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Unfruchtbare Schlüsselkonstruktionen (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 12.04.2019, 18:18 (vor 1840 Tagen) @ HanSpiel (581 Aufrufe)

Hallo!

Wenn wir über die Zahlen und Chiffren von Nostradamus sprechen, können Sie sich auch an die "Caesar-Chiffre bei der Datierung der Prophezeiungen von Nostradamus" erinnern.

Hinter dem Link lesen wir aber nichts von einer Cäsar-Chiffre.

Laut Frontenac dienen schon der Name von Nostradamus 'Sohn (Caesar) und die Veröffentlichung des Briefes an Cesar als Vorwort zu den Prophezeiungen als klarer Hinweis auf die Verwendung der bekannten Caesar-Chiffre, die auf die Quatrain-Zahlen angewendet werden sollte, um ihre wahre Ordnung wiederherzustellen.

"Klar" ist da noch gar nichts. Wie sehen nur einen Brief, der an einen Sohn Cäsar adressiert ist, den Nostradamus tatsächlich hatte. Allerdings behauptet es Frontenac als vermeintlich "klaren Hinweis", um dem Leser seinen Schlüssel schmackhaft zu machen. In Wirklichkeit ist es nichts weiter als ein Postulat, das auf Namensähnlichkeit beruht.

Das Kriterium für die Korrektheit der Entschlüsselung sollte die Wiederherstellung der korrekten Reihenfolge von offen datierten und astronomischen Quatrains sein, die es uns ermöglichen, die Entdeckung des Schlüssels anzugeben, die dann für die korrekte Platzierung der verbleibenden Quatrains verwendet werden sollte.

Mit anderen Worten kommt es nur darauf an, zu einer bestimmten, mit der Cäsarmethode gebildeten Reihenfolge die sehr vagen und in viele Richtungen interpretierbaren "astronomischen Hinweise" auf passende reale Konstellationen zu projizieren. Das birgt zwei wesentliche Fallgruben:

  • Vermeintlich astronomische/astrologische Hinweise sind nicht stets solche. Vielmehr stehen z. B. Planetennamen (Merkur, Jupiter etc.) oftmals für ihre Namenspatrone (die antiken Götter und die damit verbundenen Mythen) oder für die archetypische Bedeutung, die ihnen in der Astrologie zukommt (Mars für Kampf, Merkur für Handel usw.). Wer hier vorschnell alles als Planeten deutet, geht leicht in die Irre und vermeint Zeitangaben zu sehen, wo eigentlich ein mythologisches Rätsel ist. (Das erinnert an die in der Regel viel zu wörtliche und historisierende Herangehensweise an die Bibel, mit welcher der rationalistische moderne Abendländer an die Überlieferungen alter Kulturen herangeht, weil ihm die intuitive Verständnis abhandengekommen ist.)
  • Eben weil die Verwendung astronomischer/astrologischer Bezüge bei Nostradamus so vage geschieht, besteht die Möglichkeit, solche Hinweise immer irgendwie passend auf reale Konstellationen zu beziehen.

Des weiteren sind "offen datierte" Vierzeiler bei Nostradamus äußerst selten, vielleicht in 1 % der Verse. Sie würden kaum einen Anhaltspunkt bieten die zahlreichen darzwischenliegenen Vierzeiler ohne zeitliche (und ohne astronomische) Angaben ordentlich zu sortieren.

Im wesentlichen scheint die viel zu sehr auf Prak­ti­ka­bi­li­tät* und Berechenbarkeit ausgelegte Grundannahme Frontenacs geeignet zu sein, im großen Stil Zirkelschlüsse zu erzeugen in dem Sinne, daß man sich eine bestimmte Reihenfolge bildet und diese mit angeblich datierbaren Versen zu beweisen sucht, wobei man eben diese Datierbarkeit anhand der eigentlich zu beweisenden Reihenfolge begründet. ⇒ "Diese astronomischen Hinweise müssen sich auf eine bestimmte historische Konstellation beziehen, weil die Versreihenfolge erfordert, daß die Konstellation in einem bestimmten Zeitraum eingetreten ist. Damit ist die Reihenfolge bewiesen." :irre:
Daß sich eine vage, vielfältig interpretierbare Reihe astrologischer Wörter auf eine von (zwangsläufig mehreren) passenden Konstellationen hinbiegen läßt, stellt allerdings kein valides Kriterium dar.

