgewandelt.

Qin ist schließlich reine imperiale Machtentfaltung, in der die chinesischen Reiche in einem Imperium vereint sich im Osten Chinas geographisch auf die heutige Ausdehnung ausweiten.


Das war eine der absolutistischen Phasen, die ich meine, wenn ich behaupte, daß die Chinesen mindestens drei davon schon hatten. Es kann natürlich sein, daß das nur ein Auf und Ab innerhalb der Zivilisation ist.

Es geht allein um die erste Phase. Diese ist als Vollendung des Zyklus noch bedeutsam. Alle folgenden sind zufällige Erneuerungen, die an die erste Reichseinigung anknüpfen wollen.
Entsprechend versuchten spätere Cäsaren immer wieder die augustäische Epoche wiederherzustellen, oder Pharaonen das Neue Reich, die als Höhepunkt empfunden wurden.

Bisher hatte ich BBouvier und dich jedoch so verstanden, daß Absolutismus ein Zeichen für die Zeit der Imperatoren ist. Was ihr wohl auch so meintet, nur nicht, daß dann daraus der Umkehrschluß zu ziehen wäre, daß Zeiten mit machtlosen Monarchen außerhalb der Phase der Zivilisation liegen müssen?

Dann wäre bereits Ludwig XIV. ein Imperator gewesen, was er aber nicht war.
Deine Betrachtung ist rein oberflächlich. An dieser Stelle scheinst Du BBouvier und mich nicht verstanden zu haben.
Es kann ebenso machtlose Monarchen wie machtlose Imperatoren geben. In jedem Falle ist irgendwo in deren Umgebung jemand zu finden, der tatsächlich die Zügel hält, entweder ein General, ein Kanzler, ein Kardinal, im Einzelfalle sogar eine Frau. Ist so jemand nicht vorhanden, zerfällt das Reich in Untergruppen.
Der Unterschied zwischen hochkulturellem Monarchen und Imperator liegt darin, daß der Monarch an der Spitze einer organischen Ständegesellschaft steht, während der Imperator über eine formlose Masse herrscht, die bestenfalls nach ökonomischen Gesichtspunkten (Reichtum) sozial geschichtet ist oder (wie in Indien) durch ein starres, undurchlässiges Kastensystem anorganisch geschichtet ist.

Der Typus des chinesischen Fellachen ist der massenhaft auftretende Han-Chinese, der in der Hochkulturphase noch gar nicht vorhanden war.


Wie schön, daß dir das nicht entgangen ist. Ich hatte schon befürchtet, daß ich das erklären müßte und mich niemand verstehen würde.

Schön, daß Du mich ausnahmsweise nicht für blöd hältst. :ok2:

Chinese ist nicht gleichbedeutend mit Hàn und die ethnische Zusammensetzung der Chinesen hat sich im Lauf der Geschichte gewandelt. Auch deshalb meinte ich, man müßte den Hàn einen eigenen Kulturzyklus zugestehen und andere chinesische Ethnien hätten einen anderen Kulturzyklus.

Es müßte sich in jedem Falle der von Dir ganz und gar nicht verstandene spengler'sche Kulturzyklus finden, dessen Anfänge sich äußerlich dadurch kennzeichnen, daß ein Bauerntum mit darüber liegendem Landadel und einer Priesterschaft in einem stadtlosen Lande lebt.
Sobald Großstädte vorhanden sind, vor allem anorganisch konstruierte nach Schachbrettmuster quadratisch angelegte Städte, wie man sie in China seit 2000 Jahren ausnhamslos findet, ist das ein Zeichen allererster Güte für das Vorhandensein einer Zivilisation.
Daß daneben Städte verlassen werden können, daß ganze Reginonen verwüstet, die Bevölkerung sich andernorts ansiedeln und neue Städte gründen kann, hat mit dem Neubeginn ein Zyklus nichts zu tun. Die Hauptstadt des Reiches Qin wurde wohl mehrmals verlassen und später in direkter Nähe oder an derselben Stelle über den Ruinen neu geplant und errichtet. Entsprechende Geschichten finden sich zu vielen alten und jüngeren chinesischen Städten.

