Streit um Jalta
Geschrieben von Suchender am 24. Februar 2005 09:03:
22.02.2005
WARSZAWA/RIGA/BERLIN (Eigener Bericht) - In Polen werden die Ergebnisse der Konferenz von Jalta angezweifelt und damit auch die Beschlüsse der Anti-Hitler-Koalition auf Abtretung der Ostgebiete des Deutschen Reiches. Bei ihrem Konferenztreffen in Jalta auf der Krim hatten die Weltkriegssieger 1945 beschlossen, das polnische Territorium nach Westen zu verschieben und die Verluste Warszawas an den östlichen Grenzen mit deutschen Gebieten zu kompensieren. Zugleich verständigten sich die Alliierten in Jalta über europäische Einflusssphären, in deren sowjetischen Bereich u.a. Polen geriet. Jalta sei ,,kein Anfang einer neuen Friedensordnung in Europa, sondern auch der Anfang einer neuen Versklavung in Mittel- und Osteuropa", heißt es unter polnischen Abgeordneten im Europa-Parlament. Scharfe Kritik an der Nachkriegsordnung äußern auch hochrangige Politiker aus den baltischen Staaten. Die Auseinandersetzungen gipfeln in Streitigkeiten über die Teilnahme an den Moskauer Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Die für den 9. Mai geplante Reise der Staatsoberhäupter in die russsische Hauptstadt müsse unterbleiben, da sie einer Anerkennnung des angeblichen ,,Unrechts" von Jalta gleichkomme, argumentieren polnische Außenpolitiker. Die Aktivitäten osteuropäischer Jalta-Kritiker kommen Berliner Revisionsbestrebungen zugute, die auf eine völlige Delegitimierung sämtlicher Deutschlandbeschlüsse der USA, der UdSSR und Großbritanniens abzielen (Potsdamer Abkommen).Mit einem Resolutionsentwurf für das Europaparlament, der die Bestimmungen von Jalta scharf kritisiert, greifen Abgeordnete der konservativen polnischen Partei ,,Prawo i Sprawiedliwo"" (PiS - Recht und Gerechtigkeit) die im Jahr 1945 erfolgte Neu-Festlegung der polnischen Ostgrenze an. Die Europäische Union müsse sich eine neue ,,Sichtweise auf die Geschichte" zu Eigen machen, erklärt der PiS-Europaparlamentarier Wojciech Roszkowski.1) Mehrere polnische Oppositionsparteien fordern gleichzeitig, Staatspräsident Alexander Kwasniewski und Premierminister Marek Belka sollten ihre Teilnahme an den Moskauer Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus absagen. ,,Der 60. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland soll gefeiert werden, aber sicher nicht als Jahrestag der Befreiung von Mitteleuropa oder Polen", erklärt der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski.2)
Gebietskämpfe
Die Forderung des PiS-Vorsitzenden ergeht zum Zeitpunkt deutscher Bemühungen um ,,Umwertung" der Geschichte3) und ist mit den politischen Vorstellungen deutscher ,,Vertriebener" weitgehend vereinbar. Die revisionistischen Organisationen gestehen ,,Unrechtshandlungen" der NS-Aggressoren ein, aber sehen die in Jalta beschlossene ,,Vertreibung" der Deutschen als ein ähnliches Unrecht an. Daraus leiten sie angebliche Rechtstitel ab.4) Widerstände gegen die angestrebte Gleichrangigkeit werden neuerdings mit deutschen Hinweisen auf die Territorialverluste osteuropäischer Staaten unterlaufen, denen ebenfalls das Recht auf Gebietsforderungen zugesprochen wird - zu Lasten früherer UdSSR-Territorien (heute Belarus und Ukraine).5) Das politische Angebot der Berliner Revisionisten stellt die Unterstützung von Gebietskämpfen zwischen den osteuropäischen Nachbarn in Aussicht, sofern die ehemals deutschen Ländereien aus den nationalstaatlichen Hoheiten der Nachkriegsordnung herausgelöst werden (,,Europäisierung"). Erwünscht ist eine erneute Ostverschiebung, der die Erinnerung an den gemeinsamen Sieg der Anti-Hitler-Koalition und an die von ihr beschlossene Westverschiebung im Wege steht.Billigung
