ja, auch die ist ungenügend (Schauungen & Prophezeiungen)

RichardS, Montag, 10.01.2011, 20:40 (vor 4860 Tagen) @ detlef (5799 Aufrufe)

Moin detlef

Wie bei anderen Diskussionen droht auch hier die Gefahr, dass die Gedanken in die verschiedensten Richtungen und Themen verlaufen und der Kern verlorengeht. Das ist weder in unserem noch im Sinn der Leser. Darum kann und will ich es Dir auch nicht nachmachen und zwischen den einzelnen Blöcken meine Kommentare abgeben. Das stiftete nur noch Verwirrung.

Also halte ich mich bei einigen Dingen sehr kurz, zumal wir bei vielem gar nicht so weit auseinanderliegen.
Wenn Du meine zwei vorhergehenden Beiträge nochmal liest, wirst Du feststellen, dass ich

1. schon gleich zu Beginn zustimmte, dass viele, vielleicht die meisten Schauungen als Warnungen verstanden werden können. Ich widerspreche Dir also keineswegs, wenn Du vermeintlich gegen mich schreibst: „auch deutet alles bekannte darauf hin, dass die ueberwiegende zahl der nicht persoenlichen/personenbezogenen/kundenbezogenen schauungen katastrophales, bzw negatives zeigen.“

2. nirgendwo die Ansicht vertrete, dass Schauungen „zufaellig gesendet und empfangen werden“. Gerade in meinem Beispiel der Vision Goethes, mit der ich Deiner Meinung, Schauungen seien ausschließlich als Warnung zu verstehen, entgegentrat, legte und lege ich das genaue Gegenteil dieser Unterstellung – Zufall – nahe. Ich verwies auf die starke Betroffenheit Goethes, wie ich sie in seinem Erlebnisbericht zur Kenntnis nehme, und auf seine Persönlichkeit (sensitiv), die ihn für eine Vision wie die von ihm erlebte empfänglich machte. Dein vermeintlicher Einwand, Goethe hätte sich und gerade „nicht irgendeinen Seychellianer gesehen“, ist also unpassend.

Ich bleibe bei dem Beispiel der Vision Goethes, die – wie Du zurecht schreibst – alles andere als zufällig war und die – wie Du ebenfalls richtig feststellst – das Phänomen bestätigt, dass Schauungen Ereignisse oder Zustände zum Inhalt haben, die den Schauenden (ihn direkt persönlich oder Menschen, mit denen er Verbindung hat, oder den Kulturkreis, mit dem er sich verbunden fühlt) betreffen. Und widerspreche Dir nur darin: dass die Vision Goethes, wie ich sie mit meinen Worten ausdeutete, fast schon wie ein religiöses Erlebnis anmuten würde, bzw. dass die Vision dieses Mannes möglicherweise durch „angewandte "magie" wie channeling, voodoo und auftragswahrsagerei“ zustandegekommen sein könnte. Bei ersterem kann ich Dir einfach nicht folgen, wenn ich den Vorgang und die Umstände, wie Goethe sie beschreibt, nachzuempfinden versuche, und bei letzterem haben wir vielleicht unterschiedliche Vorstellungen von angewandter (!) Magie. Lies die wenigen Worte, die Goethe dazu schreibt, und versuche, Dich in die beschriebene Situation hineinzuversetzen – und nicht das Ergebnis unter einen Dir bekannten, vorgefassten Begriff zu subsumieren. Dann wirst Du feststellen, dass Deine Formulierung „wenn er unbewusst die frage ausgesendet haben sollte: "was wird bloss aus mir?" oder aehnliches“ formal zwar etwas Richtiges ansprechen kann, aber in ihrer lapidaren, banalen Form das innere Erleben Goethes in diesem Moment – noch vor der Vision – nicht realistisch wiedergibt. In Deiner Beschreibung fehlt mir jeder innere Druck, jede tiefe Betroffenheit, jede innere Qual. (Mir ist klar, dass bei solchen Worten einige lachen können.) Da fragt dann keiner so leichtfertig dahin, ach, was wird bloß aus mir – und schon gar nicht werden da irgendwelche Techniken angewandt (bei denen Du Dich als Kritiker solcher Dinge sicher besser auskennst als ich), um eine Antwort auf eine Frage zu erhalten. Zumal Du selber von einer vielleicht „unbewussten“ (!) Frage schreibst! Eine Frage, die mir nicht bewusst ist, löse ich durch die (bewusste?) Anwendung magischer Techniken? Auf diese Idee käme ich doch in dem von Dir gesetzten Fall gar nicht. Im Übrigen dürfte die realistische Beschreibung der von Dir hypothetisch angenommenen „unbewussten Frage“ ein innerer Notschrei gewesen sein. Zugegeben: meine Interpretation. Der Du nicht folgen musst, doch weder Deine noch meine Interpretation lässt die Vorstellung zu, Goethe hätte in dieser Situation seine Zukunft mit magischen Mitteln befragt (trotz seines Faust…)

