Frankreich im Schatten von Amerikas Sieg
Geschrieben von Hubert am 10. April 2003 14:28:35:
Hallo zusammen,
ein Freund, der hier zwar regelmäßig mitliest, aber noch nicht zu den Stammpostern zählt, schickte mir nachstehenden Artikel aus der NZZ, den ich Euch nicht vorenthalten möchte. Ich denke, Burgwart und DaveRave werden sich ganz besonders darüber freuen:
10. April 2003, 02:05, Neue Zürcher ZeitungFrankreich im Schatten von Amerikas Sieg
Konsultationen mit den BritenDie rasche Einnahme Bagdads und das sich
bereits abzeichnende Kriegsende im Irak veranlassen
die Diplomatie Frankreichs zu beinahe verzweifelten
Versuchen, mit dem Pochen auf eine wichtige
Rolle der Uno etwas Einfluss zurückzugewinnen.
Es ist noch keinerlei Wiederannäherung an
Washington zu verzeichnen.Die rasche Einnahme von Bagdad durch die
Amerikaner hat Frankreichs Diplomatie zu
verdoppelten Anstrengungen veranlasst, um
sich wieder ins Kräftespiel nach dem Krieg
zu bringen. Präsident Chiracs überraschend
angekündigte Teilnahme an dem ursprünglich
nur als deutsch-russischer Gipfel konzipierten
Treffen von Bundeskanzler Schröder und Präsident
Putin mutet geradezu als ein Versuch an,
aus dem Trio der bisherigen Kriegsgegner
ein «Lager für die Uno» zu machen. Dass Uno-Generalsekretär
Annan dem Stelldichein in St. Petersburg
fernzubleiben gedenkt, schien jedoch zugleich
anzudeuten, dass er sich nicht für den französischen
Kurs einer weiteren Herausforderung Washingtons
einspannen lassen möchte.«Markante» Rolle für die Uno
Während Chirac kurz zuvor noch immer für
eine «zentrale» Rolle der Vereinten Nationen
beim Wiederaufbau des Iraks plädiert hatte,
sprach Aussenminister de Villepin am Mittwoch
im Anschluss an ein Arbeitsfrühstück mit
seinem britischen Amtskollegen Straw in Paris
nur noch von der Forderung nach einer «markanten»
Rolle für die Weltorganisation. Tags zuvor
hatte Präsident Bush gegenüber Premierminister
Blair in Belfast der Uno bloss eine nicht
näher definierte «vitale» Rolle zugestanden.Die Zeiten seien vorbei, da ein oder zwei
Staaten allein über das Schicksal eines anderen
Landes entscheiden könnten, hatte Chirac
im Elysée nach einem Treffen mit dem Uno-Hochkommissar
für Flüchtlinge, Lubbers, verkündet. Zwar
räumte er ein, dass in einer ersten Phase
der Retablierung der Sicherheit im Irak den
Amerikanern und Briten die primäre Verantwortung
zufalle. Hernach verfügten jedoch einzig
die Vereinten Nationen über die notwendige
Legitimität zur Übernahme der Verantwortung
für den Wiederaufbau in politischer, wirtschaftlicher,
humanitärer und administrativer Hinsicht.
Nicht nur im Irak, sondern in der ganzen
seit langem traumatisierten Region gelte
es, die Stabilität wiederherzustellen. Die
Klugheit gebiete es, dass dabei die Vereinten
Nationen die zentrale Rolle spielten, wiederholte
der französische Staatschef.
Mit dieser These widersprach Chirac zugleich
der Vereinbarung von Premierminister Blair
und Präsident Bush am Gipfel von Belfast,
wo eben mit dem Zugeständnis einer «vitalen»
Rolle an die Uno die Weltorganisation nur
als eine unter zahlreichen anderen Organisationen
von den Alliierten ins Auge gefasst wurde,
die sich vor allem mit humanitären Aufgaben
im Zweistromland befassen soll. Grossbritannien
nimmt gegenwärtig eine wichtige Brückenfunktion
zwischen Washington und Europa wahr und erfüllt
damit eine Mission, von der Frankreich nur
noch träumen kann. Aussenminister Straw informierte
seinen Amtskollegen Villepin über das Ergebnis
von Blairs Treffen mit Bush. Auf britischer
wie französischer Seite stach der Wille ins
Auge, nach den «schwierigen Wochen» vor Kriegsbeginn
zu einer Wiederannäherung zu finden; dabei
sei allerdings der Dialog nie abgebrochen
worden, beteuerte jetzt Villepin. Bezeichnenderweise
wurde nun allerdings nicht Straw, wohl aber
der tunesische Aussenminister im Elysée von
Präsident Chirac empfangen.Befreiung und Anführungsstriche
Der französische und der britische Aussenminister
stimmten im Wunsch nach einem möglichst raschen
Kriegsende überein. Beide riefen zudem zu
dringlicher Hilfe angesichts der Notlage
der Menschen im Irak auf. In französischer
Optik war es den Briten nicht gelungen, in
Belfast die Amerikaner zur Wiedereinschaltung
der Uno im gewünschten Umfang zu überreden.
