Halabja

Geschrieben von Swissman am 19. März 2003 02:09:37:

Als Antwort auf: Re: SADDAM MUSS WEG !!! Europas Zerfall!!! geschrieben von JeFra am 18. März 2003 02:11:20:

Hallo JeFra,

>Das Giftgasmassaker an den irakischen Kurden wird übrigens gelegentlich nicht Saddam Hussein zur Last gelegt, sondern auf einen Irrtum der iranischen Truppen (also 'collateral damage') zurückgeführt. Da ich die entsprechende Quelle nicht mehr auftreiben kann und mir ohnehin die Fachkenntnisse auf diesem Gebiet fehlen, stelle ich die Bemerkung hier nur in den Raum, in der Hoffnung, daß Swissman mehr darüber weiß.

Ich gehe davon, dass Du Dich auf den C-Waffeneinsatz in Halabja beziehst: Tatsächlich verlief die Frontlinie damals in der Nähe von Halabja, und die iranische Armee trug im fraglichen Abschnitt einen Angriff vor (der 1. Golfkrieg wurde zwar schwergewichtig im südlichen Schwemmland von Tigris und Schatt el-Arab ausgetragen, jedoch unternahmen beide Seiten zwecks Bindung feindlicher Reserven gelegentliche Angriffe im Nordabschnitt).

Einer der ersten Journalisten, die Halabja nach dem C-Waffen-Einsatz betraten, war Arnold Hottinger, der damalige Nahost-Korrespondent der NZZ. Dieser hielt sich zu diesem Zeitpunkt im Iran auf, und betrat Halabja kurz nachdem es von iranischen Truppen eingenommen worden war.

Die Interpretation, Halabja sei aufgrund eines Irrtums angegriffen worden, höre ich zwar zum ersten Mal, ich würde sie aber nicht von vornherein ausschliessen - nach Lage der Dinge erscheint es durchaus möglich, dass ein nervöser irakischer Kommandeur fälschlicherweise von einem Durchbruch grösserer iranischer Verbände ausging und entsprechende Gegenmassnahmen in die Wege leitete.

Man muss sich allerdings bewusst sein, dass Saddam Hussein nicht nur in Halabja Chemiewaffen gegen die Kurden einsetzte: Während des 8-jährigen Krieges gegen den Iran galt seine Aufmerksamkeit zwangsläufig in erster Linie dem Iran (wobei er sich schliesslich glücklich schätzen musste, schliesslich wenigstens ein knappes Unentschieden herausgeholt zu haben).

In der Zwischenzeit waren grosse Teile Kurdistans, insbesondere im Grenzgebiet zum Iran, faktisch der Kontrolle der Zentralregierung entglitten. Dabei wurden die Kurden von zumindest zwei Mächten mit Waffen und Beratern unterstützt: Die eine Macht war (naheliegenderweise) der Iran, die andere war Israel, welches verdeckt die Kurden wie auch den Iran belieferte, um dem gemeinsamen Feind Saddam Hussein eins auszuwischen ("Der Feind meines Feindes ist mein Freund").

Nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes mit Teheran rechnete Saddam Hussein mit den Kurden im grossen Stil ab: Dabei wurden u. a. dutzende Dörfer mit Giftgas angegriffen, entlang der Grenze zum Iran wurde ein mehrere Kilometer breites Niemandland geschaffen, in welchem sämtliche Siedlungen vernichtet und die Bewohner teilweise massakriert, teilweise "umgesiedelt" wurden.

Während der Angriff auf Halabja möglicherweise tatsächlich als Kollateralschaden durchgehen kann (mangels zuverlässiger Informationen kann und werde ich die Frage nicht abschliessend beantworten), trifft dies auf die (Giftgas-)Kampagne, die Saddam nach Beendigung des Golfkriegs gegen die Kurden in Gang setzte, mit Sicherheit nicht zu. Zumindest in diesem Fall handelt es sich eindeutig um ein Kriegsverbrechen.

Abschliessend sei mir die Feststellung gestattet (auch wenn ich mich damit bei manchen unbeliebt machen werde), dass ich C-Waffen (dasselbe gilt auch für Nuklearwaffen) nicht grundsätzlich ablehne: A- und C-Waffen haben in bestimmten Situationen durchaus ihre Berechtigung.

Unter gar keinen Umständen gerechtfertigt ist es hingegen, absichtlich Gewalt gegen Zivilisten auszuüben (Kollateralschäden gehören hingegen in eine andere Kategorie - tragisch, aber letztlich niemals mit letzter Sicherheit auszuschliessen).

mfG,

Swissman


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