Der Vater aller Dinge (Freie Themen)

Isana Yashiro, Samstag, 06.03.2021, 07:08 (vor 1162 Tagen) @ Taurec (2282 Aufrufe)

Hallo!

Das Leben an sich und auch das Leben jeder Kultur bestehen aus inneren Kämpfen. Dynastien, Staaten, geistige und religiöse Bewegungen, Stilrichtungen und Geistesepochen lösen einander ab. Ihre einzelnen Vertreter kämpfen um die Vorherrschaft.

Wir leben in einem ewigem Krieg. Das ist unbestritten.

Daß der faustische Mensch, der in seiner Kultur zu Hause ist, zugleich auch darin zu Frieden sein müßte, ist eine falsche (und wegen der pazifistischen Haltung späte) Grundannahme.

Du mißverstehst mich mindestens ebensosehr wie andersherum. Ich denke nicht pazifistisch, sondern militaristisch. Das bedeutet Sabotage und Wehrkraftzersetzung dürfen nicht geduldet werden. Verräter und Kameradenschweine sind auszusortieren. Zu der eigenen Armee sollte man sich sehr wohl zugehörig fühlen. Die vornehmlichste Aufgabe jeder militärischen Führungskraft ist die, dafür zu sorgen, daß alle am gleichen Strang und in die gleiche Richtung ziehen.

Mißverständnis. Meine Aussage sollte sinngemäß meinen, daß, wenn man sich z. B. auf der Ebene konkurrierender faustischer Denkrichtungen bewegt, natürlich ein faustisches Weltempfinden als Gemeinsamkeit haben muß, um einander überhaupt nachvollziehen zu können.

Sich gegenseitig zu verstehen ist etwas ganz anderes als sich gegenseitig zu bekämpfen. Gerade unter Kameraden sollte man zum Beispiel auf Fehler hinweisen können, ohne daß das gleich in Streit ausartet.

Desgleichen gilt für die Gravitation, die kein körperlich definierbares Ding ist, sondern eine Kraft, die auf Körper wirkt. Schon ihre bloße Beschreibung und die Formulierung als Gleichungen gefaßter Gravitationsgesetze setzt das faustische Denken voraus, das die Welt nicht (wie die Antike) als Körper begreift, sondern als dynamisches Beziehungsgefüge von Naturkräften, die auf Körper bzw. zwischen Körpern wirken. Erst auf dieser Grundlage ergeben sich die bis in die Moderne fortdauernden Theoriezwistigkeiten der Physik. Wer dazu keinen Zugang hat, der hat in diesen Streitereien nicht mitzureden, sondern kann nur die gesamte faustische Wissenschaft an sich ablehnen, weil er ihr Weltempfinden als Axiom ablehnt.

Mitreden ist etwas ganz anderes als sich gegenseitig zu bekämpfen. Eher das exakte Gegenteil.

Dem entsprechend sind die Konflikte zwischen Kulturen immer sehr viel gröber und grundsätzlicher, von einem systematischen Mißverstehen geprägt. In der Regel läuft es nicht primär darauf hinaus, was der andere (Falsches) denkt, sondern daß er überhaupt da ist und Lebensraum beansprucht. Die Unterschiede im Denken (z. B. zwischen Christentum und Islam oder zwischen modernem Liberalismus und Islam usw.) sind lediglich die Kristallisationspunkte dieses sehr viel fundamentaleren Unterschiedes zwischen den Kulturen, an denen dieser offenbar wird, ohne daß aber in den weltanschaulichen Fragen gegenseitiges Verständnis oder gar Einigung möglich wären.

Im Sinne meiner militaristischen Denkweise kommt es vor allem darauf an, ob man mit den anderen ein Bündnis schließen kann. Das hat schon oft zwischen unterschiedlichen Kulturen funktioniert.

Wahrscheinlich haben die Chinesen kein echtes Interesse daran, den Mars zu erforschen. Genau wie die meisten Europäer nicht das geringste Interesse daran haben, den Mars zu erforschen.

Daß faustische Menschen innerhalb der faustischen Kultur Probleme haben und Feindseligkeiten ausgesetzt sind, widerspricht nicht Spenglers Kulturentheorie, sondern folgt aus ihr geradezu. Alles Leben ist Ringen. Inhaltlich kann eine faustische Idee nur von einem anderen, auf Augenhöhe agierenden faustischen Menschen begriffen und angegriffen werden.

Eine Idee anzugreifen ist etwas ganz anderes, als eine Person anzugreifen. Das steht so auch in Deinen Forumsregeln.

Ein tüftelnder Handwerker aus einer deutschen Kleinstadt, der sich als Erfinder probiert, und ein Philosophieprofessor aus Heidelberg hätten (obwohl beides faustische Menschen wären) einander zwar nichts zu sagen, wären aber nicht spinnefeind, sondern eher gleichgültig. Mit anderen Tüftlern oder Philosophieprofessoren könnten beide aber bittere Fehden ausfechten.
Hingegen hätten beide Arten (Tüftler und Philosophieprofessoren) grundsätzliche und früher oder später potentiell tödliche Probleme mit einem sich ausbreitenden arabischen Bevölkerungsteil, der den Islam als Speerspitze führt.

Widerlegt also jemand die eigene Theorie, dann betrachtet man diesen Menschen nicht als Feind, sondern als jemanden, dem man eine neue Erkenntnis verdankt.


Das magst Du so handhaben, ist aber nicht von der (gemeinsamen) Kultur abhängig, sondern von der persönlichen Reife und dem individuellen Charakter.

Danke für die Lorbeeren. Natürlich hatte ich manche Theorien auch schon besonders lieb. Eine saubere wissenschaftliche Vorgehensweise zu erlernen dauert seine Zeit. Das bekommt auch ein faustischer Geist nicht in die Wiege gelegt. Hat man diese Vorgehensweise aber erstmal verstanden, dann wendet man sie gerne an. Dann schnippelt man gerne mit Ockams Messer herum oder verwirft selbstimmunisierende Theorien. Ich habe zum Beispiel die Idee verworfen, daß es auf der Erde Artefakte Außerirdischer gibt, weil es eine überflüssige Zusatzannahme ist, daß etwas auf einem anderen Planeten erfunden und zu uns gebracht wurde, obwohl es auch gleich auf unserem Planeten erfunden werden konnte. Deshalb Außerirdische weg und uralte Zivilisationen her.

Thomas Kuhn erzählt natürlich, durchaus aufgrund von Beobachtungen, daß sich wissenschaftliche Theorien nicht durch die bloße Widerlegung ihrer Vorgänger durchsetzen, sondern erst dadurch, daß deren Anhänger die Universitäten in Richtung Ruhestand verlassen. Immer erst mit einem Generationenwechsel gibt es daher Fortschritt. Um diesen nur scheinbaren Widerspruch zu verstehen, muß man sich lediglich klarmachen, daß sich faustische Menschen nicht an den Universitäten konzentrieren. Man könnte das zwar annehmen, aber Du sagst ja selbst, daß ein Tüftler nicht viel mit einem Philosophieprofessor gemeinsam hat. Spätestens durch die Verbeamtung der Professoren der deutschen Universitäten konzentrieren sich an diesen ganz andere Geister als die faustischen. Deshalb denken und arbeiten die anders als faustische Geister.

Nein, es hat nicht damit zu tun, ob faustisch oder nicht. Alles Leben ist immer ein Ringen, entweder mit sich selbst oder anderen. Dazwischen mag es Phasen der Ruhe geben.

Gibt es nicht. Es gibt nur ewigen Krieg.

Es ist sogar möglich, daß die Kämpfenden einander achten (was eben eine gemeinsame Kultur und Verständnis im Grundsätzlichen voraussetzt) und sich in räumlich und zeitlich begrenztem Rahmen die Hände reichen. An der Grundtatsache des Lebens ändert dies nichts.

Diese ist unbestritten. Krieg ist für den faustischen Geist sogar wichtig, weil sich Innovationen nur im Krieg durchsetzen. In Friedenszeiten werden Wehrkraftzersetzung und Sabotage toleriert. Korruption nimmt überhand. Forscher und Erfinder werden unterdrückt, weil jede neue Erkenntnis zu einer Veränderung führen könnte. Trotzdem muß Krieg nicht immer eine Entladung von Gewalt sein. Das passiert nur dann, wenn eine Gesellschaft so lange wie unsere Korruption toleriert hat.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile (das ist nur eine triviale Redewendung als anderer Ausdruck für "Emergenz"). Eigentlich logisch und selbstevident. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Zellen und Orange. Gleichwohl wäre er ohne diese nicht auf der Welt. Seine Bestandteile wären andererseits ohne dieses emergente "Mehr" nutzlos und tot. Das läßt sich sinngemäß auf die Kultur übertragen: Die einzelnen ihr Angehörenden spiegeln das Gesamte jeweils in einzelnen Aspekten wider, aber keiner ganz! Sie bekommen aber nur durch das Ganze ihren Lebenssinn.
Daß Minderheiten und Eliten prägend sind, ist eine weitere Grundtatsache des Lebens, das – wenn man es mit höherem Leben zu tun hat – immer mit Rangunterschieden verbunden ist. Man führt oder man folgt, man ist Subjekt oder Objekt, Hammer oder Amboß, prägt oder wird geprägt, gewinnt oder unterliegt. Daran läßt sich nichts ändern. Das ist einfach so.

Hier kommen wir endlich zu meinem (und vermutlich auch Beas) eigentlichem Kritikpunkt: Einige faustische Menschen prägen die gesamte faustische Kultur. Einige faustische Menschen in einer anderen Kultur sollen dagegen keinen Effekt haben. Ganz so wie Du es gerade brauchst. Je nachdem, wie es Dir gerade besser in den Kram paßt, prägt eine Minderheit eine ganze Kultur oder hat keinen Effekt.

Erst in den späten, degenerativen Zeiten des Kulturtodes und Fellachentums werden Regungen stark, die diesen Lebenskampf ablehnen und versuchen, ihn mit Theorien wegzurationalisieren. Dahinter steckt keine Überlegenheit, sondern Lebensschwäche.

Das gibt es sicherlich auch, ist aber ein anderes Thema.

Ich stelle immer wieder fest, daß Ablehnung der Spengler'schen Philosophie an grundsätzlichen Mißverständnissen krankt. Man braucht offenbar eine mit Spengler wenigstens halbwegs übereinstimmende grundsätzliche Seelenhaltung und Auffassung in Lebensfragen. Entsprechend fällt auf, daß die Kritik oft bereits in der Sache am Sinn der Gedanken Spenglers vorbeigedacht ist und ihn gar nicht recht tangiert. Es scheint so zu sein, daß der Kerngedanke seiner Philosophie unwiderlegbar ist. Hat man ihn verstanden, kann man ihn nur anerkennen.

In solchen Punkten wie dem Primat des Geistes wird seine Theorie auch anerkannt. Genau wie in der Übertragung des Lebenszykluses eines Individuums auf seine ganze Kultur. Das entspricht auch meiner persönlichen Auffassung, daß das Universum ein riesiges Fraktal ist.

Widerlegungsversuche können nicht fruchten, weil ihnen das Verständnis und ergo der richtige Angriffspunkt fehlen, erübrigen sich aber, sobald es vorhanden ist.

Du machst eine selbstimmunisierende Theorie daraus. Ich unterstelle Spengler nicht, daß er damit einverstanden gewesen wäre. Seinerzeit hatte man noch sehr gewissenhaft geforscht. Eine selbstimmunisierende Theorie hätte jeder ernsthafte Forscher damals sofort verworfen. Einfach nur weil sie selbstimmunisierend ist. Das reicht als Grund völlig aus. Es dauert nur etwas, um das zu begreifen. Aber man oder zumindest jeder faustische Geist schließt sich dem gerne an, sobald er es verstanden hat.

Die Möglichkeit des Irrens Spenglers in sekundären Aspekten und der Interpretation von Teilen der Geschichte im Lichte seines eigenen Denkens sind davon unbenommen.

Gewisse Dinge konnte Spengler noch nicht wissen. Auch das wird ihm zugestanden. Ich habe bisher noch keinen Beitrag gelesen, der ihm daraus einen Strick drehen wollte. Du erweiterst seine chinesische Zivilisation auf deren zweie. Dadurch sehe ich mich genötigt darauf hinzuweisen, daß man in Spenglers Zeit die ersten drei der anerkannten chinesischen Dynastien noch für bloße Märchen hielt, weil aus der eurozentristischen Sicht gefälligst garnichts vor der europäischen Geschichtsschreibung zu beginnen hatte. Spengler selbst konnte also nicht bemerken, daß schon die Shāng eine voll ausgeprägte Zivilisation (Erfinder der chineschischen Schrift! Bronzegießer, Fernhändler und so fort) waren.

Gruß,
Shiro


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