Dass Washington sich nicht erneut einer systematischen
Quertreiberei Frankreichs aussetzen will,
ist allerdings mehr als begreiflich. Straw
versicherte nun in Paris, dass der Irak bald
eine demokratische Regierung erhalten solle,
dies aber nicht von heute auf morgen geschehen
könne.Der Leiter der britischen Diplomatie wies
auch an der Seine jederlei Absicht einer
Etablierung eines spätkolonialen Protektorats
im Zweistromland weit von sich. Es handle
sich vielmehr um einen Krieg zur Befreiung
des Iraks. In der vielfach von Missgunst,
Skepsis und auch Angst gekennzeichneten Haltung
Frankreichs fehlt völlig das Verständnis
für eine solche Motivation. «Le Monde» setzte
beispielsweise im Titel eines Artikels, der
die Erleichterung der Iraker, aber auch Plünderungsszenen
in Basra beschrieb, das Adjektiv «befreit»
in Anführungsstriche; dieselbe Zeitung hatte
vor genau 28 Jahren den Einmarsch der Roten
Khmer in Phnom Penh als Befreiung ohne Anführungsstriche
gefeiert.Wetterfahnen im drehenden Wind
Im Grossteil der französischen Medienberichterstattung
über den Krieg dreht sich nun der Wind. Bisher
machten Amerikaner und Briten bei ihrem Blitzkrieg-Vorstoss,
der aus französischer Optik nur zögerlich
vorankam, stets auf erbitterten Widerstand
stiess und geradewegs auf den Sumpf eines
neuen Vietnam-Krieges zusteuerte, beinahe
alles falsch. Die Schreibtischstrategen,
von denen viele in ihrem Leben keinen einzigen
scharfen Schuss gehört haben, kamen kaum
mehr zu Rande bei dem Versuch, ihre sich
immer rascher als Irrtum herausstellenden
Prognosen zu korrigieren. Vollends zu Wetterfahnen
wurden die meisten Kommentatoren Frankreichs
degradiert, als sie nun sogar den Alliierten
zujubelnde Iraker vermelden mussten.Vorangegangene Schadenfreude oder gar Gehässigkeit
gegenüber den Alliierten sind nun weitgehend
verschwunden. Wieder einmal bewahrheitet
sich Clemenceaus geflügeltes Wort, dass der
Sieg viele Väter habe, die Niederlage jedoch
ein Waisenkind sei. In Frankreich, wo einstmals
nach dem Zusammenbruch von Napoleons Reich
ein umfangreicher «dictionnaire des girouettes»
über alle Wetterfahnen-Politiker veröffentlicht
worden war, erklärte schon vor einigen Jahrzehnten
der als besonders opportunistisch geltende
ehemalige Ministerpräsident Faure, nicht
die Wetterfahne, sondern der Wind drehe sich.Allzu viele Franzosen erwarteten nun, nachdem
ihre geheimen Hoffnungen auf ein Scheitern
der amerikanisch-britischen Koalition zerschellt
seien, eine «Libanisierung» des Iraks oder
dessen Umwandlung in ein gewaltiges Chaos
wie im Gazastreifen, kritisierten fünf Abgeordnete
der Regierungspartei, unter ihnen der Deputierte
Lellouche, die schon vor Wochen vergeblich
gegen Chiracs Kurs der Konfrontation anrannten.
Nachdem das grosse Katastrophenszenario sich
als falsch herausgestellt habe, gelte es
nun, möglichst rasch das Band zu Frankreichs
traditionellen Alliierten wiederherzustellen,
plädierten sie nun in einem Aufruf im «Figaro».
Dramatische EinflusseinbusseNoch ist nicht klar, ob Chirac diesen Weg
zu beschreiten gedenkt. Das Pochen auf eine
vorrangige Rolle der Uno, welche offensichtlich
nicht zuoberst im Kalkül Washingtons rangiert,
mutet dazu ebenso wenig geeignet an wie die
mit dem Treffen von St. Petersburg beabsichtigte
Bekräftigung des Zusammenspannens mit Russland
und Deutschland. Amerika hat mit seinem Feldzug
im Irak unter anderem Frankreich weitgehend
ausmanövriert; dessen Anspruch auf weltpolitische
Mitsprache steht nun allen offenkundig und
wie nie zuvor seit Gründung der Fünften Republik
in einem krassen Missverhältnis zu seinem
tatsächlichen Einfluss auf den Gang der Ereignisse.
- Tausende wie vom Erdboden verschluckt einniemand 10.4.2003 17:56 (8)
- Re: Tausende wie vom Erdboden verschluckt Burgwart 10.4.2003 20:57 (0)
- Re: Tausende wie vom Erdboden verschluckt Kamikatze 10.4.2003 18:17 (6)
- Re: Tausende wie vom Erdboden verschluckt einniemand 10.4.2003 18:33 (5)
- Re: Tausende wie vom Erdboden verschluckt katzenhai2 11.4.2003 00:22 (2)
- Re: Das ist das ganze Jahr so XI 11.4.2003 12:09 (0)
- Re: Tausende wie vom Erdboden verschluckt katzenhai2 11.4.2003 00:24 (0)
- Re: Tausende nach Hause. Guerrero 10.4.2003 20:39 (1)
- Re: Tausende nach Hause - sinnvoll Mirans 10.4.2003 22:00 (0)
- Re: Frankreich im Schatten von Amerikas Sieg Burgwart 10.4.2003 15:35 (20)
- Na ja, sicher, aber Moral ist schon auch ein Argument, Georg 10.4.2003 17:07 (1)
- Re: Na ja, sicher, aber Moral ist schon auch ein Argument, Burgwart 10.4.2003 17:17 (0)
- Re: Frankreich im Schatten von Amerikas Sieg DaveRave 10.4.2003 16:21 (8)
- Re: Frankreich im Schatten von Amerikas Sieg Burgwart 10.4.2003 17:02 (7)
- Mal wieder ein Geschichtsvergleich franke43 11.4.2003 08:02 (2)
- Re: Mal wieder ein Geschichtsvergleich Burgwart 11.4.2003 14:07 (1)
- Schlagwörter lösen die Probleme nicht franke43 11.4.2003 14:27 (0)
- Re: Frankreich im Schatten von Amerikas Sieg DaveRave 10.4.2003 17:13 (3)
- Re: Frankreich im Schatten von Amerikas Sieg Burgwart 10.4.2003 17:27 (2)
- Nee, Hubert liest auch meine Postings ;-) Bonnie 10.4.2003 18:45 (1)
- Re: Nee, Hubert liest auch meine Postings ;-) Hubert 10.4.2003 21:13 (0)
- Qualis mutatio rerum franke43 10.4.2003 15:55 (8)
- Re: Qualis mutatio rerum Kamikatze 10.4.2003 16:47 (2)
- Re: iiiihhhhuuuhhhh.... bumm ahlfi 10.4.2003 16:54 (0)
- Re: Qualis mutatio rerum DaveRave 10.4.2003 16:54 (0)
- Re: Qualis mutatio rerum DaveRave 10.4.2003 16:23 (3)
- Kleiner Hinweis franke43 10.4.2003 16:27 (2)
- Re: Kleiner Hinweis DaveRave 10.4.2003 16:33 (1)
- Re: Kleiner Hinweis Burgwart 10.4.2003 17:10 (0)
- Re: Qualis mutatio rerum Burgwart 10.4.2003 16:12 (0)
- Danke, ich kenne den Artikel... DaveRave 10.4.2003 15:07 (3)
- Re: Danke, ich kenne den Artikel... Hubert 10.4.2003 15:15 (2)
- Re: Danke, ich kenne den Artikel... DaveRave 10.4.2003 17:18 (1)
- Re: Danke, ich kenne den Artikel... Hubert 10.4.2003 19:58 (0)
- Es geht wohl ums Öl - Elff Konzern? Georg 10.4.2003 14:38 (0)