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Endzeit vs. faustisch-dynamisches Weltgefühl (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 24.08.2018, 14:07 (vor 2097 Tagen) @ Ranma (2482 Aufrufe)

Hallo!

Taurec behauptet ja, daß die Welt immer weitergehe, weil wir das kulturell bedingt so sehen müssen. Nun entstammt aber die Naturwissenschaft unserer Kultur und befaßt sich sehr gerne mit dem Ende der Welt. Innerhalb weniger Jahre lösten da die Szenarien vom Wärmetod, Big Crunch (durch Dunkle Materie bedingter Kollaps), (durch Dunkle Energie initiierter) Big Rip, Kältetod (sanftere Variante des Big Rip) und vielleicht Zerstörung durch Phasenübergang (das heißt, wir würden dem Urknall eines weiteren Universums zum Opfer fallen) einander ab. Wiefern ist das einer ewigen Fortexistenz?

Natürlich kann man sagen, das ist völlig irrelevant, weil es nicht in milliarden und nicht in billionen, sondern erst in billiarden Jahren eintrifft. Trotzdem ist doch gerade der faustische Geist davon fasziniert?

Du unterschätzt die Tatsache, daß all diese Szenarien (wie übrigens auch der "Urknall") in weite zeitliche Fernen gerückt und im Falle des Endes des Universums zeitlich auch gar nicht fixiert sind. Ganz dem dynamischen, auf Unendlichkeit angelegten Weltgefühl des faustischen Menschen gemäß werden hier Zeiträume angesetzt, die zwar als Zahl mit einer Reihe Nullen benennbar sind, aber jegliches Vorstellungsvermögen übersteigen.
Die Naherwartung der nahöstlichen Wüstenreligionen sieht hingegen ein Weltende in allernächster Zukunft. weil deren Weltgefühl "höhlenhaft" und abgeschlossen ist.

Trotzdem ist doch gerade der faustische Geist davon fasziniert?

Daß man sich mit dem Ende wie mit dem Anfang zumindest theoretisch befaßt, muß nicht weiter erläutert werden. Es kommt darauf an, daß das Ende so fern angesetzt wird, daß es uns konkret nicht angeht (anders als den in Naherwartung glückselig lebenden Frühchristen), sondern allenfalls abstrakt.

Der faustische Geist muß offenbar eine Resonanz für Endzeitvisionen bieten. Wir würden nicht mit solchen behelligt, wenn wir keinen Resonanzboden dafür böten.

Weniger für Endzeitvisionen, sondern für Katastrophen. Explosionen sind ein höchst dynamisches Element, das den faustischen Menschen fasziniert und vor allem in der technischen Spätzeit in Zentrum des Interesses rückt. Entsprechend ist die moderne Physik weitestgehend eine Detonationsphysik. Mit dem Urknall wird sogar das gesamte Universum zu einer einzigen gigantischen Explosion erklärt.

Letzterer Gedanke scheint einigen jedoch ferner zu liegen als Visionen einer Endzeit. Für Visionen der Endzeit bietet unsere Kultur einen Resonanzboden und für Heilige Schriften aus der Levante gleichermaßen. Wie kämen sonst ausgerechnet diese Dinge ausgerechnet zu uns? Und das immer wieder?

Die kamen nicht zu uns, weil wir dazu Resonanz hätten. Was den zentralen Kern der ursprünglichen christlichen Lehre, nämlich das nahe Weltende, angeht, unterstelle ich, daß uns hierfür jegliches Verständnis und das Bewußtsein fehlt, ein solches zu entwickeln. Dem Abendländer fällt allerdings nicht auf, daß er es nicht versteht. Bestenfalls liest er seine eigenen Beweggründe hinein. Konsequenterweise wird die "Endzeit" in der europäischen Prophetie nicht eigentlich als Endzeit begriffen, nach der die Schöpfung in einer Art umgekehrten Schöpfungsaktes wieder in den gottidentischen Urzustand zurückkehrt. Sie wird vielmehr als Durchgangszeit begriffen, nach der ein "goldenes Zeitalter" folgt, in dem die Welt erneuert weitergeht. Das ist etwas grundverschiedenes. Das gesamte christliche Endzeitkonzept ist eine für den faustischen Geist viel zu kurze Krücke, die wir aufgrund unserer vermeintlichen christlichen Wurzeln (mehr politische Oktroyierung in der Spätantike/Frühmittelalter) zu benutzen gezwungen waren.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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