"Er" und "Du", und die "Lilien" (Schauungen & Prophezeiungen)

Gerhard, Mittwoch, 25.11.2009, 16:08 (vor 5274 Tagen) @ BBouvier (5812 Aufrufe)

Hallo, BB!

Wir sind Interpreten.
Von Texten.

Die Prophezeiung von Johannes XXIII redet in denjenigen Teilen, die die Pontifikate betreffen, von der Kirche immer als von der "Mutter". (Das ist die übliche Terminologie seit etwa 200 Jahren, Stichwort "marianische Volksfrömmigkeit" bzw. Romantik, während die Kirche in den Jahrhunderten davor eher als der "Leib Christi" bezeichnet wurde).

Der Papst ist immer der "Vater", in unserem Text stellenweise dann sogar "der Vater der Mutter".

Interessanterweise redet der Seher - Angelo Giuseppe Roncalli - von den Päpsten vor seiner eigenen Zeit in der grammatikalischen "Dritten Person", etwa so: er tat dies und das etc.

Auch von sich selbst (als Johannes XXIII) spricht Roncalli so, und fügt bemerkenswerterweise hinzu: "ich sehe ihn nicht" (Problem der Identität von Seher und Gesehenem!>), sowie "ich bitte für ihn um Verzeihung", also um Verzeihung für seine eigenen Fehler/Sünden.

Die grammatikalisch dritte Person nimmt Roncalli auch für die Päpste der Zukunft (die leider aber keine "wahren Väter" mehr sind).

Diejenigen Personen, die Roncalli selbst kennt (Montini sowie Woytila, welcher in den 1960ern schon einmal in Rom war), spricht er mit einem "Du" an.

Aus dem Kontext des gesamten Textes geht m.E. klar hervor, dass mit dem DU der Papst selbst gemeint ist, und nicht (symbolisch) die Kirche.

Ist meine Interpretation (bei der ich aber bleiben möchte).

Ein ähnlicher Fall sind die "Lilien" und die "Blumen". Sie sind kirchlicherseits ein Symbol für die Reinheit und Schlichtheit des wahren Glaubens. In der Politik symbolisieren sie einen Herrscher, der gottesfürchtig und vom wahren Glauben durchdrungen ist, Diener des Volkes und des HERRN. Ich darf an die französischen Könige erinnern (die ja die Lilie im Wappen hatten), die nach ihrer Königssalbung immer die Gabe der Krankenheilung gehabt haben sollen (sie heilten mit dem rechten Mittelfinger kranke Untertanen, wie einst die Urchristen durch Handauflegung).

Die "Lilie" ist somit ein Terminus, der unabhängig von der Prophetie existiert, den aber die Propheten durchaus benutzen, um ihrer Hörergemeinde durch Bilder/Symbole verständlich zu sein. Etwa so, wie die jüdischen Propheten vom "Löwen Juda" reden - und jeder weiss dann, was gemeint ist.

Das heißt wiederum: die "Prophezeiung von Johannes XXIII" und das "Lied der Linde" (das ja ebenfalls aus dem kirchlichen Milieu stammt) haben parallel die gleiche Sprache, müssen deswegen aber nicht direkt oder indirekt von einander abhängig sein.

Man könnte auch argumentieren, der "barfüssige Prediger" sei ebenfalls so ein Topos. Aber er ist irgendwie zu "kurios" und merkwürdig, jedenfalls in der Prophezeiung von Johannes XXIII (wo er ganz konkret ausgeführt wird), so dass ich hier eine echte Realität vermute. Der Mann geht wohl wirklich mit nackten Füßen.

Das ist aber - wie gesagt - nur eine Interpretation.

Wir sind uns einig in der Ansicht, dass den Carpi-Texten absolut eigenständige Schauungen zugrunde liegen.

Herzlich, Gerhard


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