Verfassungsgericht kippt Gesetz über den EU-Haftbefehl

Geschrieben von Johannes am 18. Juli 2005 11:32:57:

Als Antwort auf: NACHRICHTEN (18.07.2005) (owT) geschrieben von Samnico am 18. Juli 2005 09:05:44:

> Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, Tatverdächtige mit einem deut-
> schen Pass vorerst nicht mehr ins Ausland abzuschieben. Damit ist das Deutsche
> Gesetz zum Europäischen Haftbefehl nichtig.

(mehr: http://www.netzeitung.de/deutschland/348900.html)


Wie den meisten hier bekannt sein dürfte, hatte die Bundesregierung versucht, eine zentrale Schutzfunktion des Grundgesetzes außer Kraft zu setzen, nämlich das Verbot, Deutsche ans Ausland auszuliefern. Dies begann mit einer unscheinbaren Änderung des Grundgesetzes, bei der der Passus mit dem Auslieferungsverbot wegfiel, ohne daß dies nennenswert diskutiert wurde, und es gipfel in der Umnsetzung des EU-Haftbefehlsgesetzes.

So sollte es nach Wunsch von Rot-Grün ermöglicht werden, Verdächtige an das EU-Ausland auszuliefern, sofern die ihnen vorgworfene Tat dort mit mindestens einem Jahr Haft bedroht ist. Es sollte also ausdrücklich nicht nur um die Auslieferung rechtskräftig Verurteilter gehen, sondern um Verdächtige, die ja nach deutscher Rechtsauffassung bis zur Verurteilung eigentlich als unschuldig zu betrachten sind. Diese sollten auf Grund von ausländischen Gesetzen eines beliebigen EU-Staates ausgeliefert werden können, obwohl die hier niemand kennen kann.

Besonders pikant fand ich die Begründung des Prozeßvertreters der Bundesregierung. Das Auslieferungsgesetz sei ein wichtiger Fortschritt, sagte er, denn die europäischen Gesetze könnten nicht so leicht harmonisiert werden, und so könnten Verbrecher jetzt keine Schlupflöcher mehr nutzen. Auf den ersten Blick vernünftig, aber das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Weil die Gesetze so völlig unterschiedlich seien, daß ein Täter, der sich in Land A aufhält, nicht für das bestraft werden kann, was in Land B strafbar ist, soll er auf Ersuchen von Land B ausgeliefert werden. Und zwar verpflichtend und ohne daß Land A noch ein inhaltliches Prüfungsrecht zur Sache hätte. Was wiederum folgerichtig ist, denn der Richter in Land A kann die Gesetze von Land B und deren Auslegung ja gar nicht ausreichend beurteilen, und so hat er nur festzustellen, ob das Auslieferungsersuchen auf Grund eines weit gefaßten Rahmens von Straftaten gestellt wird und ob die Mindeststrafe bei einem Jahr liegt. Ist das erfüllt und stimmen die Personalien, so wäre der Verdächtige zwingende auszuliefern.

Und nun seht einmal die andere Seite: Weil die EU es nicht schafft, ihre Gesetze zu harmonisieren, sollen Bürger nun nach sämtlichen Gesetzen bestraft werden, obwohl sie nicht in deren Hoheitsgebiet sind und sie nicht kennen können. Nicht einmal die Justizbehörden können sie ausreichend kennen, eben deshalb war ja keine inhaltliche Prüfung vorgesehen.

Beispiel (ausgedacht, aber realistisch): Wir können hier nach Belieben über die Verbrechen reden, die während der Vertreibung geschahen, und wir können darüber schimpfen, daß diese Verbrechen durch die Benesch-Dekrete, die auch heute noch gelten und so die Täter schützen, straffrei gestellt wurden. Hier können wir deutliche Worte dafür finden. Aber könnten wir das auch in der Tschechei? Oder wäre das vielleicht schon Volksverhetzung? Dies hängt sicher von unserer Formulierung ab, aber auch davon, wie der tschechische Staatsanwalt dies einschätzt. Wie das Verfahren letztlich ausginge, wäre egal: Wenn der tschechische Staatsanwalt der Ansicht ist, unsere Äußerungen seien Volksverhetzung und er fordert eine Strafe von mindestens einem Jahr, so wären wir gemäß dem Wunsch von Rot-Grün zwingend auszuliefern, der deutsche Richter dürfte das Auslieferungsbegehren nur noch formal prüfen, nicht inhaltlich.

In der Praxis hätte ich keine Probleme für Otto-Normalverbraucher erwartet, aber nun überlegt mal, wieviel uns unbekannte Gesetze und Rechtsauffassungen es durch die neuen EU-Staaten gibt. Wir können die nicht kennen, und für die Staaten sei es auch nicht erfüllbar, sie zu vereinheitlichen (so der Prozeßvertreter der Bundesregierung!). Aber wir könnten bei Verdacht jederzeit ausgeliefert werden und hätten keinen örtlichen Richter mehr, könnten uns nur noch per Dolmetscher verteidigen, etc.

Ich will nicht unterstellen, daß dies die Absicht des Gesetzes war, aber in der Folge hätte es dazu führen können, daß jeder, der sich nach Ansicht seines Gegners zu weit exponiert, Gefahr liefe, durch irgendein Gesetz, das er nicht kennen kann, außer Verkehr gezogen zu werden. Wußtest Ihr z.B., daß es noch gar nicht lange her ist, daß in Griechenland Mitarbeiter eines christlichen Hilfswerks (Jugend mit einer Mission, die sind auch bekannt durch ihr medizinisches Hilfsschiff "Mercy") vor Gericht standen, weil Sie von ihrem Glauben berichteten? "Prosyletentum" stand damals in Griechenland unter Strafe, der Prozeß wurde allerdings auf politischen Druck hin nicht fortgeführt. Aber der Fall zeigt, daß es im Ausland Gesetze gibt, die für andere alles andere als selbstverständlich sind. Daß wir uns in diesen Ländern dennoch danach richten müssen, ist klar - alles andere als klar ist aber der Wunsch der Bundesregierung, daß wir auch als Deutsche aus Deutschland an Drittländer auszuliefern sind, wenn wir nach dortigen Gesetzen verdächtig sind (zwar theoretisch begrenzt auf bestimmte Arten von Delikten, aber dennoch sehr umfassend, mehr kann ich auf Wunsch nachreichen. "Prosyletentum" gehört nicht dazu, es sollte nur veranschaulichen, wie überraschend die Gesetze selbst im westlichen Ausland sein können).

So, genug aufgeregt. ;-)

Danke, liebes Verfassungsgericht, für diese klare Entscheidung.

Gruß

Johannes



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