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Stets dieselbe alte Leier... (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 21.01.2021, 10:20 (vor 1201 Tagen) @ xsurvivor-1 (1704 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Donnerstag, 21.01.2021, 10:45

...die sich innerhalb eines abgeschlossenen Glaubenssystems endlos wiederholt.

Ausbruch ausgeschlossen!

Klar sollte inzwischen sein, daß "Prophezeiungen" (anders als Schauungen es zumindest potentiell tun) keine echte Zukunft künden, sondern religiöse Behauptungen darstellen, die eine religiöse Erwartungshaltung in die Zukunft projizieren und das Glaubenssystem stützen sollen.
Im christlich basierten endzeitprophetischen Glaubenssystem hat sich bereits im 19. Jahrhundert mit Entstehung des Kommunismus die Auffassung durchgesetzt, daß dieser mit dem Antichristen gleichzusetzen sei. Davor wußten christliche Propheten davon nichts. Wie denn auch? Sie haben ja nie etwas gesehen. Als 1917 auch noch Rußland bolschewistisch wurde, konnte man damit die alte endzeitprophetische Mär von "Gog und Magog", den antichristlichen Völkern aus dem Inneren Asiens verbinden und es entstand ein für Gläubige äußerst anziehendes Produkt, das über Irlmaier & Co. bis in unsere Tage nachwirkt, nämlich der "russische Überraschungsangriff" als Teil des endzeitlichen Geschehens, bei dem die Russen freilich das immerwährende Böse und der Westen das nach allen Drangsalen siegreiche Gute darstellen muß.

Weltanschaulich auf fatale Weise hat DeGard/Thorsten Mann diese Chimäre zementiert, indem er auf Grundlage nicht im geringsten belastbarer "Überläufer", die sich nach ihrer Desertion vom Vaterlande in den USA ein Zubrot verdienen und sich wichtig machen wollten, die "russische Langzeitstrategie" entworfen hat, womit es den unbelehrbaren Prophezeiungsgläubigen gelang, ihr Wahngebäude über dessen offensichtliche Widerlegung durch die Realität hinaus zu retten.
Daß der Kronzeuge Golitsyn seine Vorhersagen nach dem von ihm nicht vorhergesagten vollständigen Zusammenbruch der UdSSR anpassen mußte, um im Gespräch zu bleiben, wird getrost ignoriert, siehe hier.

