Re: "Raub zur Arbeit wird und Mord zur Gier"
Geschrieben von Marc Malbec am 04. Februar 2004 19:37:49:
Als Antwort auf: Re: Ein Streifzug durch die USA geschrieben von DaveRave am 03. Februar 2004 12:50:36:
>Speziell Deutschland zeigte noch besonders lange ein auffallendes Desinteresse an Demokratie und Menschenrechten. Goethe und Schiller waren weitgehend unpolitisch ...
Hallo Dave Rave,was Du mir da zu lesen gegeben hast, tut mir in der Seele weh. Goethe und Schiller unpolitisch?
Im Hinblick auf Goethe kann man das mit sehr viel Wohlwollen durchgehen lassen, obwohl auch das Einverstanden-Sein mit der feudalen Ordnung sicher nicht als unpolitisch zu bezeichnen wäre, sondern als konservativ, vielleicht reaktionär. Und selbst da wäre, unter dem Aspekt der US-amerikanischen Hegemoniepolitik zu fragen, ob die verwendeten Zuschreibung nicht überdacht werden sollten?
Aber bei Schiller, wie kommst Du darauf? Seine Räuber unpolitisch, der Don Carlo und erst recht der Wilhelm Tell.
Rolf Hochhuth hat sich in seinem neuen Stück "McKinsey kommt" und in einigen Interviews ausdrücklich auf Schillers Tell bezogen, und den Tyrannenmord als letzte Möglichkeit verzweifelter Existenzen bezeichnet.
"Wer die meisten Sünden hat, Fühlt als Richter sich und höchster Rat, Raucht das Blut, wird wilder nur das Tier, Raub zur Arbeit wird und Mord zur Gier."
Die Zeilen aus dem "Lied der Linde" sind bekannt, ich möchte sie trotzdem noch mal zitieren, weil sie sich so paßgenau auf die amerikanische Politik beziehen lassen, und ich auf diese Weise wieder die Kurve zurück zum Forumsthema kratzen kann.
Jetzt aber die Stelle aus dem Tell; Du mußt nur mal Gessler, Statthalter der habsburgischen Besatzungsmacht, durch jemand anderen ersetzen, beispielsweise den akkreditierten amerikanischen Botschafter, und Dir ausmalen, was vermutlich die Folgen wären. Welcher Dramatiker besäße den Mut, heute auf offener Bühne zum Tyrannenmord aufzurufen? "Bis der Tag kommt, wo sich glaubt verdammt; Wer berufen wird zu einem Amt."
Der Tyrann Gessler:
"Ein allzu milder Herrscher bin ich noch
gegen dies Volk - die Zungen sind noch frei,
es ist noch nicht ganz, wie es soll, gebändigt -
Doch soll es anders werden, ich gelob' es;
Ich will ihn brechen, diesen starren Sinn,
den kecken Geist der Freiheit will ich beugen,
ein neu Gesetz will ich in diesen Landen
verkündigen. - Ich will ..."(dann durchbohrt ihn der Pfeil Wilhelm Tells. Schiller, IV, 3)
Und jetzt, Dave, überlegen wir uns, welche Schlammlawine künstlicher Erregung über einen Dramatiker vom Schlage Schillers hereinbrechen würde, und ob das Einziehen des Werks die einzige Sanktion wäre, mit der er zu rechnen hätte?Marc Malbec
- Re: "Raub zur Arbeit wird und Mord zur Gier" DaveRave 04.2.2004 23:39 (1)
- Bitte die Zeit bedenken franke43 05.2.2004 08:44 (0)