Zu fragen wäre etwa, ob das bis 200 v. Chr. unscheinbare, um Zustand eines Urvolkes verweilende Korea durch Austrahlung der chinesischen Zivilisation einen eigenen Zyklus entwickelt hat.
Im Falle Japans scheint das ab ca. 800 n. Chr. der Fall gewesen zu sein.

Deine Idee, Lehen der Zhou mit modernen Nationen gleichzusetzen, ist eine, heftige Projektion.

Mitnichten. Ich berufe mich hier auf die Darstellung über ein altes chinesisches Werk:
"Before Qin unified China, each state had its own customs and culture. According to the Yu Gong or Tribute of Yu, composed in the 4th or 5th century BC and included in the Book of Documents, there were nine distinct cultural regions of China, which are described in detail in this book. The work focuses on the travels of the titular sage, Yu the Great, throughout each of the regions. Other texts, predominantly military, also discussed these cultural variations."

Es gab hier kulturelle Unterschiede, die vermutlich ähnlich weit gespannt waren wie die Differenz zwischen Oberitalien und Schottland im Hochmittelalter. Varianten einer Grundkultur.
Ebenso gab es sprachliche Varianten, wobei sich die Frage stellt, ob uns von außen betrachtet als Dialekte erscheint, was intern eigenständige Sprachen sind. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit mag es dem Chinesen erscheinen, Deutsch und Französisch wären Dialekte einer indogermanischen Sprache, weil sein eigenes Idom gänzlich anders gestaltet ist.

Das ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil europäische Gelehrte während des größten Teils der Zeit, in der man sich überhaupt für die Geschichte Chinas interessiert, alles vor der Qin als bloße Erfindung abgetan haben!

Die Verantwortung liegt wohl eher bei Qin, das in bester sozialistischer (oder zivilisatorischer) Manier die Welt neu erfinden wollte, weswegen die alte Welt zunächst zu verschwinden hatte.
Siehe die Bücherverbrennungen des ersten Kaisers:

"Ich bitte deshalb darum, alle historischen Aufzeichnungen, die nicht aus dem Reiche Qin stammen, zu verbrennen. Außer den Exemplaren, die in der kaiserlichen Hofakademie liegen, sollen alle Lieder, Urkunden und alle Schriften der Hundert Schulen, die irgendjemand im Reich aufzubewahren gewagt hat, zu den Gouverneuren und Kommandanten gebracht und verbrannt werden. Jeder, der es wagt, über die Lieder und die Urkunden zu diskutieren, soll auf dem Marktplatz hingerichtet werden. Diejenigen, die das alte System heranziehen, um das neue zu kritisieren, sollen mitsamt ihren Familien exekutiert werden. Beamte, die von diesen Verbrechen hören oder von ihnen wissen, ohne sie zu verfolgen, sollen genauso bestraft werden wie diese Kriminellen. Dreißig Tage nachdem dieses Dekret ergangen ist, wird jeder, der seine Bücher noch nicht verbrannt hat, mit dem Brandmal im Gesicht und Zwangsarbeit bestraft. Ausgenommen sind nur Bücher über Medizin, Orakelkunde und Landwirtschaft."

Blöd nur, daß die kaiserliche Hofakademie nach dem Untergang der kurzlebigen Qin-Dynastie von den Nachfolgern niedergebrannt wurde, so daß auch die letzten literarischen Einzelexemplare chinesischer Hochkultur vernichtet wurden.

"Wenig später musste er das Reich allerdings an den Rebellenführer Xiang Yu abtreten, der den gesamten kaiserlichen Clan der Qin hinrichten ließ und die Hauptstadt Xianyang, samt der kaiserlichen Hofakademie mit all ihren Büchern und Dokumenten, dem Erdboden gleichmachte."

Das war nicht weniger verheerend als die systematische Vernichtung der antiken Kultur durch das Christentum, weswegen heute von einstmals Millionen lediglich 3000 Texte antiker Literatur erhalten sind.

An der Stelle verstehe ich nicht, was du meinst. [...] Die Offenbarung völliger Unkenntnis und daher sehr fraglich, was daran bedeutend sein soll.

Darauf antworte ich schon allein wegen Deiner Arroganz nicht, mir Unkenntnis zu unterstellen, obwohl Du mich nach eigener Aussage nicht verstanden hast.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


Gesamter Strang: