Steinregen und "feriae" (Schauungen & Prophezeiungen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Samstag, 02.03.2019, 18:39 (vor 1882 Tagen) @ BBouvier (1545 Aufrufe)
bearbeitet von Ulrich, Samstag, 02.03.2019, 18:45

Hallo BB,

"Steinregen" galt im Vorzeichenwesen der antiken römischen Republik als "Prodigium", das im Unterschied zum "Omen" pauschal die Bedeutung des "göttlichen Zorns" transportierte.

"Im Gegensatz zu apokalyptischen Visionen sagten die nahezu alljährlich auftauchenden Prodigien nicht den Untergang der Welt voraus: Da es noch immer gelungen war, die Zeichen zu entsühnen und die Götter zu versöhnen, konnten Prodigien geradezu als ein Indiz von Normalität gelten.
...
Nur bei wenigen Prodigien kennen wir einen fest etablierten Expiationsritus. Steinregen etwa wurden durch ein neuntägiges Opferfest entsühnt, bei dem Arbeit und Rechtspflege ruhen mussten."
[= "feriae"]
Quelle:
Kai Brodersen (Hrsg.): "Gebet und Fluch, Zeichen und Traum."
darin: Veit Rosenberger: "Zeichen göttlichen Zornes. Eine mediengeschichtIiche Untersuchung des römischen Prodigienwesens", S. 77/78

Was Cicero im Umgang mit Prodigien bemängelte, gilt m.E. nach wie vor und nicht nur für diese selbst, sondern umso mehr auch für "geträumte" oder "geschaute" Prodigien:
"Und solche Dinge erscheinen in Kriegszeiten häufiger und bedrohlicher für diejenigen, die sich fürchten, während die gleichen Erscheinungen im Frieden nicht die gleiche Beachtung finden; dazu kommt auch, daß man Derartiges im Zustand der Angst und der Gefahr leichter glaubt, insbesondere aber unbedenklicher erfindet."
(Cicero: De divinatione.)

... wobei dies m.E. für "Krisenzeiten" wie für "Kriegszeiten" zutrifft.

Zum Steinregen auf den Albaner Bergen schrieb Livius:
"Auch die Römer unternahmen auf dieses Prodigium hin öffentlich ein neuntägiges Opferfest, entweder wegen der himmlischen Stimme auf dem Albaner Berg - denn auch das wird überliefert - oder auf Anordnung der Haruspices. Es hielt sich jedenfalls der Brauch, immer dann, wenn dieses Prodigium gemeldet wurde, neun Tage lang 'feriae' durchzuführen."

Veit Rosenberger erläutert: "Das Speichermedium Steinregen erlaubte es, immer nach einem solchen Zeichen ohne ausführliche Rückfrage ein neuntägiges Opferfest abzuhalten."

Dass soziopathische Misanthropen und misanthropische Soziopathen eher zu apokalyptischen Visionen neigen als Lieschen Müller und Hans Mustermann dürfte bekannt sein, aber auch für visionäre Steinregen gilt m.E., dass sie nicht jederzeit auf Jeden niederprasseln.

Ich übertrage Livius und Rosenberger mal frech auf geträumte/geschaute Steinregen: Je nach Drehzahl des Hamsterrades, in dem sich der "Seher" befinden mag, könnte die (immerhin 2000jährig tradierte) Botschaft schlicht darin bestehen, daß er dringend 9 Tage Urlaub ("feriae") nötig hat, um die Götter zu besänftigen ;-)

Gruß
Ulrich


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