Eine andere Zirkelschlußkonstruktion habe ich bereits bei Ulrich Maichle aufgedeckt. Theorien zu Nostradamusschlüsseln laufen wohl ausschließlich auf solche denklogischen Fallstricke hinaus, die den Erfindern wahrscheinlich häufig selbst nicht auffallen (andernfalls handelt es sich um schamlosen Betrug des Lesers).

*Mit "Prak­ti­ka­bi­li­tät" meine ich das Vorgehen, mit einer Methode "nach Schema F" einen durchschlagenden Erfolg erzielen zu wollen, der quasi mühelos eines der größten Rätsel des Abendlandes, die seit über 450 Jahren ungeknackten Centurien, löst.

Zur gleichen Zeit, als aus späteren Studien (P. Brendamur, P. Ginar, A. Penzensky und anderen) klar wurde, identifizierte Frontenac diese "offen datierten und astronomischen Quatrains", d. er suchte nach dem Schlüssel für das fehlende Schlüsselloch; und die Niederlage auf diesem Weg war vorherbestimmt.

Aus dem Satz geht nicht hervor, was genau aus den späteren Studien Brendamurs, Gibars und Penzenskys klar wurde.

Die vorläufigen Überlegungen von R. Frontenac sind jedoch durchaus wertvoll.

Ohne den ganzen Frontenac (den es wohl gar nicht auf Deutsch gibt) lesen zu müssen: Worin bestehen denn seine vorläufigen Überlegungen, wenn man über das hinausgeht, was in diesem Beitrag angedeutet ist (was recht wenig wäre)?

Mit Hilfe der Karte von Nostradamus und Markov-Ketten treffen viele auch Vorhersagen. Prognosen werden über den Erfolg der Siegerarbeit in Spielautomaten in Deutschland gemacht. Es gab viele Leute, die bestätigen, dass es funktioniert.

Soll das bedeuten, es gibt Leute, die mit Hilfe Nostradamus' Spielautomatenergebnisse vorhersagen wollen? Das klingt absurd.

In vielen Büchern wurden Formeln vorgeschlagen, die die Interpretation eines erheblichen Teils der Quatrains ermöglichen. Der Hauptnachteil dieser Formeln war jedoch, dass sie nicht auf alle Quatrains ausgedehnt werden konnten. Insbesondere befolgen fast alle offen datierten und astronomischen Quatrains diese Formeln nicht. Daher ist die Schlussfolgerung, dass entweder Nostradamus mehrere Chiffren gleichzeitig verwendet, oder die zuvor diskutierten Muster (die wir auf jeden Fall als nicht zufällig betrachten) synchron sind, d. H. außerhalb des Willens der Wahrsagerin umgesetzt.

Der Schlüsselsucher denkt sich jedesmal, wenn seine Chiffre nicht fruchtet, eine weitere Chiffre, um sein Kartenhaus durch ein weiteres wackeliges Konstrukt zu stützen in der Hoffnung, es würde dann stabil werden. Die viel näherliegene Schlußfolgerung, die freilich keinem der Rechenkünstler und phantasielosen Schablonendenker schmeckt, wäre, daß Nostradamus nicht mehrere, einander überlagernde Schlüsselsysteme verwendete, sondern gar keines. Die Quatrains scheinen willkürlich durcheinandergebracht zu sein, was immerhin dadurch gestützt wird, daß bislang kein Versuch, die chronologische Reihenfolge systematisch wiederherzustellen, von Erfolg gekrönt war. Seit einem halben Jahrtausend!

Es scheint durchaus gewisse Ballungen zu geben, zum Beispiel die dichte Aufeinanderfolge von Vierzeilern, die sich auf dasselbe Ereignis oder dieselbe Zeit zu beziehen scheinen, oder Versfolgen, in denen auffällig dieselben Wörter mehrmals verwendet werden. Daraus ergibt sich aber kein System, das sich auf die ganzen Centurien ausdehnen ließe. Die Annahme ist durchaus berechtigt, daß solche Ballungen von Nostradamus willkürlich aber unsystematisch hergestellt wurden oder auf Phasen beruhen, in denen die launenhafte Bevorzugung bestimmter Ausdrucksweisen vorherrschte.

Die Symbole innerhalb der Verse beruhen auf Analogie und Assoziation. Zwar mag es gewisse Muster geben in dem Sinne, daß die Symbole sich auf Vorlagen im kulturellen Schatze beziehen, ihre richtige Deutung im Einzelfall würde sich wohl erst erschließen, wenn man (widersinnigerweise) wüßte, was damit verschleiert werden soll. ⇒ Nostradamus läßt sich wohl eher durch intuitives Querdenken als durch anorganische Systematik lösen und bleibt eine "ewige Baustelle".

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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