@randomizer (Schauungen & Prophezeiungen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Montag, 08.01.2018, 01:15 (vor 2301 Tagen) @ randomizer (3071 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Montag, 08.01.2018, 09:01

Hallo randomizer,

(Philo)logisch betrachtet sollte der ursprüngliche Kurierartikel aus Oktober 1949 datieren...

Seit spätestens Frühjahr 1949 war die Tagespresse auf die "Nahzeiterwartung" eingeschworen. Als Beleg s. u. ein Aufsatz von August 1950 von Kurt Hutten, nachgedruckt in "Die Presse als Kanzel? Verkündigung in der Publizistik 1938-1967" 1967, Quell-Verlag Stuttgart, S. 161 bis 165.

Deshalb würde ich den Text eher unter die "apokryphen Schriften" einordnen, als Irlmaier sich längst nicht mehr öffentlich äußerte und in der öffentlichen Meinung die "Langzeiterwartung" einsetzte.

Welcher Journalist sollte sich mit solch einer beschaulichen Betrachtung über kommende Jahrzehnte selbst ins Knie schießen, während die Konkurrenz mit ganz anderen Schlagzeilen Auflage macht?

Bemerkenswert ist, daß Adlmaier auch für den von Hutten erwähnten Bruno Gröning das journalistische Monopol innehatte und jenen ähnlich zu vermarkten suchte wie danach Irlmaier, zu dem er mit fliegenden Fahnen sofort nach Grönings Wegzug wechselte.


"Alois Irlmaier oder Jesus Christus?
Der Leser wird sich wundern: Was soll denn diese Gegenüber-
stellung? Ist etwa Irlmaier eine Art Konkurrent von Christus?
Keineswegs. Er ist ein schlichter Brunnenbauer und Ruten-
gänger in Freilassing, in Oberbayern, und es zeugt von seinem
Fleiß, daß über 700 Brunnen ihm ihr Dasein zu verdanken
haben. — Oder ist er ein Gegner Jesu? Auch das stimmt nicht.
Er ist ein frommer Katholik. Er wäre auch nicht über den enge-
ren Umkreis seiner Heimat hinaus bekannt geworden, wenn er
nicht eine bellseherische Gabe hätte. Es ist ihm mancherlei ge-
lungen: er hat anhand von Fotos Verbrechen aufgedeckt, Aus-
sagen über Vermißte gemacht und sonstige zutreffende Nach-
richten gegeben. Es ist ihm, nebenbei gesagt, auch mancherlei
mißlungen. Aber das tat seinem wachsenden Ruhm keinen Ein-
trag. Er bekam Zulauf von vielen Menschen. Eltern vermißter
Söhne, Kriminalpolizei, selbst Wirtschaftsführer und Politiker
holten sich bei ihm Auskunft. Journalisten suchten ihn auf. Bis
in amerikanische Magazine drang sein Name.
Als er aber nicht mehr nur private Schicksale, sondern poli-
tische Ereignisse »hellsah«, hatte er allerdings mehr Unglück als
bei den persönlichen Dingen. Nun prophezeit er schon seit Jah-
ren mit großer Hartnäckigkeit den baldigen Krieg. Aus einem
alten Zeitungsbericht zum Beispiel entnehme ich, daß er im
März 1949 voraussagte, der Krieg werde kommen, und Heeres-
säulen werden an dem blauen Wasser entlangziehen
; aber Frei-
lassing und alle Gemeinden, die unter dem Mantel der Mutter
Gottes in Altötting beschirmt seien, bleiben verschont. Wann
dieses Ereignis eintrete? Es könne im Frühling, vielleicht auch
erst im Herbst sein, aber auf jeden Fall im Jahr 1949.

Nun, das Jahr 1949 verging, und es passierte nichts. Aber
schon damals liefen Broschüren und Zeitungsartikel über seine
Prophezeiungen durchs Land, und die Leute hamsterten. Dann
kam die Sache mit dem amerikanischen Flugzeug, das von den
Russen über der Ostsee abgeschossen wurde. Steht jetzt der
Krieg bevor? In München gab es Leute, die ihre Habseligkeiten
packten und aufs Land flohen — dorthin, wo nach Irlmaiers
Prophezeiungen dank der Mutter Gottes von Altötting nichts
passieren sollte.
Wieder geschah nichts. Aber Broschüren und Reporter trugen
die Prophezeiungen des Brunnenbauers eifrig weiter. Und die
Gläubigen mehrten sich. »Das Neueste von Irlmaier! Lest
selbst, daß uns nichts passiert!« priesen in München die Zei-
tungshändler ihre Irlmaier-Aufsätze an. So im Frühjahr 1950.

Düstere Andeutungen flogen über das Land: von drei russi-
schen Heersäulen, die vom Osten her kommen, alles verheeren,
am Rhein sich treffen, aber dann vernichtet werden; vom Un-
tergang halb Englands, von der Vernichtung von Paris, von
schweren Kämpfen in Italien. Aber die Leute in Oberbayern
brauchen keine Angst zu haben. Es gibt zwar eine hungrige
Zeit. Doch schließlich geht alles gut aus. Im Osten wird das
Kreuz wieder zu Ehren kommen, und der Papst wird drei
Könige für Ungarn, Österreich und Bayern krönen.
Hungrige Zeit? Oberbayern Also, laßt uns vorsorgen! Anfang
Mai 1950 wurde aus München von Angstkäufen berichtet:
Derbe Wanderschuhe, haltbare Lebensmittel, warme Kleidung,
Fahrräder, Schlechtwetter-Kisten und Erste-Hilfe-Packungen
für die Flucht nach dem »Bergungsort«. Und ein Extrablatt rief
zur Bildung einer Irlmaier-Gemeinde auf: »Wir wollen in der
Irlmaier-Gemeinde eine geistige Gemeinschaft von Gleichge-
sinnten bilden, die es bewußt ablehnen, sich weiterhin von dem
Wirrwarr der Tagespolitik beeindrucken, beeinflussen oder
kurz gesagt: frozzeln zu lassen.«

Mag sein, daß viele diesen Rummel als einen Ulk betrachten
oder dahinter ein Geschäft wittern. Aber da sind andere, die
dieser Hellseherei glauben, in Irlmaier einen Propheten ver-
ehren und seine primitiven Vorstellungen wie ein Evangelium
aufnehmen. Und hier wird nun dem Leser vielleicht das »oder«
in der Überschrift deutlich. Sicher ist Irlmaier ein harmloser
Mann. Das Aufsehen, das er erregte, ist ihm zuwider. Aber daß
dieses Aufsehen entstehen konnte, das ist bedenklich.
Wir gehen um ein Jahr zurück. Da war es ein anderer, der die
Menschenscharen aufscheuchte. Er hieß Bruno Gröning. Da-
mals gab es viele, die zu ihm wie zu einem Heiland aufschau-
ten. Jetzt ist er vergessen.
Wir gehen wieder um Jahre zurück. Damals war es ein »na-
menloser Gefreiter«, der Millionen betörte. Er hieß Adolf Hit-
ler. Er verhieß den Anbruch einer neuen weltgeschichtlichen
Epoche, eines tausendjährigen herrlichen Reichs der deutschen
Nation und genoß die Verehrung eines menschgewordenen
Gottes. Er ging unter, und Flüche der Enttäuschten hallten
hinter ihm drein.
Unsere Zeit wimmelt von kleinen Winkelpropheten und gro-
ßen Verführern, und sie finden bei einem ratlosen, verängstig-
ten Geschlecht nur allzu offenes Gehör. Der eine verheißt dies,
der andere das. Es entsteht Aufregung, vielleicht Begeisterung,
vielleicht eine riesige Volksbewegung. Und das Ende? Das
Ende ist immer der Katzenjammer und das Geständnis: »Wir
sind hereingefallen!« Dann folgt gewöhnlich der feierliche Ent-
schluß: »Nie wieder!« Wie lange hält er vor? Nicht länger, als
bis der nächste »Prophet« auftritt. Die Geschichte ist ja dazu
da, daß man — nichts daraus lernt.
». . . oder Jesus Christus?« Da sind ausweglose Menschenheere,
gejagt von der Angst und all den grauen Gespenstern einer
aufgewühlten Zeit. Aber sie fluten an ihm vorbei. Er steht so
einsam in dieser Welt. »Mit Max Reimann für den Frieden«
— so las ich es an eine Fabrikmauer hingekleckst. Der Name
»Max Reimann« läßt sich beliebig auswechseln gegen andere
Namen anderer Politiker, die wieder andere Programme und
Kräfte in die Waagschale zu werfen haben. Die Namen und die
Programme sind auswechselbar. Denn in einem gleichen sie
sich: Ihre Möglichkeiten stehen in einem seltsamen Mißver-
hältnis zu ihren Verheißungen. Sie sammeln die »Massen«,
und die Massen verschreiben sich ihnen. Blinder Glaube, irre-
geleitete Hoffnung!
Wann werden die Menschen endlich einmal ganz nüchtern
werden? Muß Gott unser armes Geschlecht noch mehr züch-
tigen? Da steht Jesus, der Einsame. Der Strom der Zukunfts-
bangen und Zukunftsgläubigen flutet an ihm vorbei. Sie gehen
in die Kirche und beten ihn an. Und ein alter Brunnenbauer
spricht dunkle Sätze über Krieg und Hunger und Verheerun-
gen, und sie kommen von der Kirche heim, werfen alle ihre
frommen Gedanken weg, hamstern Speckseiten und Konserven
und machen sich reisefertig für die Flucht nach dem Land, das
wie eine Insel von den Wogen des Kriegs nicht überspielt wer-
den soll. So hat es der Brunnenbauer gesagt, und was er sagt,
das ist wahr. Und Jesus, der in der Kirche angebetet wurde,
steht einsamer als je.
»In der Welt habt ihr Angst.« Wie wahr dieses Wort ist, das

haben unsere Jahrzehnte eindringlich illustriert. Wie wenn ein
Wolfsrudel in einen Schafpferch eingebrochen ist, so laufen
die Menschen durcheinander. Wo ist Rettung? Versicherungen,
Fluchtpläne, Hamsterkäufe, Anbiederung an die mutmaßlichen
Herren von morgen . . .
Aber die Schafherde hat doch einen Hirten! Und der Hirte ist
kein Mietling; er läßt sein Leben für die Schafe — »und nie-
mand wird sie mir aus meiner Hand reißen«. Niemand! Wer
in seiner Hut ist, der ist geborgen. — »Uns kann nix passieren«,
hat Irlmaier denen verheißen, die rechtzeitig den oberbaye-
rischen Bergungsort erreichen. — »Aber seid getrost, ich habe
die Welt überwunden«, ruft uns Jesus zu. — Stoßen da nicht
zwei Welten gegeneinander? Hier wird mit saftigen Versiche-
rungen die Nervosität beruhigt. Dort wird der Blick auf den
Herrn gerichtet, der größer ist als die sturmbewegte Welt. Und
wer den Herrn sieht, der kann getrost sein. Denn der Herr ist
der Sieg und der Friede und das Leben.
Dieses Getrostsein will heute bewährt sein. Die Welt, die so
von Angst und Ratlosigkeit durcheinandergewirbelt ist, braucht
viele Menschen, die das Getrostsein bewähren. »Ich habe die
Welt überwunden.« Wo Menschen sind, deren Blick durch alle
Zeittumulte hindurch auf diesen Überwinder schaut und an ihm
hängt und die in ihrem Wesen etwas von der heiligen Ruhe der
Gotteswelt und von der Gelassenheit des Glaubenden, Hoffen-
den, Geborgenen widerspiegeln, da geht eine heilende Kraft
von ihnen aus.
Alois Irlmaier oder Jesus Christus? Panikstimmung oder Friede?
Das ist eine Frage und Aufgabe, die uns angeht — uns Christen.
Wir haben einen hohen Beruf bekommen: »Ihr seid das Licht
der Welt. . . Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten.«
Wir dürfen diesen Beruf nicht versäumen. Die Welt versänke
endgültig in der Nacht, wenn das Licht des Ewigen erlöschte."

Gruß
Ulrich


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