@Johannes: Willkürliche Ethik contra begründete Ethik
Geschrieben von Elias Erdmann am 01. August 2003 20:04:26:
Hallo Johannes
> Es gibt 2 grundsätzliche Gruppen.
> Die einen, für die es Gut und Böse gibt, dazu gehören z.B. Moslems und Christen.
> Sie sagen, es gibt eine göttliche Ordnung, und wer gegen die göttlichen Gebote verstößt,
> der sündigt. Gut und Böse kann für diese Gruppe nicht von jedem frei definiert werden,
> sondern ist bereits festgelegt (von Gott).> Die andere Gruppe stellt den Mensch (das Ego) in den Mittelpunkt, auch wenn sie
> das sicher nicht so ausdrücken würden. "Was Spaß macht, ist erlaubt", denken sie. "Es
> kann doch nicht angehen, daß mir jemand Vorschriften macht. Was Gut und Böse ist,
> bestimme ich allein, da hat mir gefälligst kein Gott reinzureden. Denn ich bin mein
> eigener Herr und lasse mir nichts sagen. Und von der Kirche schon gar nicht".Du sprichst von zwei Gruppen. Mir fällt aber ganz spontan eine dritte ein, nämlich die Gruppe, der ich mich zugehörig fühle.
Ich sehe, dass der Mensch in der schwierigen Lage steckt, dass er Gut und Böse selbst erkennen muss. (erkennen! nicht willkürlich festlegen) Dass ist gar nicht so einfach, denn vieles was auf den ersten Blick als gut erscheint, hat irgendwo doch einen Haken. Das Problem liegt in der Folgenabschätzung. Denn in komplexen, dynamischen und intransparenten Regelkreisen haben Handlungen mitunter sehr unerwartete Folgen. Ein guter Wille führt nicht zwangsläufig auch zu einem guten Ergebnis. So geht manche gute Idee voll nach hinten los. Die Erkenntnis von Gut und Böse ist daher ein schmerzhafter Prozess und man fällt dabei oft auf die Nase.
Daher ist es ein schwieriger Weg, den natürlich auch nur wenige gehen wollen.
So wählen viele lieber einen bequemeren Wege, z.B. wenn man einfach irgendein bestehendes moralisches System übernimmt. Am einfachsten ist es immer, das System zu übernehmen, das auch die anderen verwenden. Dafür muss man sich am wenigsten rechtfertigen.
Der subjektiv empfundene Vorteil von festgelegten Handlungsrichtlinien und einem einfache Gut-Böse-Schema ist, dass man sich um die Folgenabschätzung nicht kümmern braucht. Man macht einfach das, was gut ist und wenn es trotzdem schief läuft, dann kann man auch nix dafür, denn man hat ja das Richtige gemacht.
Die Verantwortung kann man in solchen Fällen einfach an das „System“ delegieren, denn man selbst hat sich ja durch die Unterordnung in dieses System von der Verantwortung befreit. Wer nicht selbst entscheiden muss, der kann sich auch nicht falsch entscheiden. So einfach ist das.
Aber ist es denn „gut“, wenn man die Frage nach „gut“ und „böse“ auf diese Weise entscheidet?
Meine Ethik basiert auf dem Prinzip: Schätze die Folgen ab und richte danach die Handlungen aus.
Die bequeme Ethik geht hingegen nach dem Schema: Halte dich an die Regeln und denke nicht über die Folgen nach.
Sobald man anfängt über die Folgen nachzudenken, muss man feste Regeln in Frage stellen. Gehorsam und Eigenverantwortung sind absolut unvereinbare Gegensätze.
Werfen wir einen Blick in die Geschichte. Welche Systeme haben denn mehr Schaden verursacht:
Systeme, die ihre Angehörigen zur Eigenverantwortung angehalten haben?
Oder Systeme, die von ihren Angehörigen Gehorsam gefordert haben?Welche Systeme haben die Scheiterhaufen und die Gaskammern möglich gemacht?
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!
Ich halte es für notwendig, auch die bestehenden moralischen Systeme zu hinterfragen – auch dann, wenn sie sich auf einen göttlichen Ursprung berufen, denn oftmals sprechen ganz offensichtliche Fehler gegen diesen angeblichen Ursprung und schon sehr oft haben Menschen ihre eigenen Ziele zum göttlichen Willen erklärt.
So sind sich vermutlich die beide Gruppen, die Du unterscheidest, doch sehr viel ähnlicher, als es zunächst erscheint. Die einen tun, was sie wollen und die anderen erklären zunächst ihre eigenen Ziele zum Willen Gottes und tun dann, was dieser Gott will. Das läuft letztendlich auf das Gleiche hinaus. Es gibt natürlich noch weitere Untergruppen, z.B. solche, die in der Bibel selektiv nur das lesen, was ihren eigenen Zielen entspricht und die dann in der Illusion leben, sie würden damit Gottes Willen tun.
