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Vorausahnbarkeit (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Mittwoch, 11.01.2023, 08:51 (vor 472 Tagen) @ Nullmark (792 Aufrufe)

Hallo!

Neben Oswald Spengler hat beispielsweise Theodor W. Adorno Speng­lers Ansichten als "anti-auf­klä­re­ri­sche Ver­klä­rung der Geschichte" heftig kritisiert.

Damit hat Adorno durchaus nicht unrecht. Daß er selbst als "Aufklärer" oder "Aufgeklärter" am Ende der Geschichte steht und den Treibern des Niedergangs angehört, verzerrt lediglich seine Bewertung.

Das stellt Spengler natürlich nicht infrage, relativiert aber die Länge des prognostizierten "Kulturzyklus".

Mit der Länge des Kulturzyklus hat Adornos bloß subjektiv wertendes Urteil nichts zu tun.

Demnach sind die Entwicklungen der letzten 100 Jahre eben nicht trivial und sind entsprechend beinflusst und in die eine oder andere Richtungen gedrängt worden.

Diskussionen darüber hatten wir in der Vergangenheit bereits mehrmals. Beides ist wahr: Die Geschichte folgt übergeordneten Gesetzmäßigkeiten, die sich der menschlichen Kontrolle entziehen. Gleichzeitig ist jede historische Aktion von Menschen hervorgebracht und viele Dinge planmäßig in Gang gesetzt. (Doch wer hat die Planer "geplant"?)

Diese beiden Seiten intellektuell unter einen Hut zu bringen, ist für viele wohl eine ähnliche Unmöglichkeit wie die Akzeptanz, daß Kausalität und Synchronizität zwei gleichzeitig wirkende Prinzipien des Kosmos sind, auch wenn sie im konkreten Fall sich zu widersprechen bzw. auszuschließen scheinen. Das Akzeptanzproblem liegt dabei allerdings stets auf Seiten der Kausalisten, die nichts anderes sehen können/wollen als dominoartig aneinanderschlagende Impulse, dabei aber nur die Oberfläche des Vollzugs des Schicksals sehen. Bei Jünger fand ich die Sentenz: "Wer Metaphysik und Kausalität gegeneinander ausspielen möchte, geht auf Holzwegen. Allerdings ist es möglich, daß die Kausalität die Rolle des Gerichtsvollziehers spielt." Ich denke, das trifft zu. Dann wird, was hier als Ursache und Wirkung erscheint, somit auch sämtliche Planungen, die letztlich nur der Versuch sind, das Kausalitätsprinzip dem menschlichen Nutzen zu unterwerfen, von höherer Warte Ergebnissen zugeführt, die nicht im Ansinnen der planenden und ausführenden Subjekte liegen (in diesem Falle müßte man vielleicht eher von Objekten der Geschichte sprechen). Ebenso würden scheinbar zwecklos sich abspulende Naturvorgänge im Sinne eines metaphysisch veranlagten Universlplanes Formen und Ordnungen hevorbringen, die sich aus den Vorgängen selbst und aus ihnen abgeleiteten Naturgesetzen nicht ergeben (das berührt die Gretchenfrage, der alle Evolutionstheoretiker aus dem Wege gehen). Für den Menschen bedeutet dies, daß es ihm unter keinen Umständen, durch keinen noch so ausgeklügelten Plan möglich ist, hinter das Gesetz zurückzugreifen, nach dem er selbst angetreten, und den übergeordneten Plan zu ändern, dessen Ergebnis er selbst in seiner Eigenschaft als kulturschaffendes und den Lebenszyklen unterworfenes Wesen ist.

Ihre Vita und auch die von Fritz Lang geben nichts her, was auf den Hintergrund einer herausragenden naturwissenschaftlichen oder besonderen technischen Begabung verweist, die auch „technisches“ erträumen lässt.

Eine solche Begabung wird man bei Science-Fiction-Autoren nicht immer finden, eben weil es dieser gar nicht bedarf.
Auch besagter Ernst Jünger hatte eine solche Begabung nicht, nahm aber mit dem "Phonophor" das Mobiltelephon vorweg und in "Eumeswil" mit dem "Luminar" (bereits in den Siebziger Jahren) eine Form des Internets, die selbst die Möglichkeiten des heutigen Internets übersteigt, aber ein logischer Schritt der künftigen Entwicklung sein dürfte, weil historische Ereignisse darin nicht nur nachlesbar sind, sondern mittels "künstlicher Intelligenz" so weit vervollkommnet werden, daß sie dem Nutzer als Teihalber in einem plastischen Geschehen quasi miterlebbar sind und plausible Details liefern, die historisch nicht überliefert wurden.

Aber als Kind einer Fotografenfamilie, als Schriftstellerin und Drehbuchautorin hatte Thea von Harbau außerordentliche Fähigkeiten aus dem eigenen Gedankenkarussel auszusteigen, um Umwelt und Umfeld genau beobachten zu können und daraus Entwicklungen und Tendenzen abzuleiten.

Das meine ich ja.

Vielleicht haben von Harbau und Lang damals erkannt, dass da gerade eine Entwicklung eingeleitet wurde, die im Ergebnis zu einer ausgeprägten Zweiklassengesellschaft führen musste und dies in Metropolis mit allen von ihnen (voraus)gesehenen Merkmalen und Folgen dargestellt haben. Wie diese Entwicklung tatsächlich verlaufen würde, konnten sie nur denken i. S. von schauen.

Zwischen Metropolis und Orwells 1984 liegen nur rund zwei Jahrzehnte. Der Topos "Zweiklassengesellschaft" ist allerdings viel älter und wurde schon in der Frühphase des Industrialisierung greifbar. Andernfalls wäre es Marx nicht möglich gewesen, ihn zur Grundlage seiner Theorie zu machen. Er lag auch den liberalen Idealen des 18. Jahrhunderts zugrunde, die zu den Revolutionen in Frankreich und Amerika führten. Harbau, Lang, Orwell zählen vor diesem Hintergrund zu den Künstlern einer bereits fortgeschrittenen zivilisatorischen Entwicklung (und Entfremdung), die in prägnanten Bildern ausdrücken, was als Zeitgeist instinktiv von den meisten längst empfunden wurde.

Die Frage, ob das im Sinne paragnostischer Präkognition hellsichtig ist, muß man wohl verneinen. Eher ist es "klarsichtig", indem wahrgenommen und ans Licht gehoben wird, welche anonym wirkenden Kräfte im Untergrund des Zivilisationsaufbaus am Werk sind.

Die Diagnose einer "Klassengesellschaft" ist übrigens gleichermaßen trivial, weil menschliche Gesellschaften zu allen Zeiten hierarchisch gestuft sind. Es gibt keine Form des menschlichen Zusammenlebens, in der alle gleich wären, in der es nicht planende/befehlende und ausführende Akteure gäbe. Es unterscheidet sich aber die Höhe und die Anzahl der Abstufungen der Hierarchie, so daß man die moderne Welt als kastenartiges Klassensystem aus einer abgehobenen Elite und mehr oder weniger priveligierten Funktionären sowie einem akademisch gebildeten oder nicht gebildeten Prekariat betrachten kann, während man geneigt ist, die Stammesgesellschaften der "edlen Wilden" oder unserer germanischen Urväter, die mit geringerer Fallhöhe gestuft waren, aber ebenso Herrscher und Beherrschte kannten, zu romantisieren.
In der Zivilisation tritt dieses "Urproblem", das eigentlich keines ist, deswegen hervor, weil die Verhältnisse ins Rutschen geraten sind und das Gesamtgebilde einer immateriellen, transzendenten Verankerung ermangelt, aus der es für alle Beteiligten Legitimität beziehen könnte. Die Beherrschten erkennen immer mehr, daß die Herrschenden zu Unrecht an der Macht sind. Den Herrschenden ist ihre unrechtmäßige und von keiner höheren Stellung sanktionierte Aneigung selbst klar, und daß sie den usurpierten Thron nur mit Lüge, Manipulation und Gewalt halten können.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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