Man könnte gegen mich einwenden, warum ich mich auf ein solches singuläres Ereignis so kapriziere. Dazu sage ich: Schon ein solches singuläres Ereignis, sofern es eine Vision war, widerlegt die Behauptung, Visionen / Schauungen seien grundsätzlich Warnungen. Außerdem bin ich mir sicher, dass es auch andere Visionen gibt, die keine Warnung zum Inhalt haben (wohl aber personenbezogen und nicht zufällig sind). Selbst dass jemand sich selber zu einem zukünftigen Zeitpunkt in seinem Leben sieht, dürfte schon öfter vorgekommen sein. Eine gute Bedingung dafür dürfte eine innere oder äußere Bedrohungslage (also eine Infragestellung der eigenen Existenz) zu dem Zeitpunkt sein, in dem er dann eine Vision (um dieses hochtrabende, aber wohl zutreffende Wort wieder zu benutzen) von sich selber hat. Eine solche Vision wirkt auf den Betreffenden dann wie eine Rettung oder wie eine Bestärkung, eine Bedrohungssituation durchzustehen – in diesem Moment. Ohne mich aufspielen zu wollen, erlebte ich vor Jahren das mal selber (damals machte ich mir anders als heute aber noch keine Gedanken über das Wesen von Schauungen). Vielleicht kann ich mich in den Erlebnisbericht Goethes deshalb auch gut hineinversetzen. Auch wenn der Fall nicht identisch war, ich verließ keine Geliebte, sondern wurde von zweien mit dem Tode bedroht. Das Negative, das Du als notwendigen Inhalt einer Schau behauptest, kommt also in solchen Fällen durchaus auch vor, nur ist dieses Negative, Existentielle in diesen Fällen der Ausgangspunkt, die Situation selbst, in der dann das andere (nicht Negative) passiert. Abgesehen davon, dass auch ich glaube, dass Bedrohungen und Gefahren häufiger Gegenstand von Schauungen sind als anderes (dieses deshalb keineswegs zufällig und niedlich), vermute ich, dass Gefahrensituationen, die viele, also irgendein größeres Kollektiv betreffen, auch auf mehr allgemeines Interesse, auf mehr Resonanz bei anderen stoßen – schon damit auch in den mündlichen Überlieferungen (bis hin zu Volkssagen) und in der Literatur, heute zusätzlich in den Internetforen wiederzufinden sind. Katastrophen, die einen selber, den eigenen Landstrich usw. betreffen könnten, interessieren eben auch andere mehr als zunächst bereits ein unschönes Ereignis, das nur irgendeine Person mal trifft, oder darüber hinaus irgendwelche Behauptungen von Visionen, die einen einzelnen Menschen nur persönlich etwas sagen und dann nicht einmal mit einem künftigen Verhängnis etwas zu tun haben. Über letzteres zu berichten, gibt es im praktischen Leben auch keinen Grund, es muss ja auch niemand gewarnt werden (sic!). Den Verdacht, als Spinner angesehen zu werden, setzen sich Leute (vielleicht zu unserem Glück) eher aus, wenn sie anderen als Warnung etwas zu sagen haben (um diese zu schützen!), aber doch wohl eher nicht grundlos. Dass wir von Goethe diesen Erlebnisbericht haben, mag damit zusammenhängen, dass Goethe eben ein Dichter war, Schreiben gehörte zu seinem Wesen, und wenn er schon mal Seiten um Seiten auch über sich selber schrieb wie in "Dichtung und Wahrheit", warum nicht auch über dieses absonderliche Ereignis.

Über Irlmaier und das Rätsel der Zeit habe ich im Moment nichts weiter Substanzielles zu sagen. Bei Irlmaier halte ich es wie Du: skeptisch sein. Und aufmerksam verfolgen, ob zwischen Säulenheiligen und Scheinheiligen ein Unterschied gemacht wird. Ich bin kein Gläubiger irgendwelcher Aussagen Dritter, egal welcher. Und doch beschäftigen wir uns alle hier mit diesem Zeug, weil wir teils das Wissen, teils das Gefühl haben, dieses Zeug könnte zumindest zum Teil für uns von entscheidender Bedeutung sein. Was Dreck oder wertvoll von all dem uns Vorgesetzten ist, daran zermartern wir unseren Geist und streiten uns ab und zu.

Gruß
Richard

PS: Ich habe ab jetzt für einige Tage keinen Internetzugang mehr.


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