Du kennst doch sicher die 10 Gebote: Da steht u.a. „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.“
Ich möchte einen Aspekt heraus greifen:
„Du sollst dir kein Bildnis [...] machen [...] von dem, was unten auf Erden [...] ist.“Nimmst Du dieses Gebot wirklich ernst oder lebst Du etwa in „Sünde“ und hast einen Fotoapparat oder einen Fernseher?
Ich gehe mal davon aus, dass Du tatsächlich einen Fotoapparat oder einen Fernseher besitzt und dass Du dieses auch überhaupt nicht als Sünde empfindest. Warum nicht? Weil auch Du den Text nicht wörtlich nimmst, sondern entsprechend Deiner eigenen Vorstellungen interpretierst.
Dein moralisches System basiert also auf Deiner Interpretation und ist gar nicht so gottgegeben, wie Du vielleicht glaubst. Man kann ebenso aus der Bibel auch ganz andere moralische Systeme ableiten. Betrachte einfach mal, was im Laufe der Jahrhunderte so alles im Namen Gottes geschah. Alle diese Menschen haben ihre Moralvorstellungen irgendwie aus der Bibel abgeleitet.
So beruft sich der Kriegsdienstverweigerer auf die Bibel und andere, die zum Kreuzzug aufrufen, tun dieses auch.
Übrigens interpretiere auch ich dieses Gebot mit den Bilder entsprechend meiner Vorstellungen und sehe auch keine Sünde darin einen Fernseher zu haben. (siehe http://home.arcor.de/elias_erdmann/zehngebote.htm)
Es gibt sicher noch unzählige andere biblische Gebote, die Du auch nicht befolgst. Hältst Du z.B. die Sabbatruhe? Oder hast Du etwa in Auflehnung gegen Gott diesen Tag willkürlich auf den Sonntag verschoben?
Auch der Zölibat ist ein typisches Beispiel dafür, dass die Bibel von der römischen Kirche mitunter nur sehr selektiv gelesen und befolgt wird. Dort steht nämlich im Klartext: 1.Tim 3,2 Ein Bischof aber soll untadelig sein, Mann einer einzigen Frau, ...
Weiterhin wird in 1. Tim. 4,3 das Gebot der Ehelosigkeit als „teuflische Lehre“ bezeichnet.
Der Geist aber sagt deutlich, dass in den letzten Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden und verführerischen Geistern und teuflischen Lehren anhängen, verleitet durch Heuchelei der Lügenredner, die ein Brandmal in ihrem Gewissen haben. Sie gebieten, nicht zu heiraten und Speisen zu meiden, die Gott geschaffen hat, ...
Sind denn Menschen, die selbst solchen „teuflischen Lehren“ anhängen und sie propagieren, überhaupt eine geeignete Instanz, um anderen Menschen ihre Vorstellungen aufzuzwingen?
Es ist jetzt nicht mein Ziel, eine buchstabengetreue Befolgung der biblischen Regeln zu fordern, sondern ich will nur die Illusion deutlich machen, in der die Gruppe 1 (gemäß Deiner Gruppenaufteilung) lebt. Es ist letztendlich nur eine Ausrede, um nicht zugeben zu müssen, dass man auch der Gruppe 2 angehört.
Wenn wir schon zwei Gruppen unterscheiden wollen, dass wäre es doch sinnvoll, dieses nach folgendem Kriterium zu machen:
A. Gruppen mit einer begründeten Ethik
B. Gruppen mit einer willkürlichen oder willkürlich ausgewählten EthikIn Gruppe B fallen die beiden von Dir dargestellten Gruppen zusammen, jene die ihre Regeln willkürlich bestimmen und jene die ihr (religiöses) Regelwerk willkürlich auswählen.
Eine Regel zu begründen mit „weil es in der Bibel steht“ wirft unweigerlich die Frage auf „Warum ausgerechnet die Bibel? Warum nicht die Apokyphen? Warum nicht der Koran? Warum nicht Konfuzius? Warum nicht ...sonstwiewas?“ Einer wirklichen Begründung sind wir damit keinen Schritt näher.
Ein anderes grundsätzliches Problem ist: Welche Konsequenz hat es, wenn man eine Ethik aus irgendwelchen alten Büchern ableitet? Es gibt ganz viele solcher alten Bücher und die basieren keinesfalls alle auf der gleichen Ethik.
In einem Buch ist erlaubt, was in einem anderen verboten ist. In einem Buch steht „Liebe deine Feinde“ und im anderen steht „bekämpfe sie“. In einem steht „Du sollst nicht begehren, was einem anderen gehört“ und im anderen wird die gewaltsame Landnahme in Palästina theologisch gerechtfertigt. u.s.w.
Was macht man nun, wenn zwei Menschen aufeinander stoßen, von denen jeder sagt „In meinem Buch steht aber ...“ und „Gott hat gesagt ....“ und beide sagen etwas anderes?
Wir haben theoretisch drei Möglichkeiten:
1) religiös polarisierend: Wir streiten uns bis zum Ende aller Zeiten, was natürlich verhindert, dass wir gemeinsame Lösungen für die globalen Probleme finden.
2) religiös neutral: Wir legen die alten Bücher erst mal beiseite und denken selbst nach.
3) esoterisch: Wir versuchen die gemeinsame Wahrheit zu erkennen, die in allen Religionen steckt und daraus eine gemeinsame Ethik abzuleiten. Das klappt natürlich nicht, wenn man die Religionen auf ihre Äußerlichkeiten reduziert, sondern man muss dafür zum Kern der Sache vorstoßen.Die Menschen, die ein Buch hoch halten und sagen „da steht aber drin...“ haben sich für Weg 1 entschieden, was zwangsläufig ins Chaos führt. Religiöse Kriege im Zeitalter von Atomwaffen halte ich jedenfalls nicht für erstrebenswert.
Und mit dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit einer willkürlichen, nicht begründeten und nicht begründbaren Ethik ist sicherlich auch kein Dialog zwischen unterschiedlichen Gruppen und Kulturen möglich.
Wenn die Menschheit eine Zukunft haben soll, dann müssen wir ganz sicher einen anderen Weg einschlagen.
Ich sehe eine Lösung in einer Kombination aus 2 und 3. Weil akuter Handlungsbedarf besteht, kurzfristig eher 2, auch wenn 3 eher meinem Naturell entspricht.
> Prophezeiungen, die von einem Verfall der Sitten sprechen, ...
> es seien wenige, die dem prophezeiten Zeitgeist widerstehen.Minderheiten zu bekämpfen halte ich auch für einen Verfall der Sitten und auch diesem Zeitgeist sollte man widerstehen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass auch Zucht und Ordnung zum Untergang führen kann.
Viele Grüße
Elias
- Wann war die Endzeit? Elias Erdmann 02.8.2003 13:15 (0)
- Willkürliche Ethik contra begründete Ethik / Persönliche Einstellung Narada 02.8.2003 09:35 (16)
- Re: Willkürliche Ethik contra begründete Ethik / Persönliche Einstellung HotelNoir 02.8.2003 10:59 (13)
- Persönliche Einstellung / persönliche Wichtigkeit Narada 02.8.2003 13:23 (12)
- Re: Persönliche Einstellung / persönliche Wichtigkeit HotelNoir 02.8.2003 14:41 (8)
- Unpersoenlich. Guerrero 02.8.2003 16:32 (7)
- Re: Unpersoenlich. HotelNoir 02.8.2003 16:58 (6)
- Seele. Guerrero 03.8.2003 15:57 (1)
- Re: Seele. HotelNoir 04.8.2003 15:15 (0)
- Re: Hallo unpersönlicher Wirrkopf ;-) franz_liszt 02.8.2003 17:13 (2)
- Re: Hallo unpersönlicher Wirrkopf ;-) HotelNoir 02.8.2003 17:45 (1)
- Re: Hallo unpersönlicher Wirrkopf ;-) Tilly 02.8.2003 21:31 (0)
- Re: P.S. HotelNoir 02.8.2003 17:01 (0)
- Re: @narada franz_liszt 02.8.2003 13:57 (2)
- Re: @narada Narada 02.8.2003 18:18 (1)
- Re: @narada - Per Anhalter durch die Galaxis franz_liszt 02.8.2003 19:02 (0)
- Re: Willkürliche Ethik contra begründete Ethik / Persönliche Einstellung Epidophekles 02.8.2003 10:20 (1)
- Persönliche Einstellung Narada 02.8.2003 13:15 (0)
- Re: @Elias: Eingebildete Weisheit gegen liebegeborene Weisheit Epidophekles 01.8.2003 22:53 (11)
- Re: @Epidophekles Liebe zum Vater Euphorias Child 02.8.2003 14:45 (2)
- Re: Hallo Euphorias Child franz_liszt 02.8.2003 17:18 (1)
- Re: Hallo Euphorias Child Euphorias Child 03.8.2003 12:15 (0)
- Re: @Elias: Eingebildete Weisheit gegen liebegeborene Weisheit Elias Erdmann 02.8.2003 00:15 (7)
- Weisheit aus der Liebe. Guerrero 02.8.2003 22:20 (0)
- Gott ist die Wahrheit. Guerrero 02.8.2003 22:09 (2)
- Aber nicht alles, was Gott in die Schuhe geschoben wird, ist wahr Elias Erdmann 02.8.2003 23:34 (1)
- Gott näherkommen. Guerrero 03.8.2003 16:22 (0)
- Re: @Elias: Eingebildete Weisheit gegen liebegeborene Weisheit HotelNoir 02.8.2003 10:53 (0)
- Re: @Elias: Eingebildete Weisheit gegen liebegeborene Weisheit Epidophekles 02.8.2003 04:46 (1)
- Missverstaendnis? Guerrero 02.8.2003 22:23 (0)
- Re: @Johannes: Willkürliche Ethik contra begründete Ethik Backbencher 01.8.2003 21:58 (1)
- Selektives Christentum Elias Erdmann 01.8.2003 22:25 (0)
- Schade dass sich warscheinlich keiner die Mühe macht Danan 01.8.2003 20:40 (0)