Re: Glückliches Glück für die Rosa Hasis

Geschrieben von Johannes am 15. Januar 2005 21:01:15:

Als Antwort auf: Glückliches Glück für die Rosa Hasis geschrieben von BBouvier am 15. Januar 2005 00:24:54:

> Ganz wichtig: Man muss die Zeitungen beherrschen und niemals, niemals!
> durchsickern lassen, dass es in Deutschland bis 1914 praktisch keine Steuern
> gab, ausser für die ganz Reichen.
> (Sonst fliegt der ganze Schwindel nämlich auf.)

Hallo BB,

wenn man sich fragt, wie Deutschland sich dann finanziert hat, vielleicht sollte man dann auch man an die Ausbeutung der Kolonien denken, die uns billige Rohstoffe beschert haben? Dumme Sache, die müssen wir jetzt kaufen - vielleicht doch ein paar Kolonien anschaffen, um die Steuern wieder zu senken?

Und es ist keineswegs so, daß Otto-Normalbürger damals keine Steuern bezahlt hat, lediglich die direkte allgemeine Besteuerung wurde erst später eingeführt. Es gab aber Salzsteuer, Branntweinsteuer, ..., ganz früher auch Back- und Schlachtsteuern, es mußten für verschiedene Dinge Stempelmarken gekauft werden - auch das sind Steuern, die der kleine Mann selbst zahlen oder mittragen mußte. Genauso wie die Importzölle, die damals noch üblich waren und über die Preise bezahlt wurden.

Wenn man sich fragt, warum damals der kleine Mann keine oder kaum direkte Steuern zahlen mußte, dann sollte man sich ebenfalls fragen, wie leistungsfähig er denn überhaupt war. Nein, der hatte nicht die 37,5 Stunden Woche, der war froh, wenn er überhaupt eine Arbeit hatte, und seien es 60 Stunden für einen Hungerlohn. Es gab ein riesiges Arbeiterproletariat, von dem schlichtweg nichts zu holen war. Dies hat sich aber geändert, so daß auch der Arbeiter meist ein Einkommen hat, von dem Steuern zu zahlen sind.

Der Grund ist aber nicht unbedingt Edelmut des Kaiserreichs, sondern zum einen erheblich weniger Leistungen (Suppenküche statt Sozialhilfe; wer hätte damals von allgemeiner Hochschulbildung träumen können?), zum anderen eine andere Einkommensverteilung, daneben die billigen Einfuhren aus den Kolonien und die Einnahmen aus den Zöllen. Die Schere zwischen Arm und Reich war extrem, und vor allem gab es ein großes Arbeiterproletariat bzw. Gesinde in der Landwirtschaft.

Also, bevor jemand davon träumt, wie wenig Steuern man damals, in der guten alten Kolonialzeit, zahlen mußte, der sollte auch mal überlegen, was der durchschnittliche Nichtzahler damals für einen Lebensstandard hatte. Und ihn vergleichen mit dem Lebensstandard, den man heute hat, wenn man nur bis zur steuerfreien Verdienstgrenze verdient.

Vielleicht mag Detlef ja auch ein wenig erzählen, wie hoch das Einkommen ist, wenn nicht soviel vom Staat getan wird? Auf der einen Seite erwürgt uns der Staat hier auch fast, auf der anderen Seite haben die staatlichen Leistungen und Hilfen eine Effektivität geschaffen, die uns auch einen Lebensstandard weit über dem z.B. in Paraguy bringt. Und so könnte ich mir vorstellen, daß man mit dem Durchschnittsverdienst der Landbevölkerung oder eines Arbeiters in Paraguy auch quasi keine Steuern zahlt (Detlef, stimmt das?), aber eben bei viel geringerem Lebensstandard viel mehr arbeiten muß.

Wir könnten heute einiges verbessern, aber wenn wir von den damaligen "steuerfreien" Zeiten schwärmen, dann sollten wir uns auch klarmachen, was das bedeutet hat.

Gruß

Johannes


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