Wer ist es, der den Rat verdunkelt mit Worten ohne Erkenntnis?

Geschrieben von Backbencher am 01. Oktober 2004 22:30:42:

Als Antwort auf: Freiheit des Willens. geschrieben von Guerrero am 01. Oktober 2004 13:18:40:

>Ich wollte nur über Nietzsches Aussage mit dir sprechen.
>Er sagt:
>Du hast keinen "Freien Willen" und
>du hast keinen "Unfreien Willen".
>Du hast eine schwachen oder starken Willen.
>Also einen mehr oder weniger starken, schwachen Willen.
>Er klammer das "Frei - Unfrei" aus.
>Da hat er recht und auch nicht.
>Meine Ansicht dazu:
>Jeder Mensch hat einen "Freien" Willen.
>In Grenzen.
>In von Gott festgelegten Grenzen.
>Nur die Göttliche Freiheit ist unbegrenzt.
>Absolut.
>Saludo
>Guerrero

Lieber Guerrero,

Nietzsche geht davon aus, daß es auf der geistigen Ebene - im 'An-sich' keine kausalen Strukturen oder 'Gesetze' gibt. Solcherlei Beschreibungen sollten ausschließlich zum Zweck der sprachlichen Kommunikation verwendet werden, aber nicht zur Erklärung der geistigen Wirklichkeiten, denn diese lassen sich nicht mit unseren Möglichkeiten beschreiben.

Mit den Begriffen des freien oder unfreien Willens sind also kausale oder gesetzmäßige Zusammenhänge impliziert. Die Menschen benutzen jedoch gerade die Behauptungen eines freien oder unfreien Willens, um ihr Ego zu stützen (Zitat Nietzsche: '...die einen wollen um keinen Preis ihre "Verantwortlichkeit", den Glauben an sich, das persönliche Anrecht auf ihr Verdienst fahren lassen; die anderen wollen umgekehrt nichts verantworten, an nichts schuld sein und verlangen, aus einer innerlichen Selbst-Verachtung heraus, sich selbst irgendwohin abwälzen zu können...'). Immer wenn der Streit um den Freien Willen z.B. hier im Forum ausbricht, merkt man sehr deutlich, daß er immer von denen hier verteidigt wird, die sich irgendwie ihren Stolz auf ihre 'Leistungen' anrechnen lassen wollen. Du scheinst mir auch zu diesen zu gehören.

Es gibt auf einer tieferen Ebene keinen Grund auf irgendetwas persönlich stolz zu sein. Es gibt keinen Grund, den freien oder unfreien Willen zu verteidigen, da es nichts bringt. Allgemein bringt die Verteidigung von persönlich erkannten Wahrheiten sowieso im Regelfall nichts. Wenn einer einsichtig werden soll, muss er irgendwie innerlich vorbereitet sein. In den Schlagabtauschdebatten über philosophische Aspekte wie den Freien Willen aber auch über politische Themen holt man sich keinen Blumentopf, indem man seine Erkenntnisse verteidigt. Seien wir doch bescheiden und redlich und sagen, daß wir nicht wissen, ob der Wille frei oder unfrei ist. Oder sagen wir zum Beispiel einfach, daß wir subjektiv fühlen, daß er frei sei.

Wenn wir weiter beispielsweise unserem Denken das neu- oder alttestamentarische Denken (das genaugenommen nicht so einheitlich ist, wie mit den kurzen Begriffen 'neu- oder alttestamentarisch' impliziert) zugrunde legen, so wird dort doch klar herausgearbeitet, daß Erkenntnis, Reichtum, Glück, Schönheit usw. alles sogenannte Gnade ist und daß die Gnade geradezu von Gott gewirkt wird.

Interessanterweise gibt es das Konzept des Freien Willens überhaupt nicht in der Bibel. Mal sind wir Spielbälle zwischen himmlischen Auseinandersetzungen, mal werden wir für alles verantwortlich gemacht. Interessant ist hierzu mal Hiob zu lesen. Ein literarisches Werk erster Güte! Unter anderem spricht zum Schluss Jehova aus dem Sturme: 'Wer ist es, der den Rat verdunkelt mit Worten ohne Erkenntnis? Gürte doch wie ein Mann deine Lenden; so will ich dich fragen, und du belehre mich.' Im Anschluß daran kommen eine Menge von rhetorischen Fragen wie: 'Welches ist der Weg, auf dem das Licht sich verteilt?' oder 'Kannst du die Fesseln des Orion lösen?'. Schnell wird also klar, daß es einfach keinen Sinn macht über Überirdisches irgendetwas 'zu wissen'.

Ich finde es immer so schön, wenn man z.B. dem bescheidenen Brunnenbauer zuhört. Niemals würde der sich versteigen zu erklären, wie seine Prophezeiungen funktionieren oder daß alles vorherbestimmt sei. Er bleibt eben absolut subjektiv.

Carlos Castaneda, wie auch viele andere, teilt unsere Wirklichkeit wie folgt auf: 1. Das Bekannte und 2. Das Unbekannte. Das Unbekannte wiederum wird aufgeteilt in das Erkennbare, also uns Menschen im Prinzip noch zugängliche und das Nicht-Erkennbare oder wie er auch mal beschreibt, 'Das was niemand wissen will'. Bei weiteren Betrachtungen stellt er aber dann schließlich fest, daß das Bekannte nur eine Insel im Unbekannten ist, dem wir durch Übereinkunft Struktur gegeben haben, und so genaugenommen Teil des Unbekannten ist. Und wir wissen auch schon lange, daß unsere Erkenntnis immer nur äußerst vordergründig ist. Sobald wir beispielsweise molekulare, astrophysische oder psychologische Dimensionen betrachten, können wir wirklich nur noch wild spekulieren. Irgendwo kommen wir immer an einen Vorhang, der sich für uns nicht lüftet.

Es empfiehlt sich bezüglich der eigenen Erkenntnis das erste Gebot zu befolgen: 'Du sollst Dir kein geschnitztes Bild machen, noch irgendein Gleichnis dessen, was oben im Himmel, und was unten auf der Erde, und was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor ihnen niederbeugen und ihnen nicht dienen.' Hierzu gehören selbstverständlich gerade unsere heißgeliebten Erkenntnisse über Gott und die Welt. Ich denke unsere Sprache ist ein irdisches Kommunikationsinstrument, aber keine Erklärungsmethode für die Eingeweide des Unerforschlichen.

Herzliche Grüße
Hinterbänkler


Als P.S. spaßeshalber nochmals Nietzsches Zarathustra:

Seht, ich lehre euch den Übermenschen!
Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!
Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.
Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren!
Einst war der Frevel an Gott der größte Frevel, aber Gott starb, und damit auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten, als der Sinn der Erde!






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