Scharfe Kritik an den Moskauer Feierlichkeiten und an der damit verbundenen Rückbesinnung auf die Weltkriegsergebnisse äußern neben polnischen Politikern auch hochrangige Repräsentanten der baltischen Staaten. Das Gedenken am 9. Mai würde Unrechtstaten der Sowjetunion gegenüber Estland, Lettland und Litauen vergessen machen, heißt es im Baltikum. Die Präsidentin Lettlands will zwar an den Moskauer Veranstaltungen teilnehmen, aber dabei die Nachkriegsordnung von 1945 kritisieren. Sie hat, wie die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung mitteilt, darüber bereits ,,Gespräche mit einflußreichen europäischen Politikern" aufgenommen und erwartet die Billigung des geplanten Affronts.6)Skrupellos
Dabei kann die lettische Präsidentin auf Zustimmung von amerikanischer Seite rechnen. US-Präsident Roosevelt sei während der Konferenz von Jalta ,,geistig beeinträchtigt" gewesen und habe daher gegenüber den sowjetischen Verhandlungspartnern ,,kostspielige Irrtümer" begangen, schreibt der ,,Independent" (London) unter Berufung auf die Studie eines ehemaligen FBI-Beraters, die am heutigen Dienstag veröffentlicht werden soll.7) Die Versuche der historischen Delegitimierung der Jalta-Konferenz werden von Moskau zurückgewiesen. ,,Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben, indem man historische Ereignisse aus dem geschichtlichen Zusammenhang reißt, ist skrupellos", heißt es in einer Stellungnahme des russischen Außenministeriums.8)1) PiS przygotowal projekt rezolucji Parlamentu Europejskiego w rocznice zakoczenia wojny; euro.pap.com.pl/cgi-bin/europap.pl?ID=63992
2) ,,Nie wieder Jalta!"; Mitteldeutsche Zeitung 17.02.2005
3) s. auch Gute Geschäfte <./news/article/1105311600.php>
4) s. dazu Eigenständige Außenpolitik <./news/article/1097705291.php>
5) s. dazu Ostverschiebung <./news/article/1065909676.php>, Neue Ostpolitik <./news/article/1083365391.php> und Gemeinsam gegen Moskau <./news/article/1106264436.php>
6) Bewegung in den baltisch-russischen Beziehungen; KAS-Länderbericht 04.02.2005
7) Roosevelt was ,,mentally impaired" at Yalta; The Independent 21.02.2005
8) On Assessments in Polish Media Regarding Yalta Conference of the Allied Powers; Itar Tass 14.02.2005http://www.german-foreign-policy.com/de/news/article/1109030660.php?PHPSESSID=b278e7b804d870f62759807788498612
- Re: Streit um Jalta Apollo 24.2.2005 21:17 (8)
- Re: Streit um Jalta Taurec 25.2.2005 14:39 (0)
- Re: Streit um Jalta Tarman 24.2.2005 22:30 (6)
- Warum weniger, wenn man mehr haben kann! Suchender 24.2.2005 23:07 (5)
- Re: Warum weniger, wenn man mehr haben kann! Suchender 02.3.2005 08:35 (4)
- Re: Warum weniger, wenn man mehr haben kann! Badland Warrior 02.3.2005 09:13 (3)
- Re: Warum weniger, wenn man mehr haben kann! Wizard 02.3.2005 23:13 (0)
- Nachtrag Badland Warrior 02.3.2005 09:18 (1)
- Re: Nachtrag Suchender 02.3.2005 09:36 (0)