die ungenuegende sprache (Schauungen & Prophezeiungen)

detlef, Montag, 10.01.2011, 18:14 (vor 4868 Tagen) @ RichardS (5574 Aufrufe)

moin,


ich werd dazwischen schreiben muessen, sonst verlier ich den bezug.

Wobei ich bei beiden Vorstellungen, ‚Warnung‘ wie ‚Hilfe‘, vorsichtig wäre.
Wir können einen Schauungsinhalt so verstehen, weil wir aus unserem
praktischen Interesse heraus ihn beurteilen, das Gesehene (selbst gesehen
oder davon gehört oder gelesen) auf uns, auf unser künftiges Wohlergehen,
auf die Wirkungen, die das Gesehene auf uns haben kann oder wird,
betrachten. Wir nehmen als potentiell Betroffene das Gesehene also als
Warnung (oder hilfreiche ‚Kunde‘). Aber voreilig wäre es, aus der
Erkenntnis, dass ein Schauungsinhalt (passiv) durch einen sensitiv
veranlagten Menschen empfangen (erlitten) wird, den Schluss auf einen
(aktiven) Sender zu schließen, quasi auf der anderen Seite des
Informationswegs. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke: Es
ist ein Unterschied, ob ich sage, dass mir ein bestimmtes Wissen
(Schauungsinhalt) zur Warnung wird (hilfreich für mein eigenes künftiges
Verhalten in meinem ‚egoistischen‘ Interesse), ich dieses Wissen für mich
also als Warnung nehme, oder ob ich sage, da hat mich jemand (ein Subjekt)
oder etwas (ein uns nicht vorstellbares Etwas) gezielt, womöglich bewusst
(so wie wir uns bewusst vorstellen) gewarnt – also mit der Absicht, uns zu
informieren, auf dass wir die Möglichkeit haben, uns praktisch darauf
einzustellen. Ich will letzteren Gedanken nicht bestreiten (wer sehr
religiös veranlagt ist, wird ihn vermutlich sogar wie selbstverständlich
bejahen), ich will nur sagen: ein solcher Gedanke, ein solcher Schluss, der
mit dem Begriff ‚Warnung‘ (mit dem Begriff ‚Hilfe‘ allerdings auch)
zumindest nahegelegt wird, lässt sich aus der Vorstellung, dass mir eine
Schauung zur Warnung wird, nicht ziehen.

vielleicht nicht nur aus dieser vorstellung.
doch halte ich gerade diesen schluss fuer naheliegend. obwohl ich mich nicht fuer sonderlich religioes halte.
die erfahrung zeigt, dass die meisten schauungen den "lebensraum" des sehers, des empfaengers betreffen.
Goethe hat sich selbst, und nicht irgendeinen Seychellianer gesehen. wie auch allgemein die meisten seher dinge empfangen, die ihr land/ihren kontinent betreffen.
bestenfalls sehen sie zusaetzlich zur schau fuer ihren "lebenskreis" noch dazugehoerige/zusammenhaengende dinge.
(beispiel mein lieblingsseher Johannsson, der nicht nur die springfluten norwegens sah, sondern auch alles was mit ihr zusammen haengt.)
auch deutet alles bekannte darauf hin, dass die ueberwiegende zahl der nicht persoenlichen/personenbezogenen/kundenbezogenen schauungen katastrophales, bzw negatives zeigen.
da koennen wir uns straeuben, so viel wir wollen, in meinen augen deutet alles darauf hin, dass schauungen nicht zufaellig gesendet und empfangen werden.
(technisch ausgedrueckt muss da irgendwo, beim sender oder beim empfaenger sowohl eine thematische auswahl/zensur stattfinden, als auch eine auswahl der "frequenz", auf welcher wohin gesendet/woher empfangen wird.