Wer Spengler gelesen und verstanden hat, dem ist klar, daß die Russen ein von der abendländischen Kultur innerlich unabhängiges Volk sind, das aber von der Wucht dessen Geschichte erfaßt und über den verwestlichten russischen Adel in Händel der europäischen Geschichte einbezogen wurde, an denen das russische Volk innerlich keinen Anteil nimmt. Der Bolschewismus stellte im Wesentlichen den Versuch dar, sich des Adels zu entledigen und das Russische selbst (oder das russische Selbst) wieder zur Herrschaft zu bringen. Dabei gab es gewisse Überschneidungen mit der kommunistischen Ideologie, die für die russische Seele anschlußfähig wirkten, nämlich die Ermächtigung der Volksmasse (was auch immer man darunter verstand), die Schaffung einer vom Volke selbst sanktionierten Regierung, die gegen die Ausbeutung einer als fremd empfundenen Elite stehen sollte.
Wichtige trennende Elemente zwischen der russischen inneren Verfassung und dem Kommunismus wurden allerdings nicht begriffen, weil die Russen diese als an anderer Stelle im Kulturzyklus stehend gar nicht erfassen konnten. So machten sie fatalerweise keinen scharfen Unterschied zwischen "Arbeiter" und "Bauer", weil ihnen das in ihrem Selbstgefühl (sie waren ja zumeist noch Bauern und nur sehr wenige waren Industriearbeiter) allzu ähnlich erschien. Als Folge der Überstülpung einer späten städtischen Ideologie auf einen feudalen Bauernstaat wurde nicht nur der Adel, sondern auch das (vom Adel im Rahmen der Kulturpyramide abhängige) Bauerntum in Rußland erheblich dezimiert und in eine ihm ebenso fremde planwirtschaftliche Wirtschaftsweise gepreßt. Die Russen gerieten also vom Regen in die Traufe. Statt eines verwestlichen Adels, der in auf Europa zentrierte dynastische Machtspiele verwickelt war, herrschte eine areligiöse Technokratie, durch welche sie nur in die nächste Phase des abendländischen Zyklus hineingezogen wurden.
Erst durch das sachlogische Zusammenbrechen der planwirtschaftlichen Ideologie konnte ein weiterer Befreiungsschlag erfolgen. Nach einer chaotischen Phase entstand unter Putin der Keim eines neuen Zarentums, das aber nicht mehr innerlich an den Westen gebunden ist. Wesentliche innere Kämpfe in Rußland zielen auf die Zurückdrängung des westlichen (demokratisch-liberalen) Einflusses während man pro forma noch immer dazu genötigt ist, eine demokratische Fassade aufrecht zu erhalten (nämlich solange wie sie im Westen aufrechterhalten wird bzw. werden kann). Den Russen kommt hierbei zugute, daß der westliche Liberalismus nunmehr selbst in seine finale Krise eingetreten ist und die Ideen des schwächer werdenden Abendlandes außerhalb dessen keine große Bindungswirkung mehr entfalten. Im selben Maße, wie wir schwächer werden und das Scheitern des Globalismus offenbar wird, finden die Russen wieder zu ihrer Tradition zurück. Das ist, was dort untergründig geschieht, nicht etwa das verdeckte Fortlaufen des Kommunismus, der zu keiner Zeit genuin russisch war.

Dieses glaubensmäßig unbelehrbare Verharren in der längst obsoleten Dichotomie zwischen liberaler Marktwirtschaft einerseits und kommunistischem Sozialismus in Rußland ist völlig ahistorisch und wird den historischen und metaphysischen Gegebenheiten nicht im geringsten gerecht. Es bewertet nicht nur die russische, sondern auch die europäische Geschichte völlig falsch, weil es moralisch verquer zu einer Überschätzung bzw. Fehleinschätzung des westlichen Systems führt, das als das "Gute" gegen das russische "Böse" in Position gebracht werden muß. Dieses Gut-Böse-Raster mag zwar auf abgeirrten Pfaden wandernden christlichen Endzeitgläubigen plausibel wirken, ist aber für das Erkennen und Bewerten historischer Zusammenhänge untauglich.
Während die Gläubigen der Endzeitprophetie und russisch-bolschewistischen Langzeitstrategie weiter auf Godot warten und ihren von der Geschichte längst widerlegten irren Ideen anhängen, passieren zunehmend Dinge, die weder von der Endzeitprophetie, noch von der Langzeitstrategie gedeckt sind. Die geistig-intellektuellen Verbiegungen, die ihre Anhänger vollziehen müssen, um weiter an ihr selbstgezimmertes Glaubenssystem glauben zu können, werden immer irrsinniger und abenteuerlicher, so daß mit weiterem Fortschreiten der Zeit nur noch die absolut Verrückten daran glauben können, die aus dem Labyrinth ihrer Vorstellungen nicht mehr herausfinden.

Tatsächlich sieht es so aus, daß man nur durch eine Multiplikation der russischen Langzeitstrategie mit -1 halbwegs in die richtige Richtung blickt. Das Übel sitzt nicht in Rußland, sondern in Washington, London, Paris, Brüssel. Nicht Rußland will den Weltkommunismus, sondern die verkommenen westlichen Eliten. Letztere sind nicht etwa durch russische Subversion umgedreht worden, sondern aufgrund aus ihnen selbst kommenden Entwicklungen. In Wirklichkeit verfolgen die westlichen Geldmächte eine Langzeitstrategie, während Rußland für alle, die im Abendlande noch irgend etwas zum Besseren wenden wollen, ein wichtiger Verbündeter ist.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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