Re: feststehende Prophezeiungen vs. freier Wille

Geschrieben von Johannes am 23. Dezember 2004 01:20:04:

Als Antwort auf: @Johannes: feststehende Prophezeiungen vs. freier Wille geschrieben von Templar am 22. Dezember 2004 14:21:51:

> Sind sie das? Wie wäre es denn, wenn Prophezeiungen viel eher dazu angetan
> wären, darauf hinzuweisen, dass im Rahmen kollektiver Strömungen apokalyp-
> tisches Potential gegeben ist? Was wäre dann Sinn und Zweck von Prophezei-
> ungen?


Hallo Templar,

müssen Prophezeiungen einen Sinn haben?

Okay, ich denke schon, daß sie einen Sinn haben. Aber ich stelle diese Frage, weil es nicht an uns liegt, den Prophezeiungen Sinn zu geben, sondern an den Prophezeiungen selbst. Wenn ich den Prophezeiungen einen Sinn zu geben versuche, den sie im Einzelfall nicht haben, dann kommt nur Unsinn heraus.

Was ist der Sinn des Wetterberichts? Die Sonne oder den Regen zu verhindern, der vorhergesagt wird? Nein, im allgemeinen ist der Sinn nur, daß Du Dich passend anziehen kannst. Das Wetter wird so oder so kommen und die Frage ist nur, wie es Dich trifft. Was ist der Sinn, bei Hochwasser vor dem Bruch eines Staudamms zu warnen? Wenn er mit dem Aufruf an alle verbunden ist, mit Sandsäcken zu kommen, dann ist der Sinn die Verhinderung der Überflutung. Sagt er dagegen "sofort raus aus diesem Gebiet!", dann ist der Sinn, daß der Einzelne reagiert und gerettet wird, aber die Überflutung wird kommen, ganz egal ob oder wie Du reagierst. Mit allen Zwischenstufen - aber den Sinn kann nicht ich als Zuhörer definieren, sondern ich muß darauf achten, was die (Wetter)Prophezeiung selbst von sich sagt.

Ich möchte hier mal etwas einfügen, das nicht aus diesem Forum ist, um den Punkt vielleicht noch deutlicher zu machen:

Man kann sich hier drüber unterhalten, ob es quasi vorherbestimmt war, daß der Gurtmuffel gewarnt wird. Diese Frage ist dann relevant, wenn es darum geht, wieviel Details man sehen kann.

Du kannst z.B. annehmen, die Entscheidung des Gurtmuffels sei völlig offen gewesen, nicht vorhergesehen. Dann wäre nur der Unfall an sich bekannt gewesen und der Fahrer konnte selbst beeinflussen, ob er das überlebt oder nicht. Nun, da er überlebt hat, wird das Schicksal seiner Familie sicher anders sein, als wenn er weiter Gurtmuffel geblieben wäre.

Aber so ist das auch bei Wahlen und einer echten, ehrlichen Umfrage. Die sagt Dir das Ergebnis nämlich nahezu perfekt voraus. Dennoch hat jeder die völlige Wahlfreiheit und kann sich im letzten Moment noch umentscheiden. Und dieser Entscheidungsprozeß und die Diskussionen dazu können das Leben von einigen Leuten durchaus verändern. Aber daran, daß das Wahlergebnis sehr genau bekannt ist, wird das nichts ändern. Es ändern sich nur die Einzelschicksale, nicht der große Rahmen.

Da ich nicht selbst Seher bin, betrachte ich diese Fragen mehr von außen, vielleicht auch mathematisch nüchtern. Und da sehe ich, daß die Rahmenhandlung selbst mit menschlichen Möglichkeiten vorausgesehen (besser: vorausberechnet) werden kann, aber nicht die Details. Umgekehrt kann ich mir aber denken, daß man die Reaktion eines Menschen sehr wohl voraussagen kann, wenn man alle Parameter kennt, die zu seinen Entscheidungen führen. Jemand, der über uns steht und dafür genügend "Rechenkapazität" hat (Gott), der kann also auch Detailereignisse im voraus wissen.

Die Prophezeiungen, von denen ich gehört habe, beziehen sich in der Praxis aber immer entweder auf die Rahmenhandlung oder auf die Details für eine Einzelperson ("Du solltest den Gurt anlegen"), nicht auf beides. Dies macht auch Sinn, da wir solche komplexen Voraussagen als Menschen auch gar nicht richtig erfassen/auswerten könnten, und so bleibt es bei dieser Unschärfe, daß uns eben nie alles bekannt ist.

Ich denke also, es wäre falsch, mit einer vorgefertigten Auffassung ("kann sich alles ändern und es wird schon nicht so kommen") an die Prophezeiungen heranzugehen. Hätte der Gurtmuffel geglaubt, es reiche, im Straßenverkehr nur etwas mehr aufzupassen, dann wäre er heute tot, denn der Unfall an sich war vorher bekannt. Offen war aber, ob er den Unfall überlebt. Und er konnte ihn überleben, weil er die Schauung ernst nahm

Die große Frage ist für mich also nicht, ob die Schauung des "Unfalls" (um beim Beispiel zu bleiben) änderbar ist. Der kommt, offen sind nur die persönlichen Folgen für mich. Die große Frage ist eine andere: Wie unterscheide ich echte Schauungen von den eigenen Gedanken und Interpretationen des Sehers? Wie kann ich also erkennen, ob eine gegebene Prophezeiung die Beschreibung der in diesem Teil bekannten Zukunft ist oder ob sie nur eine Warnung darstellt, daß es so kommen könnte?

Es gibt beides. Und es ist wichtig, daß wir beides unterscheiden. Die Frage, wie man das unterscheidet, die haben wir aber bisher im Forum noch viel zu wenig besprochen.

Viele Grüße

Johannes



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