Banales Beispiel (nicht aus dem Schauungsbereich, sondern aus der
praktischen Erfahrung): Ich bin auf einem See und sehe im Südwesten über
dem Gebirge dunkle Wolken heraufziehen; es ist Nachmittag und Sommer. Aus
der Erfahrung weiß ich, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit hier auf dem
Wasser bald stürmen, donnern und blitzen wird. Ich nehme das, was ich
heranziehen sehe, als Warnung – aber ich kann (sofern mir keine weiteren
Informationen vorliegen) nicht sagen, die Erscheinung am Himmel oder jemand
oder etwas anderes würde mittels der mir offenbarten Erscheinung am Himmel
mich (gezielt) warnen.

stimmt. aber im profanen siehst du ja auch nicht die wolken , die hier bei mir am himmel stehen, oder die, die bei dir uebermorgen am himmel stehen. obwohl selbst bei diesem beispiel eine auswahl stattfindet. wenn du nicht nach suedwesten blickst, siehst du nix.


Insofern möchte ich, dass auch mein vorhergehender Beitrag, dass ‚Warnung‘
zu eng und ‚Hilfe‘ eine geeignetere übergeordnete Vorstellung zu Schauungen
sei, nicht missverstanden wird. Beide Begriffe, ‚Warnung‘ wie ‚Hilfe‘, sind
bloße Etikettierungen, die einem persönlich nützlich sein können, den
Vorgang bzw. das Wesen einer Schauung selbst aber nicht weiter erhellen
(weder beschreiben noch erklären). Eher sind beide Begriffe geeignet, etwas
zu verunklaren.

und deutsch ist noch eine der exaktesten sprachen, die es gibt...


Am Beispiel Goethes lässt sich sehen, dass nicht jede Vision eine Warnung
sein muss. Mit Visionen, die wir für uns als Warnung nehmen können, hat sie
aber gemein, dass sie nützlich war – für Goethe. Und auch wenn es ganz
unwesentlich ist, was ich dazu denke: Ich bin froh, dass es auch solche
Visionen gibt. Der Inhalt einer Warnung hat ja immer etwas Bedrohliches,
die Ankündigung eines möglichen Schadens an sich (auch wenn die Information
selber ganz nützlich sein kann). Eine Vision, wie sie Goethe nach seinem
Bericht erlebte, hat durch und durch, also vom ersten Ausgangspunkt bis zum
Ende für den eine solche Vision Erlebenden etwas Gutes, Nützliches,
Unterstützendes, Stärkendes, Heilendes (steck mich jetzt nicht in
irgendeine Esoteriker-Ecke). Auch wenn man in einem solchen Fall vielleicht
sagen kann, dass auch diese Art Vision ‚erlitten‘ wird, so kann sich der
Erleidende glücklich schätzen, wenn er sie erleidet.

so beschrieben klingt die episode schon wie ein religioeses erlebnis. (ich dachte allerdings immer, dass Goethe nicht besonders religioes war)
- ich meld mich, wenn ich die passende ecke fuer dich gefunden habe -

(Die Frage, ob eine
Vision wie die von Goethe von außen ‚geschickt‘ wurde oder sein Wesen,
aufgrund seiner Sensibilität in Verbindung seines Leidendrucks in jenem
Moment, sich selber den Zugang zu einem späteren, sein Leben betreffenden
Ereignis verschaffte – dieses nicht bewusst, nicht gesteuert, sondern auf
eine für ihn und uns unerklärliche, ihn aber schützende Weise -, wäre nur
spekulativ beantwortbar.)

das ist nicht auszuschliessen. z.b. wenn er unbewusst die frage ausgesendet haben sollte: "was wird bloss aus mir?" oder aehnliches.
aber dann wuerde dieser vorgang nach meiner unterteilung keine schau sein, sondern angewandte "magie" wie channeling, voodoo und auftragswahrsagerei.

Wie gesagt: Ich bin froh, dass es auch solche
Visionen gibt! Und vielleicht hilft es auch anderen, all den ganz
unterschiedlichen Schauungen, über die wir uns hier zusammenfinden und die
uns beschäftigen, zuzugestehen, dass sie keineswegs ihrer Natur
entsprechend Zukünftiges, das eigene wie das kollektive Leben betreffend,
grundsätzlich nur Bedrohliches an die Wand malen müssten. ‚Malen‘ sollten
sie ja ohnehin nicht, nur zeigen.

nicht nur! aber du musst doch zugestehen, dass der ueberwiegende teil der vorkommnisse, die ich schauungen nenne, vorwiegend negative aussichten aufzeigen, oder?


Zu Irlmaier: Meine Argumentation behauptet nicht, dass ein „guter
tischler notgedrungen auch ein guter schmied sein“
müsse, weil
„beides handwerk“ sei. Irlmaier führte ich ohnehin nur als Beispiel
an, dass es auch Schauungen gibt, die nicht als Warnung, sondern mitunter
auch mal nur auf eine andere Weise als hilfreich verstanden werden können.
Um in Deinem Bilde zu bleiben. Wenn ich sage, dass ein Tischler ein
nützliches Handwerk betreibt und dass ein Schmied ein nützliches Handwerk
betreibt, dann sage ich noch lange nicht, dass beide dasselbe machten. Oder
gar jeder Tischler oder Schmied ihr Handwerk gut machten. Oder gleich gut.

Und wie gut der „Seher“ Irlmaier war, ist in der Tat eine gute Frage. (Und
es zeichnet einen guten Mann – oder eine gute Frau – aus, wenn er – oder
sie – diese Frage sich immer wieder stellt, statt bei der Beschäftigung mit
Irlmaiers Schauungen, über die uns berichtet wird, einfach nur große
gläubige Augen zu machen.) Im persönlichen Bereich scheint er jedenfalls
vergleichsweise gut gewesen zu sein. Was die damalige Gegenwart betraf,
oder die damalige Vergangenheit. Wie er zu seinen Ergebnissen kam, ist mir
zunächst nicht wichtig. Wenn man den Berichten glauben darf, dann ist an
diesen zunächst festzustellen, dass er zumindest zum Teil außergewöhnlich
gute Ergebnisse lieferte. Also nützliche. Mehr kann man nicht erwarten –
weder von einem Tischler noch von einem Schmied oder einem Seher. Wie ein
Handwerker oder Seher zu seinem guten (und preiswerten) Ergebnis kommt, ist
eine nachrangige Frage, den Kunden interessiert das in der Regel nicht,
höchstens Typen wie uns. Aber auch dann nur, weil und wenn die Ergebnisse
gut sind (oder uns so erscheinen), andernfalls wären die ‚Techniken‘, die
Spezifikationen der Ergebnisfindungen eines Irlmaiers auch für die
allermeisten von uns hier uninteressant.

hmmm... sollten wir unterschiedliche bezeichnungen fuer die verschiedenen arten "Seher" und "sehen" einfuehren? so wie in der antike?


Weil Du schreibst:

„so aus dem kopf fallen mir keine schauungen von ihm ein, die sich
erfuellt haben.“

Mir schon. Aus dem Kopf (und aus der Zeit meiner Anwesenheit im alten Zf)
zwei Beispiele:

- Er mahnte Leute, die bei ihm waren, bei der Heimfahrt aufzupassen, er
warnte, soweit ich mich dunkel erinnere, vor einem LKW; und tatsächlich
soll (!) während der Heimfahrt auf der Straße ein Laster vor dem Auto der
Gewarnten Holzstämme verloren haben, welchen Irlmaiers Besucher nur
entgingen, weil sie vorsichtig gefahren und ihr Auto gerade noch
rechtzeitig an den Straßenrand gefahren hatten.

- Einer Frau riet er ab, ihren Mann für tot erklären zu lassen, weil sie
wieder heiraten wollte. Irlmaier warnte sie vor einem „Unglück“, das sie
damit hervorrufe, denn ihr Mann würde aus Russland zurückkommen. Und so
soll es dann auch geschehen sein.

