Re: Die Wahrheit ist viel unspektakulärer...
Geschrieben von Templar am 03. Januar 2002 15:21:35:
Als Antwort auf: Re: Warum aber zieht man die Karte gerade jetzt? geschrieben von Hagen am 03. Januar 2002 14:35:49:
>Aber im Ernst, das liegt doch auf der Hand, dass die Medien von den politisch Mächtigen fast durchgängig infiltriert sind. Da kann man nicht einfach sagen, das ist eben Politik. Also, sorry, das ist dann bloß noch Fatalismus.
Hallo zusammenErlaube mich mal kurz hier einzuklinken, weil ich denke ich bin einigermassen kompetent um mitzureden. Liegt daran, dass ich schon seit zehn Jahren im Journalismus tätig bin, die meiste Zeit davon als Redakteur oder in der Ressortleitung, zeitweise auch als freier Korespondent und/oder Reporter. Habe in der Zeit schon in fast allen Bereichen (Ausland, Inland, Regionales, Wirtschaft, Aktuell, Gesundheit, Polizei) gearbeitet und war neben Magazinen bei verschiedenen Tageszeitungen tätig.
Während dieser Tätigkeiten hatte ich das Glück beide Seiten der Medallien kennenlernen zu dürfen und ich möchte euch mal ein paar eurer falschen Vorstellungen nehmen. Ob Einflussnahme oder nicht, hängt in aller erster Linie vom Verleger und dem Chefredakteuer ab und die grössten Einflussnehmer sind nicht die Politiker, sondern die Wirtschaft. (Autohersteller und -Importeure zum Beispiel, die mit der Streichung der Werbebudgets drohen, was bei manchen Tageszeitungen durchaus ein Drittel des ganzen Anzeigenvolumens ausmachen kann)
Ich hatte das Glück drei Jahre bei einer wirklich freien Tageszeitung mit einem echt integren Verleger arbeiten zu können. Es herrschate die Maxime, dass die Journalisten ihren Job beherrschen und wissen was sie tun, und dementsprechend frei sind zu schreiben und recherchieren was sie für richtig und wichtig erachten. "Heisse" Sachen wurden im Zweifelsfalle innerhalb der Redaktion gegengelesen und wenn nötig vor Publikation dem Haus-Juristen vorgelegt. In der ganzen zeit wo ich dort war, kam es zwar zu unzähligem Aufgeheule und Zähneknirschen aber da die Recherche einwandfrei war, nie zu einer Anklage, Entschuldigungen von Redaktionsseite gab es schon gar nicht. Auf Beschuldigungen von Aussen stellten sich Chefredakteur und Verleger vor den zuständigen Schreiber, Einschüchterungsversuche gab es zwar, doch die wurden glattwegs ausgelacht. Wir genossen einen guten Ruf, einfach weil allgemein bekannt war, dass wir hart aber fair arbeiteten und auch keine Kampagnen führten, einfach um eine tolle Schlagzeile zu bekommen. Ich selbst könnte/kann heute noch Wissensträger in Verwaltung, Justitz, Politik oder Polizei anfragen, selbst wenn ich schon Jahre nicht mehr in diesem Gebiet arbeite.
Dann habe ich aber auch das Gegenteil erlebt, einen schwachen Verleger, der es allen Recht machen wollte und einen noch schwächeren Chefredakteur, der vor jedem Pimpf in die Knie ging, der sich auch nur ein wenig aufgeregt hat. Recherchen in politischen Belangen waren fast unmöglich, 20 Minuten nach einem Telefonat bei einer Kantonsverwaltung, stand der Chef im Büro und wollte wissen was und warum man am recherchieren sei und dass man es besser bleiben liesse....Effekt der Geschichte: Eine Zeitung ohne jegliches Profil, die einzig aufgrund ihrer Vormachtstellung (Einziges Blatt in der Region) überleben kann, welche von den Lesern nicht ernst genommen wird um im nationalen Medienecho keine ernstzunehmende Rolle mehr spielt. Alle seriösen Redakteure und Korrespondenten haben das Blatt entweder freiwillig verlassen oder wurden aufgrund ihrer Beharrlichkeit als Störfaktoren entfernt. Nach ungefähr einem Jahr war der Ruf der Zeitung ruiniert und der schwache Verleger erkannte immerhin,. dass sich so keine Zeitung mit Profil führen lässt. Der Chefredakteur wurde entlassen, sein wirklich guter Nachfolger ist jetzt noch, fast vier Jahre später immer noch dabei die Scherben zu kitten, die da zerschlagen wurden, von einem Profil ist die Zeitung allerdings immer noch weit entfernt.
Um wieder zurück zum Thema zu kommen: Es sitzen keine bösen Illus in der Medienüberwachungszentrale, die jede unbotmässige Aussage rausfiltern. Es sind einfach nur Menschen am Werke, die je nach ihrer Persönlichkeits- und Charakterstruktur halt mehr oder weniger Rückgrad haben. Es sind Verleger am Werke, die entweder ein echtes Verständnis für die Arbeit der Presse haben und sich auch einem journalistischen Ethos verpflichtet fühlen, dann verzichtet er selbst auf Werbeeinnahmen, wenn er dadurch erpressbar wird; oder es gibt halt solche, die nur das Geld interessiert und dann werden auch die Journis zurückgepfiffen, wenn irgendein Wirtschaftsboss sich auf den Schlips getreten fühlt und mit Anzeigenstornos droht.Templar
- Ich sehe schon Einflußnahmen ... Elias 04.1.2002 15:12 (1)
- Re: Nicht wirklich.... Templar 04.1.2002 15:33 (0)
- Re: Die Wahrheit ist viel unspektakulärer... Hagen 03.1.2002 17:33 (11)
- Re: Mechanismen und ihre Gesetzmässigkeiten Templar 04.1.2002 10:04 (6)
- Re: Mechanismen und ihre Gesetzmässigkeiten Hagen 05.1.2002 16:59 (5)
- Re: Mechanismen und ihre Gesetzmässigkeiten katzenhai2 06.1.2002 02:04 (4)
- Re: Mechanismen und ihre Gesetzmässigkeiten Hagen 06.1.2002 14:39 (0)
- Re: Mechanismen und ihre Gesetzmässigkeiten NLMDA 06.1.2002 05:41 (2)
- Mitgehangen - Mitgefangen! King Henry 06.1.2002 08:00 (1)
- Re: Mitgehangen - Mitgefangen! NLMDA 06.1.2002 16:20 (0)
- Verschwörung katzenhai2 04.1.2002 06:34 (3)
- Verschwörung seit 10.000 Jahren King Henry 05.1.2002 05:45 (0)
- Ähnliche Erfahrung Marcus 04.1.2002 12:46 (1)
- Re: Ähnliche Erfahrung katzenhai2 05.1.2002 21:14 (0)