Begegnungen mit der Zukunft (Schauungen & Prophezeiungen)

Gerhard, Donnerstag, 27.10.2011, 11:13 (vor 4576 Tagen) @ DerBerliner (4348 Aufrufe)

Lieber Berliner, die Realität entsteht nicht in der Zukunft, sondern die Zukunft ist bereits eine Realität. Der Würfel hat bekanntlich sechs Flächen, aber beim Werfen wird er nur auf eine Fläche zu liegen kommen: das ist Realität. Und zwar schon vor dem Würfeln. Die sechs Optionen, die der Zufall hier hat, sind damit, anders ausgedrückt, sechs reale POTENTIALE. Sie grenzen die Zukunft einerseits ein, eigentlich ist es fast schon eine Determination, aber gleichzeitig wird das Geschehen auch offen gehalten. Das ist das wundervolle Geheimnis unseres Universums: es tuckert einer schmalen Grenzlinie zwischen Notwendigkeit und Freiheit entlang.

Man kann das weiterspielen: verlangen wir zum Beispiel, dass jemand mit mehreren Würfen die Punktsumme 20 erreichen soll (das entspreche mal den "Russen am Rhein" ...). Ist also absolut im Bereich des Möglichen, es ist wirklich machbar, das gibt es praktisch jetzt schon. Und zwar mit mehreren potentiellen Aufmarschkorridoren - Detlef würde vielleicht sagen: mit alternativen Zeitschienen. Und dann, zwar sehr unwahrscheinlich, würfelst Du sieben Male einen Dreier - und die lieben 20 sind für immer gewesen. Gehört dieser Zufall zur Vergangenheit - oder kommt er aus der Zukunft?

{Die Astrologie nennt ihn Uranus bzw. Wassermann und meint damit das, was unberechenbar auf uns zukommt. Aber woher? Sinnigerweise sitzt dieser Uranus bei den Astrologen gleich hinter dem Saturn bzw. Steinbock, der alles fixiert und festhält, sogar die tote Vergangenheit.}

Darf ich noch ein bißchen? In der Evolution geschehen manchmal Dinge, die das Potential der Zukunft schlagartig ausweiten. Die Idee und Entdeckung (!) des Flügels beispielsweise (den es als Prinzip immer und ewig gibt) öffnete jeweils den Insekten, den Dinos und einem Seitenzweig der Reptilien (den lieben Vögeln ...), den großen und weiten Luftraum. Auf den Würfel übertragen würde das bedeuten, dass der Würfel unbemerkt in Deiner Hand, oder gar im Fluge die Zahl seiner Flächen vermehrt - und dass er (und alle seine Nachkommen) nun auf eine zuvor nie gekannte Seite fallen. Die höheren Säugetiere aber, sonst so tüftelig, haben das bis heute nicht geschafft. Fehlt ihnen nun ein Stück Zukunft? Und wer hätt's ihnen genommen?

Wir denken die Geschichte und alle Entwicklung meist nur von ihren Anfängen her. Doch das ist total daneben. Das SEIN ist doch kein Ventilator! Eher eine Vakuumpumpe. Die Zukunft holt uns doch ab! Winkt schon von Weitem. Macht uns 10 000 Türen auf (hinter 5714 wartet das Leid ...) und schenkt uns wunderhübsche Eintrittskarten. Und was machen wir? Wir stapeln sie in einer dunklen Ecke auf, womöglich nach Größen und Farben sortiert, und brüten schwermütig und schwarzseherisch über Kausalitäten, über Ursache und Wirkung! Ist in etwa, wie wenn man freiwillig ins Gefängnis trottelt ...

Wenn Du sagst, mit Gedanken (-kräften, unterstützt von Glaube und rituellen Bewegungen ...?) könne man Zukunft erschaffen, so würde ich Dir dabei sogar ein bißchen folgen wollen (siehe Zitat am Schluß). Doch derart erweiterst Du allenfalls den Mechanismus der Kausalität um einen breiteren Transmissionsriemen: die Vermittlung von Ursache und Wirkung erfolgt nun nicht nur durch physikalische sondern auch durch metaphysische Energien. Aber der kleinliche und spießige Kausalnexus bleibt. Ich will nun lieber gar nicht fragen, was eine Kraft sei und wie herum sie sich durch die Zeit erstreckt. Woher aber kommen unsere Gedanken? Gewiss, ein paar mögen logisch konsequent sowie Schritt um Schritt geschlossen worden sein, sehr viele auch assoziativ an Altbekanntes eben angeklebt, aber in derart herbigezimmerten Zukünften möcht' ich lieber nicht leben. Die Gedanken dagegen, die uns wirklich weiterbringen, die werden uns per In-tuition zugeworfen. Die kommen von draußen. Und zwar von vorn.

Wahre Zu-kunft ist keine Verabredung, sondern eine un-erwartete Begegnung plus Einladung. Die Welt gibt's doch nicht, weil sie per Befehl geschaffen wurde und zu gehorchen hat. Nein, sie entsteht, indem (!) sie gerufen wird.

So wenigstens denkt und spürt das, freundlich grüßend, Dein Gerhard

ZITAT:

"Als er dann frühmorgens in die Stadt zurückkehrte, hungerte ihn, und als er einen einzelnen Feigenbaum am Wege stehen sah, ging er zu ihm hin, fand aber nichts anderes an ihm als Blätter.
Da sagte er zu ihm: »Nie mehr soll noch Frucht von dir kommen in Ewigkeit!«, und der Feigenbaum verdorrte sofort.
Als die Jünger das sahen, verwunderten sie sich und sagten: »Wie kommt es, daß der Feigenbaum sofort verdorrt ist?«
Da antwortete ihnen Jesus: »Wahrlich ich sage euch: Wenn ihr Vertrauen habt und keinen Zweifel hegt, so werdet ihr nicht nur das, was hier mit dem Feigenbaume geschehen ist, tun können, sondern auch, wenn ihr zu dem Berge hier sagtet: ›Hebe dich empor und stürze dich ins Meer!‹, so würde es geschehen; alles, um was ihr im Gebet bittet, werdet ihr empfangen, wenn ihr Vertrauen habt.«

Was würde wohl Claudia Roth zu dieser "Ethik des J.v.N." sagen? Er war halt sehr spontan, und manchmal auch etwas hitzköpfig ...


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