Überlieferungsgeschichte der Feldpostbriefe vor dem Erstdruck 1951 (Schauungen & Prophezeiungen)

randomizer, Montag, 09.11.2020, 21:37 (vor 1264 Tagen) @ randomizer (1667 Aufrufe)
bearbeitet von randomizer, Montag, 09.11.2020, 22:07

Hallo zusammen,
die Exegese einmal ausgeklammert, soll es diesmal nur um die äußeren Umstände der Überlieferung gehen, damit wir vom gleichen Wissensstand aus argumentieren und mutmaßen können:

a) Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß Rill irgendein eigenes Interesse an der Verlegung/Verbreitung seiner Briefe hatte, schon gar nicht im Originalwortlaut. Renner anonymisiert/schützt ja auch zu Lebzeiten die wahre Identität und Herkunft Rills, auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin. Wichtigtuerei oder Sensationsheischerei kann man hier kaum unterstellen, bestenfalls wollte Rill seinen Hausarzt Dr. Arnold beeindrucken. Daß sein Name trotzdem kursierte, muß gar keine mündliche Verletzung der ursprünglichen vereinbarten Diskretion sein, sondern geht vermutlich auf einen Faux-pas zurück: der Name des Briefschreibers steht ja handschriftlich mit auf der letzten Seiten des zweiten Briefes: so konnte jeder, der eine Fotokopie davon hatte, ihn dort ablesen. Die seinerzeit kursierende Privatkopie war qualitativ wohl nicht so gut, zumindest gab es offenbar sofort verschiedene Lesarten des kurzen Namens: "Rüll" bei Varena, "Rühl" auf dem Typoskript von Lepsche. Diese Irrtümer in der Lesart wären durch die Handschrift bei unsauberer Vorlage durchaus zu rechtfertigen:

[image] (h statt l): [image]

b) Alle schrifltiche und mündliche Überlieferung Rills wurde offenbar ausschließlich durch seinen Hausarzt Dr. Arnold weitergegeben, nach meinem Verständnis hatte wahrscheinlich selbst Frumentius Renner keinen persönlichen Kontakt mit Rill. Zumindest liest sich dies implizit so bei Renner und Bender. Dr. Arnold war Hausarzt sowohl Rills, als auch der Klosterpatres in St. Ottilien, auf diesem Weg hatte Renner offenbar von den Feldpostbriefen erfahren. Ein heimatgeschichtlicher Aufsatz über Schwabhausen (zu Weil) erwähnt ihn mehrmals bei Ereignissen rund um das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit, da bekommt man einen kleinen Einblick in Biographie und Charakter Arnolds. Weil ist ja der Geburtsorts Rills, sein späterer Wohnort Untermühlhausen ist unmittelbar benachbart, gehört aber zur Gemeinde Penzing.

c) Zu Balthasar Gehr habe ich jetzt nicht separat recherchiert, Adlmaier nennt ihn zwar in seiner Zweitauflage noch "Klosterpater B.", was zunächst für St. Ottilien spräche, in der Drittauflage dann aber "Pater B. G. aus O.". Falls er doch kein Klosterpater war, käme als Wohnort Gehrs ansonsten der Ort Oberbergen in Frage, der auch in direkter Nachbarschaft von Untermühlhausen liegt. Bekh misstraue ich als Quelle immer ein wenig, aber seine Behauptung, Gehr sei ein persönlicher Ohrenzeuge Rills (1947) könnte sogar stimmen, wenn "O." tatsächlich für Oberbergen steht. Sollte Gehr jedoch ein Klosterpater aus Sankt Ottilien gewesen sein, dann wäre es zumindest etwas weniger wahrscheinlich, daß er Rill selbst begegnet sei. Dann hätte er sein Material tendenziell wohl eher von Dr. Arnold und/oder Klosterbruder Renner erhalten.

d) Keiner der Personen in der Reihe, weder Rill noch sein Hausarzt und erst recht nicht Renner, dünken mir irgendwie verdächtig, mit einem solch enormen Aufwand, eine dermaßen gekonnte Fälschung produziert zu haben. Eine Veröffentlichung war doch wohl zunächst gar nicht vorgesehen, Renners Aufsätze erschienen später ganz unspektakulär und kleinauflagig, die "Leaks" bei Varena und Adlmaier waren auch recht unscheinbar. Falls die Briefe also nicht authentisch wären: wozu die ganze Mühe, eine solch perfekte Fälschung zu lancieren?

Hier eine kleine Übersicht, die vor allem Benders Informationen verarbeitet. Doppelpfeile zeigen den Weg der Originale, die durchgehenden Linien beschreiben eine gesicherte Überlieferung, die gestrichelten Linien zeigen mutmaßliche/unsichere Verbindungen:

[image]

@Ulrich: In meinen eigenen Notizen findet sich zwar auch noch die Schreibweise "Lebsche", Bender schreibt aber in seinem Aufsatz "Lepsche", daher hielt ich das für maßgeblich. Viele Grüße!
randomizer


Gesamter Strang: