Re: Paradigmawechsel: Informationszeitalter

Geschrieben von HotelNoir am 11. Oktober 2003 09:35:34:

Als Antwort auf: Re: Paradigmawechsel: Informationszeitalter geschrieben von Andreas am 10. Oktober 2003 22:04:07:

>O.K., ich sehe worauf Du hinaus willst. Ich möchte einmal wiederholen, dass meine scheinbare Sturheit nicht mit Uneinsichtigkeit oder "Aggressivität" zu verwechseln ist. Ich liebe die Diskussion und das Argumentieren um einen Standpunkt, doch ich bin bereit, mich geschlagen zu geben, wenn ich einsehe, dass ich unrecht habe. Ich gebe erstmal zu, dass die ganze Informationsrevolution sicher nicht mein "Spezialgebiet" ist - weder in technischer noch in kultureller Hinsicht.

>Zu einem gewissen Grade sind Deine Einwände berechtigt. Es stimmt, dass die Erfindung der Schrift, des Papiers und später des Buchdruckes die Voraussetzung für Wissenschaft und die industrielle Revolution waren. Die Kulturtechnik des Lesens und Schreibens ermöglichte schon seit jeher den Aufbau einer Bürokratie und einer modernen Armee, den raschen Austausch und die Speicherung von komplexen Informationen. Ich weiss nichts über den Alphabetisierungsgrad der verschiedenen Gesellschaften über die Zeit aber sehr wahrscheinlich dürfte die sukzessive und grossflächige Alphabetisierung der westlichen Gesellschaften im 18. und 19. Jahrhundert einen entscheidenden Einfluss auf die Fähigkeit zur globalen Machtprojektion der betreffenden Länder gehabt haben.
>Doch wie sieht es heute aus? Wie die PISA-Studie gezeigt hat, beherrscht in Deutschland und der Schweiz ein grosser Anteil der jungen Menschen die Kulturtechniken Rechnen, Lesen und Schreiben in eher zweifelhaftem Masse. Jeder kann einen Computer "anmachen" und surfen, die ganze Welt schwafelt über das Internet, doch wieviele von uns verstehen wirklich, wie diese technischen Systeme funktionieren? Du kannst natürlich einwenden, dass etwa im 19. Jahrhundert auch nur James Watt und ein paar andere Gelehrte wirklich begriffen hätten, wie die Dampfmaschine funktioniert, während das "gemeine Volk" nichts von Physik verstand. Dennoch bleibt es eine wenig beruhigende Tatsache, dass heute ein nicht geringer wenn nicht sogar wachsender Teil der Bevölkerung weder das technische Verständnis noch den Umgang mit den neuen Technologien lernt, ja sogar die alten Kulturtechniken ver-lernt. "Weiche" Fächer wie Medienwissenschaften und "cultural studies" haben massenhaften Zulauf während die "harten" Fächer wie Mathematik und Physik teilweise über Nachwuchsprobleme und Desinteresse klagen.

Ich selber bin auch ein Kulturpessimist, ich sehe die moderne westliche Gesellschaft auf den Kollaps zusteuern. Allerdings scheinen mir Deine (Widdowsons) Thesen von einem mechanistischen Weltbild geprägt, er reduziert den Menschen zu einer relativ simplen Maschine. Das ist mein Eindruck.

>Ich gebe zu, dass ich selbst mit Geschichte ein Fach studiere, die sich - leider [für mich angesichts meiner miserablen mathematischen Fähigkeiten jedoch Gott sei dank] - erfolgreich dagegen gewehrt hat, eine harte empirische Disziplin zu werden und stattdessen ein "weiches", mehrheitlich deskriptives Fach geblieben ist. Auch sind die Computertechnologie und der Begriff "digital" für mich ein Buch mit sieben Siegeln; vielleicht unterschätze ich wirklich die Bedeutung der Informationsrevolution und ich wäre in der Sowjetunion der 30er Jahre mit ihrer kruden "Tonnenideologie" besser aufgehoben als im "Informationszeitalter". Was mich indessen an Deiner Argumentation "stört" ist folgendes:
>a) Du hebst den Begriff "In-forma-tion" zwar schön hervor und erklärst ihn ethymologisch, gehst jedoch nicht auf meine bisher vorgebrachten Argumente nicht gross ein, die da wären:
>- Der Begriff Information ist überaus schwammig. Allein die grössere (Zirkulations-)Menge an teilweise fragwürdiger Information will nichts besagen. Nur weil das Wort "Informationszeitalter" schön klingt, wohnt ihm keine besondere "Magie" inne. Wohllingende Worte allein - wie etwa "Paradigmawechsel" - sind in Ermangelung eines argumentativen Korsetts ebenfalls wenig geeignet, mich zu beeindrucken.

Es geht nicht in erster Linie um die Menge oder den Inhalt, sondern um die Möglichkeiten. Wenn wir uns hier austauschen "verformt" die Information unser Denken völlig losgelöst vom Schund und von der Menge der Daten im Internet. Die Argumentationsstruktur von Dir und Widdowson grenzt m.E. manchmal schon an Ignoranz.

>- Nicht nur die Kulturtechniken an sich (wie die Schreibfertigkeit u. Lesefertigkeit -> Bürokratie etc.), sondern auch ihre technischen Anwendungen (das Rad, der Verbrennungsmotor, der Rechenapparat etc.) führen letztlich zu Innovation.

Die Sichtweise, die Du hier vertritts, ist doch kurzgefasst: Wir verlieren uns in sinnlosem blabla und entwickeln uns darin rückwärts, obwohl wir den gegenteiligen Eindruck haben. Das sehe auch ich als ein Faktor der unsere Zeit prägt, besonders wenn man die Politiker reden hört. Das hat damit zu tun, dass wir alle demokratisiert worden sind. Plötzlich ist jede Mein-ung wichtig und alle dürfen mitreden. So kann man ja nirgends hinkommen! So muss sich eine Gesellschaft ja in Sinnlosigkeiten verheddern, während ein paar Gierige die Orientierungslosigkeit ausnützen und sich am Volk bereichern.

>- Von der Informationsrevolution werden auch die anderen Zivilisationen profitieren. Die Welt wird nicht stillstehen. Der verstärkte globale Austausch wird trotz aller militärischer Geheimhaltung dafür sorgen, dass auch China, Indien, Japan und andere Länder aufholen. Wer meint, wir hätten uns diesbezüglich einen dauerhaften Vorsprung gesichert, der irrt m. E.

Klar, nur wer behauptet sowas?

>- mit dem letzten Punkt zusammenhängend: Auch im Bereich der Informationstechnologie verläuft die Forschung nach rational-wissenschaftlichen Kriterien. Es gibt keine "Wunder", allenfalls unentdeckte Gesetze.

Aufgrund der Informationstechnologie habe ich von verschiedensten unerklärlichen Dingen Kenntnis. Das die Mainstream-Wissenschaft diese nicht akzeptiert, hat politische Gründe. Der Staat will suggerieren die Kontrolle (das Wissen) zu haben.

Grüsse HotelNoir


>Gruss
>Andreas



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