So ist es (Schauungen & Prophezeiungen)

RichardS, Sonntag, 10.01.2010, 14:59 (vor 5245 Tagen) @ detlef (5114 Aufrufe)

Das Wandgemälde in dem Prager Hotel ist zwar auch offensichtlich

jüngeren

Datums, aber in einem Stil gemalt, der in den ersten Jahrzehnten des
letzten Jahrhunderts aufkam und seitdem viele Nachahmer und

Fortentwickler

(ohne das jetzt abwertend zu meinen) fand. Sehr entfernt erinnert das

Bild

an den Stil, den einst Kokoschka entwickelte.
Über die Lupenfunktion ist die Plakette lesbar, die rechts unten neben

dem

Bild an die Wand montiert ist. Darauf steht:
Norbert Fritsch, "Prager Kaleidoskop", 2001

aber wirklich nur seeehr entfernt zu kokoschka. waehrend kokoschka als
bevorzugte technik mit dick aufgetragenen einzelnen farbklecksen kleiner
pinsel arbeitete, hat der hier einen recht langen pinselstrich.
ausserdem, wenn man sich die mitte und die rechte seite des bildes
ansieht, liegt die vermutung nahe, dass dort weitere, bereits gemalte
meteore wieder geloescht/uebermalt wurden.
DAS waere kokoschka nie passiert.

zugegeben, man kann sie beide als expressionisten bezeichnen.

gruss,detlef

ja, wie ich schon schrieb: sehr entfernt. Mit "Stil" meinte ich übrigens nicht nur das Handwerkliche, sondern auch die Art des Ergebnisses, auch die Atmosphäre und Austrahlung des Bildes. Es erinnerte mich tatsächlich - intuitiv - an Kokoschka, auch an dessen Städtebilder; nervöse und dennoch energische Pinselführung, die Farben und Formen in Bewegung und "Aufruhr". Und, um aus einem Vorwort eines Kunstbands zu Kokoschka einen Satzbrocken zu zitieren: "... auch im internationalen Vergleich zeichnete sich der Künstler bereits damals durch eine eigenartig ambivalente Stellung aus: seinen endzeitlichen Porträts einer moribunden Gesellschaft (...) gleichermassen ein zukunftsweisendes, visionäres Moment..." Eben diese Atmosphäre schlägt mir auch in dem "Prager Kaleidoskop" des Norbert Fritsch entgegen, ohne ihn in seiner handwerklichen Kunst oder technischen Ausgereiftheit damit auf eine Stufe mit Kokoschka stellen zu wollen. Dachte, dass hätte ich in meinem zurückhaltenden Kommentar sehr deutlich gemacht.
Ohne Zweifel besäße ich lieber ein Kokoschka- denn ein Fritsch-Bild!
Zuguterletzt aber doch ein Lob meinerseits (obwohl es immer schwierig ist, von einer Reproduktion, egal ob digital oder auf Papier, auf die Qualität des Originals zu schließen - meine Erfahrung ist sogar, dass gute Bilder in ihren Reproduktionen schlechter wirken, nicht so gute oder ausgesprochen schlechte Bilder in ihren Reproduktionen dagegen oft besser als im Original): Fritsch scheint mir kein bloßer Epigone zu sein, jedenfalls kommt er über Stilmittel, die durchaus seit Jahrzehnten leider viel zu inflationär im gutgemeinten Kunstschaffen angewendet werden, zu einem Bild-Ergebnis, das etwas "sichtbar" macht, was einen nicht los lässt, ein zweites und drittes Mal hinschauen lässt - und damit meine ich nicht nur die drei überwiegend gelben Farbschwünge im oberen linken Eck. Das ist zugegeben eine subjektive (anders geht's ohnehin nicht) und so hingeschrieben eine unbegründete Behauptung. Aber Ceripho scheint es bei dem Bild ähnlich zu gehen, weshalb er es uns schickte. Und ich hoffe, ihm bei seinem Wunsch, über den Künstler was rausgefunden zu haben, zumindest etwas geholfen zu haben.
(Das Bild beeindruckt mich jedenfalls mehr als die offenkundig apokalyptischen Bilder des Sibiriers Alexius - dessen Bilder geben mir jede seiner Phantasien bis zum letzten i-Tüfelchen vor, da fühle ich mich geistig wie sinnlich eingesperrt, da bleibt mir kein Freiraum, in ihnen spazieren zu gehen und etwas Drittes, nicht offenkundig Hingemaltes, wahrzunehmen, zu erahnen.)

Zu:
waehrend kokoschka als bevorzugte technik mit dick aufgetragenen einzelnen farbklecksen kleiner pinsel arbeitete

Das kann ich in dieser Einseitigkeit nicht bestätigen.

Zu:
hat der hier einen recht langen pinselstrich

Sicher.

liegt die vermutung nahe, dass dort weitere, bereits gemalte meteore wieder geloescht/uebermalt wurden.
DAS waere kokoschka nie passiert.

Wenn es stimmte, wäre es ein Unterscheidungsmerkmal, jedoch ohne Aussagekraft hinsichtlich der Qualität. Man denke an Maler wie Picasso, Miro und viele viele andere. Das Können kann da u.a. auch darin bestehen, das, was man hinmalte, (partiell) auch zerstören zu können (den Mut und den Blick dafür zu haben) und durch Neues zu ersetzen und genau darüber "das Bild" - das Eigentliche - zu finden. Es kann sogar ein Stilmittel sein, diesen Prozess nicht zu verheimlichen, sondern für den Betrachter des fertigen Bildes sichtbar zu lassen. Wie es für einen Künstler ein ungeheurer Reiz sein kann, sich auf diese Weise selber zu überraschen, wohin einen der eigene Prozess führt. Das ist auch eine Möglichkeit, die eigene Beschränktheit (die eigene anfängliche Vorstellungskraft) zu übertölpeln, sozusagen über sich hinauszuwachsen (um im Bild zu bleiben).
Das ist beim Malen sicher nicht anders als beim Komponieren oder beim Schreiben, auch dem künstlerischen.

Gruß
Richard


Gesamter Strang: