Textanalyse und Goldwaage

Geschrieben von franke43 am 29. Januar 2004 10:53:17:

Als Antwort auf: Feldpostbriefe - Mühlhiasl geschrieben von ARX am 29. Januar 2004 10:37:32:

Hallo

>Ich hab gerade ein bisschen in den Feldpostbriefen gelesen und staune immer >wieder aufs neue über die Präzisität der nacherzählten Schauungen. Sogar >Zeitangeben stimmen verblüffend oft, die bei andren Sehern allzuoft peinlich >danebenliegen. Allerdings komme mit folgenden Teil nicht ganz klar:
>
>RILL
>Der Krieg dauert nicht ganz drei Jahre und endet schlecht für diesen Mann und >seinen Anhang. Das Volk steht auf mit den Soldaten. Denn es kommt die ganze >Lumperei auf und es geht wild zu in den Städten.
> Er sagte, man soll unter dieser Zeit kein Amt oder dergleichen annehmen, >alles kommt an den Galgen oder wird unter der Haustür aufgehängt, wenn nicht >an Fensterblöcke hingenagelt; denn die Wut unter den Leuten sei entsetzlich, >denn da kommen Sachen auf, unmenschlich.
>

>
>Es steht unmittelbar nach den Vorhersagen zu Hitler - 2. Weltkrieg. Für den >ersten Satz mag das ja, ausgenommen das mit den 3 Jahren, noch ganz gut >passen, aber das Folgende?
>Es hat sich kein deutsches Volk mit den Soldaten erhoben.
>Einige wenige wurden nach den Nürnberger Schauprozessen gehaengt, aber ich >glaube nicht dass dies hier gemeint ist. Der Großteil der "Amtsinhaber" wurde >nach dem Kriege "entnazifiziert", das haben die meisten ohne gröberen Schaden >überstanden. Spontane Lynchaktionen mag es wohl vereinzelt gegeben haben, doch >war dies sicher die Ausnahme
>Das naheliegendste waere es wohl die "unmenschlichen Sachen" mit den KZ´s zu >erklaeren, aber irgendwie scheint das alles nicht so zusammenzupassen. Denn >die Reaktion der Menschen war nicht wie beschrieben (nicht entsetzliche Wut, >sondern eher passives Entsetzen oder Verdrängung bis Ignoranz)

Wir sollten nie vergessen, unter welchen Bedingungen Rills
Feldpostbriefe entstanden sind. Er machte zwei Gedächtnis-
protokolle über das, was der Franzose dem Leutnant erzählt
hatte. Auch Rill hatte über den "Schwefel des Franzosen"
gelacht und sich nicht etwa alles Wichtige mitnotiert. Da
muss man sich wundern, dass die Grundzüge so gut stimmen.

>Interessanterweise findet man auch beom Mühlhiasl alias Stormberger etwas über Lynchjustiz:
>
>HIASL
>Aber es wird ihnen noch einmal schlecht gehen, wenn alles drunter und drüber >geht. Dann werden sie sich Zäun ums Haus machen und auf die Leut schießen. Und >dann werden sie Steine zu Brot backen und Brennesseln essen. In den Städten >wird alles drunter und drüber gehen. Die feinen Leute werden zu den Bauern >aufs Land kommen und werden sagen: Laß mich ackern. Man wird sie aber an den >feinen Händen erkennen und sie erschlagen.
>

>Der Hunger wird wohl viele aufs Land treiben, um sich direkt beim Erzeuger >etwas zu kaufen, zu tauschen, zu erarbeiten oder auch zu rauben. Die Bauern >werden sicher auf der Hut sein, werden ihre Arbeitskräfte (falls sie welche >brauchen) sehr sorgfältig auswählen, aber ungeeignete Bewerber einfach so >erschlagen??????

Zu tauschen: was hat ein Städter einem selbstversorgenden
Ackerbauern im Notfall schon anzubieten ?

Zu ackern: bei weniger als 10 % Landbevölkerung kann auch
der wohlwollendste Bauer nicht plötzlich über Nacht alle
als Knechte und Mägde einstellen, die da kommen. Sicher
werden die Bauern ein paar Leute annehmen, weil sie ja
bald keinen Diesel für ihre Landmaschinen haben und die
Zucht von Arbeitspferden dauert. Aber 90 % Stadtbevölkerung
können nicht plötzlich als Gesinde für 10 % Bauern arbeiten.

Warum erschlagen ? Weil der, der heute als Bewerber für
eine Stelle als Knecht abgewiesen wird, aus Hunger
wahrscheinlich morgen als Bettler oder Plünderer wieder-
kommt. Er hat keine andere Wahl, und das weiss der Bauer
auch.

Auch bei Mühlhiasl und Stormberger gibt es keine
authentische Textfassung. Sind es bei Rill die Zitate
aus seinem ungeübten Gedächtnis, dann snd es bei den
beiden anderen die verschiedenen überlieferten
Gedächtnisprotokolle späterer Zeiten, weil beide
(sofern sie wirklich verschiedene Personen waren)
keine eigene authentische Fassung hinterlassen haben.

Gruss

Franke



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