Zwei einfache Beispiele, die man glauben kann oder nicht, einmal nur und
einmal zum Teil ein zukünftiges Ereignis betreffend, jeweils nur den
unmittelbar persönlichen Bereich der Ratsuchenden berührend. Beides Mal
Warnungen.

das sind halt beides personenbezogene faelle, wo er einen menschlichen "katalisator" zur verfuegung hatte.

Aus dem Kopf fällt mir wie Dir nichts ein, wo Irlmaier uns kollektiv
betreffende Ereignisse mitgeteilt hätte, die sich bereits erfüllt hätten.

eben...

Es sei denn, man zöge sehr schwammige, sehr weit auslegbare Dinge heran,
wie Glaubenszerfall, Inflation usw.

also dinge, die man damals wie heute auch an jedem stammtisch hoeren konnte oder kann.

Bei den Zeitangaben, hier rauf und
runter durchgehechelt, irrte er; unser Konsens ist ja, teils aufgrund
späterer Eigenaussagen, dass er bei den Zeitangaben nur riet, nicht
wirklich was „sah“, was ihn zu seinen Behauptungen berechtigt hätte. Das
spricht nicht für ihn, allerdings auch nicht unbedingt gegen ihn. Wir
kennen ja inzwischen das Argument: Es könnte sich ja noch ereignen … und
bloß, weil ich sehe, dass es hageln wird, es bis heute Nachmittag aber noch
nicht gehagelt hat, ist meine Schau (Warnung) ja nicht nachweislich falsch.

nein, das spricht in erster linie gegen uns. naemlich die tatsache, dass wir bei einigen sehern generoes sagen, "nun ja, da hat er sich halt in der zeit geirrt, aber es wird schon noch eintreffen, irgendwann..." und bei anderen: "der taugt nix, weil seine zeitangaben nicht eingetroffen sind."
mal ganz abgesehen davon, das die interpretationsregel, seher koennten keine zeitangaben machen, nur auf einer einzigen grundlage ruht: "lieblings-seher", wie halt auch Irlmaier, deren schauungen nicht eintrafen, nicht in die tonne kippen zu muessen.


Aber wenn wir Irlmaier unter diesem Gesichtspunkt diskutieren, verlassen
wir meinen kleinen Einwand gegen Dich, was Deine grundsätzliche
Identifizierung von Schauungen als Warnungen angeht. Denn auf dieser Ebene
könntest Du nur fragen, ob der Seher Irlmaier ein guter Warner sei (wie
andere gute Tischler oder Brunnenbauer). Während ich gegen die Gleichung
‚Schauung = immer eine Warnung‘ einwende, dass Schauungen auch mal anderer
Art sein können. Wie ein Tisch eben kein Schwert ist. Beides durchaus
nützlich. Und beides das Ergebnis von Handwerkskunst.

unser hauptproblem liegt meiner meinung nach woanders. wir wissen nichts genaues ueber das wesen der zeit.
es ist fuer mich durchaus denkbar, dass Irlmaier (und viele andere seher auch) zu seiner zeit gute, zutreffende schauungen empfing und mitteilte - aber aus X-gruenden der fluss der zeit sich geaendert haben koennte, womit seine schauungen nicht mehr zutreffen wuerden.
in diesem fall wuerden wir mit all unseren schlauen interpretationen immer wieder nach feld eins zurueckgeworfen.

ich persoenlich habe, nachdem ich schauungen hatte, weit ueber ein jahrzehnt lang energie und zeit fuer die suche nach erkenntniss ueber schauungen aufgewendet (vergeudet?) - und ich bin heute genau so weit wie damals: ausser meinen ureigensten, teilweise nicht mal ganz bewussten gefuehlen habe ich keinerlei entscheidungshilfe dafuer, zu beurteilen, ob ich richtig liege, dass ich meine schauungen als grundlage fuer konkretes handeln nehme.


gruss,detlef


Norddeutsche BW-weisheit aus den 70ern:
Kriech heisst Kriech,
weil man im Kriech viel kriecht.
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man ist, was man isst.
ich bin gegen den verzehr von insekten.


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